Kolumne: Sitte & Anstand

Ist Gott ein Verschwörer?

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Theologie versus Verschwörungsmythen: Im evangelikalen Magazin "pro" nimmt ein christlicher Theoretiker Stellung zu bizarren Vorstellungswelten neueren Datums. Wer wohl gewinnen wird?

Ein interessantes Interview gab es jetzt im christlichen Medienmagazin "pro" zu lesen. Zum derzeit hippen Thema der Verschwörungstheorien, besser Verschwörungsmythen genannt, sprach dort der Experte Kai Funkschmidt. Wieso er Experte ist? Kai Funkschmidt ist fest von der Existenz eines unsichtbaren, allmächtigen Wesens überzeugt, das jeden Menschen auf der Erde auf magische Weise beeinflussen kann, und das Herr über Leben und Tod ist. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt aus den Pfründen einer Organisation, die sich vor zirka 1.500 Jahren, wie aus dem Nichts kommend, in eine beispiellose Machtstellung geputscht hat und dann dazu überging, Abweichler zu töten, Bildung zu vernichten und flächendeckend Menschen ihrer Gehirnwäsche zu unterziehen. Gruselig, nicht wahr? Klingt ein bisschen wie schlecht ausgedacht, das geben wir zu.

Kai Funkschmidt ist also – Obacht, Geheimformel – "theologischer Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen für die Bereiche Esoterik, Okkultismus, Mormonen und Apostolische Gemeinschaften im europäischen Kontext". In dieser Eigenschaft darf er sich über Verschwörungsmythen äußern. Und wir wollen gerne wissen, wie er es schafft, da durchzukommen. Er will weltfremden Unfug analysieren, glaubt aber an den den lieben Gott, das ist wie Videospielen in der Achterbahn. Funkschmidt definiert eine Verschwörungstheorie als "Annahme, dass ein bestimmtes Ereignis oder bestimmte Entwicklungen zurückzuführen sind auf das verborgene, zielgerichtete und mit negativen Absichten versehene Handeln von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen von Verschwörern".

Wort für Wort wartet man darauf, dass er von der Definition einer Religion abweicht, und es scheinen wohl die "negativen Absichten" zu sein, die einer Gottheit eben nicht unterstellt werden, denn der Gott meint es immer gut mit allen, auch wenn sie zwischendurch ein bisschen gebeutelt und gekillt und vergewaltigt und ausgebeutet werden. "Ein Christ sollte mit der Unverfügbarkeit des Daseins umgehen können und wissen, dass Gottes Wege nicht immer erforschlich sind. Ein Christ weiß, dass sogar dem Gerechten, wie es im Buch Hiob steht, großes Unheil widerfahren kann."

Wie meinen? "Unverfügbarkeit des Daseins"? Das ist wieder eine jener theologischen Begriffsschöpfungen, die nichts meinen oder einen Widerspruch vernebeln, hier scheint gemeint zu sein: "Ja, klar ist Gott mega allmächtig. Aber glaub mal