Glyphosat: Substanzlose Kritik und "gekaufte" Befürworter

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Rapsfeld

BERLIN. (gwup) Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) kritisierte die Blockade der Glyphosat-Zulassung durch die Bundesregierung. Darauf gab es viele kritische Kommentare, die der Vorsitzender der GWUP, Amardeo Sarma, zum Anlass nahm, auf die Diskussion noch einmal genauer einzugehen. Auch an dieser Veröffentlichtung gab es – in den Kommentaren hier im hpd sowie in den sozialen Netzwerken – Kritik. Amardeo Sarma hat auch darauf geantwortet.

In der Diskussion um die Glyphosat-Zulassung gibt es seitens der Kritiker so viele irreführende Behauptungen, dass eine weitere Entgegnung erforderlich ist. Dies ist gerade jetzt umso wichtiger, da die Gegner der modernen Landwirtschaft einen Etappensieg errungen haben: Die EU-Staaten haben sich vorerst nicht auf eine Verlängerung der Zulassung des Herbizids geeinigt. Damit wird eine weitere Abstimmung in einem Vermittlungssausschuss nötig.

Pauschale Ablehnung der modernen Landwirtschaft greift um sich

Viele angeführte Kritikpunkte gehen über eine Kritik an Glyphosat und Gentechnik hinaus und stellen die moderne Landwirtschaft insgesamt in Frage. Das heißt nicht, dass es nicht auch problematische Entwicklungen gibt, wie Resistenzen oder übermäßige Anwendung von Düngemittel. Diese sind in der Forschung und Praxis bekannt. An ihnen wird gearbeitet.

Wer aber behauptet, wie in der Diskussion bei hpd, wir müssten "zurück zu umweltgerechten Anbaumethoden" oder gar "Die konventionelle Landwirtschaft wird auf Dauer nicht in der Lage sein, die Menschheit zu ernähren", lebt in einer Scheinwelt.

Erst die grüne Revolution (Düngemittel, Pflanzenschutz, neue Fruchtsorten mit neuen Methoden) hat erreicht, dass heute trotz des Bevölkerungswachstums weniger Menschen in absoluter Armut leben als 1820 oder 1970, als das Maximum erreicht wurde:

Es ist den vielen Beteiligten aus dem Bereich der konventionellen Landwirtschaft und der Verwendung der Gentechnik zu verdanken, dass es uns so gut geht, unter anderem durch die Pionierarbeit von Norman Borlaug, der durch die grüne Revolution Entwicklungsländern die Unabhängigkeit von Importen aus Industrienationen gebracht hat:

Promotion, Friedensnobelpreis, zwei Ehrendoktorwürden, Medal of Freedom, Ehrenmedaille des Kongresses, Aufnahme in diverse Akademien der Wissenschaften (u.a. Royal Society) und eine eigene Bronzestatue. Diese Auszeichnungen wurden Norman Borlaug zu Lebzeiten, bzw. nach seinem Tod im Jahr 2009 zuteil. Trotzdem dürfte kaum jemand diesen Namen in langer Zeit, bzw. überhaupt jemals gehört haben.

Natürlich sollte man alles tun, um Verteilungsprobleme zu verbessern und Missstände zu korrigieren. Das ist reine Mathematik: Was ankommt, hängt von der Produktion und der Verteilung ab. Aber die Bevölkerung vor allem in ärmeren Ländern in der Zwischenzeit hungern zu lassen, bis die Verteilungsprobleme gelöst sind, ist keine Alternative. Selbst bei 100 Prozent optimaler Verteilung – unrealistischer Idealwert – wäre eine Landwirtschaft "zurück zur Natur" eine Katastrophe für die Ernährung der Menschheit.

Sie würde den Rückfall in die Zeit vor Norman Borlaug bedeuten, als Hungersnöte an der Tagesordnung waren.

Angriffe auf Fachleute und Behörden: Sind sie "industrienah"?

Unter anderem wird das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) aufgrund seiner angeblichen "Industrienähe" kritisiert. Hier möchte ich speziell auf einen Kommentar eingehen, der, wie ich glaube, eine Antwort erfordert. Dieser sehr wichtige und richtige Kommentar lautet:

Das muss von unabhängigen Instituten regelmäßig und genau überprüft werden. Das geht nur auf Staatskosten und die Gelder müssen zur Verfügung gestellt werden.

Genau solch eine Institution wurde bereits 2002 unter der rotgrünen Regierung eingerichtet, eben das BfR. Über seine Aufgaben und Ziele heißt es in einer Verlautbarung des BfR:

Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des BfR ist gesetzlich verankert. Das BfR wurde am 1. November 2002 unter Federführung der Grünen-Ministerin Renate Künast gegründet, um unabhängig, wissenschaftlich und überparteilich Risikoeinschätzungen vornehmen zu können und den gesundheitlichen Verbraucherschutz zu stärken.

Alle am BfR beschäftigten Beamtinnen und Beamten sowie die Beschäftigten des Bundes müssen die rechtlichen Bestimmungen des öffentlichen Dienstes einhalten. Dazu gehören zum Beispiel behördliche Regelungen zur Unbefangenheit, Effektivität, Sachkunde und Korruptionsprävention, wie sie von den deutschen Gesetzen und den Ausführungsbestimmungen des Bundesministeriums des Innern vorgeben sind (siehe z. B. das Bundesbeamtengesetz, § 10 Verwaltungsverfahrensgesetz und andere Vorschriften).

Hauptaufgabe des BfR ist es, Stellung zu möglichen gesundheitlichen Risiken von Lebensmitteln, Produkten oder Chemikalien zu beziehen und somit die Bundesministerien bei ihren politischen Entscheidungen unabhängig wissenschaftlich zu beraten. Aus Gründen der Unabhängigkeit werden keine finanziellen Mittel aus der Industrie eingeworben, das BfR beteiligt sich auch nicht finanziell an solchen Forschungsprojekten.

Angesichts der eingangs erwähnten unsinnigen Angriffe ist es an Zeit, dass sich die Grünen (und ihrem damaligen Koalitionspartner in der Bunderegierung, die SPD) vor ihr Baby stellen. Sie haben das BfR aus meiner Sicht aus gutem Grund geschaffen. Warum stehen sie heute nicht dazu?

Bewertet das BfR "Leserbriefe"?

Sylvia Liebrich schreibt in der Süddeutschen Zeitung:

Recherchen der Süddeutschen Zeitung zeigen, dass für eine Neubewertung der Krebsrisiken unter anderem Leserbriefe an eine Fachzeitschrift als Studien gewertet werden. Ein großer Teil stammt von Wissenschaftlern, die direkt oder indirekt für einen der größten der Glyphosat-Hersteller arbeiten, den US-Agrarkonzern Monsanto.

Diese Behauptung zu den "Leserbriefen" ist irreführend. Wer sich auch nur flüchtig mit wissenschaftlichen Publikationen beschäftigt, weiß, dass "Letters" oder "Letters to the editor" in einer Fachzeitschrift nicht im Geringsten mit Leserbriefen in Tageszeitungen oder Wochenmagazinen vergleichbar sind.

Darüber hinaus hat Liebrich offenbar noch nicht einmal richtig gelesen, was sie zitiert. Sie schreibt:

Eineinhalb Seiten ist das Schreiben, das der Wissenschaftler Peter Langridge an die Fachzeitschrift "Food and Chemical Toxicology" geschickt hat. Eineinhalb Seiten, auf denen er Partei ergreift für ein höchst umstrittenes Pflanzenschutzmittel, für Glyphosat, das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen. Eineinhalb Seiten, die das Magazin in der Rubrik "Letters to the Editor", Briefe an den Chefredakteur, veröffentlicht.

Hier eine Erwiderung aus dem Blog des Molekularbiologen Ludger Weß:

Der "Letter to the Editor" von Peter Langridge ergreift mit keiner Silbe "Partei für ein hochumstrittenes Pflanzenschutzmittel". Stattdessen kritisiert Langridge ausführlich die Methodik der umstrittenen Séralini-Studie, die schließlich wegen fachlicher Mängel zurückgezogen wurde (und auch inzwischen von der IARC in ihrer Glyphosat-Monographie als nicht auswertbar bezeichnet wurde, wegen eben der u.a. von Langridge kritisierten methodischen Mängel).

Irreführend ist auch die Behauptung, dass "die Krebsforscher der WHO (gemeint ist der IARC) seit der Veröffentlichung ihrer Einschätzung schwer unter Beschuss von Herstellern und Lobby-Verbänden" stünden. Nein, es sind keine "Lobbyverbände" – da soll wohl wieder einmal ein Vorurteil geschürt werden –, sondern Wissenschaftler, die einiges bemängelt haben. Zwei Stimmen von vielen:

Dr Oliver Jones von der RMIT University in Melbourne: "This sounds scary and IARC evaluations are usually very good, but to me the evidence cited here appears a bit thin From a personal perspective, I am a vegetarian so I eat a lot of vegetables and I’m not worried by this report."

Prof. Alan Boobis von der Imperial College London sagt das, was viele Wissenschaftsblogger auch in Deutschland geschrieben haben: "The IARC process is not designed to take into account how a pesticide is used in the real world In my view this report is not a cause for undue alarm."

Kurz: Der Beitrag von Sylvia Liebrich hat wenig mit der Realität zu tun – ebensowenig wie ein Kommentar bei hpd, der auch mir unterstellt, dass "erfolgreiche Lobbyarbeit bei der GWUP wirksam war".

Man geht anscheinend grundsätzlich davon aus, Wissenschaftler und die GWUP seien "gekauft", wie auch das BfR und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Wo Argumente fehlen, müssen pseudowissenschaftliche Anti-GMO-Aktivisten sich in Ad-Hominem-Attacken flüchten.

Man sollte Industrie-Studien und Studien von Interessengruppen, wie Greenpeace oder Foodwatch, mit der notwendigen, der Wissenschaft immanenten Skepsis begegnen. Deshalb werden zur Bewertung Universitätsstudien einbezogen und staatliche  Institutionen geschaffen.

Zu Glyphosat ist der wissenschaftlicher Konsens klar

Zu dieser Feststellung hätte bereits die Wikipedia-Recherche über die Gefahreneinschätzung ausgereicht.

Die überwältigende Mehrheit der wissenschaftlichen Einzelstudien, Übersichtsarbeiten und Behörden bestätigt, dass die zugelassenen Anwendungen von Glyphosat keine Gesundheitsrisiken bergen. Es sind lediglich Interessengruppen, wie der Naturschutzbund Deutschland, Greenpeace oder Friends of the Earth, die den Außenseiterstandpunkt vertreten, dass wir mit Glyphosat erhebliche Gesundheits- und Umweltrisiken eingehen.

Hier zeigt sich auch, dass manche Verbände eben nicht vertrauenswürdig sind – sie vertreten ihre Interessen unabhängig von Tatsachen und den tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit oder auf die Umwelt.

Die folgende Anmerkung – ebenfalls ein Kommentar zu meinem Artikel bei hpd – verdient ebenfalls eine Antwort:

Welche hinterhältigen, "wölfischen" Ziele verfolgen denn Organisationen wie NABU und Greenpeace in Wahrheit, wenn sie scheinheilig vorgeben, der Umwelt- und Naturschutz liege ihnen am Herzen? Welche Gewinne generieren sie damit?

Nicht nur materieller Gewinn und Profit können zu Stellungnahmen und Handlungen motivieren, die sich letztendlich gegen Gesundheit und Umweltschutz richten. Die Aussicht auf großen politischen Einfluss und die Durchsetzung der eigenen Weltanschauung kann ein ebenso starker Antrieb sein.

Gewiss glauben einige Anti-GMO-Aktivisten aufrichtig, der Umwelt oder der Gesundheit zu dienen. Das gilt sicher für viele Unterstützer, die in gutem Glauben und ohne jede böse Absicht einem Zeitgeist folgen und in diesen Verbänden unkritisch nur "das Gute" sehen.

Dabei verfolgen "Bio"-Unternehmen, die Hand in Hand mit manchen Interessenverbänden arbeiten, selbstverständlich ebenso wirtschaftliche Interessen wie Unternehmen der konventionellen Landwirtschaft. Auf diesem Auge scheinen viele blind zu sein. Es wird mit zweierlei Maß gemessen.

Dass man jetzt jegliches Maß verloren hart und ohne Rücksicht auf Verluste knallharte Interessenpolitik betreibt, zeigt der neueste Beitrag von Greenpeace: Es wird die "Systemfrage" gestellt. Der Bremer Journalist Jan-Phillip Hein bemerkt dazu in einem Facebook-Kommentar:

Dankenswerterweise sagt Greenpeace hier deutlich, was es will: den Totalumbau der Landwirtschaft. Dafür ist jedes Mittel recht: Demagogie bis an den Rand der Verhetzung und gezieltes Schüren von Ängsten. Traurig, wie viele Medien da mitspielen. Ich fürchte, dass wir den Tiefpunkt dieser Kampagne immer noch nicht erlebt haben.

Glyphosat im Vergleich

Aber zurück zu Glyphosat: Wikipedia trifft die Problematik im Vergleich mit anderen Herbiziden ziemlich gut. Auch der "pro-science skeptical activist" the "Credible Hulk" hat hierzu aufgezeichnet, wie sehr viel problematischere Herbizide mit der Zeit aus dem Verkehr gezogen worden sind:

Many people never even hear about the herbicides that were phased out in favor of glyphosate simply because they aren’t pertinent to the anti-agricultural biotech narrative, and because their popularity had waned by the time it had become trendy to demonize GMOs and everything remotely associated with them.

Viele andere, wesentlich problematischere Herbizide wurden aus dem Verkehr gezogen, und deshalb stieg der Verbrauch von Glyphosat an. Der Beitrag skizzert treffend die Folgen eines Glyphosat-Verbots:

Opponents of glyphosate often seem to hold this unfounded notion that, if they can manage to get glyphosate banned or simply willingly abandoned, then it would mean an improvement in both food and environmental safety, but the truth is it would likely be the exact opposite of that. Weeds are a legitimate problem in farming that has to be dealt with one way or another. In its absence, it would have to be replaced with something else, and it would likely be something more caustic: not less.

Das Problem der Unkräuter wird dadurch nicht gelöst. Da der Verzicht auf Herbizide in Deutschland und vielen anderen Ländern aufgrund der dann drohenden Ernteeinbußen unrealistisch ist, müsste man auf andere Herbizide ausweichen. Und diese wären sehr wahrscheinlich problematischer.

Zurück zur Vernunft

Unsere Probleme werden nicht gelöst, wenn wir auf Interessengruppen – egal ob Industrie oder vermeintliche Umweltschützer – hören statt der Einschätzung von Fachverbänden zu folgen, die speziell zu diesem Zweck als unabhängige, staatliche Institutionen geschaffen wurden. Politiker aller Parteien sollten dies zu Herzen nehmen, besonders die Parteien, die diese Institutionen geschaffen haben.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autoren von blog.gwup.net.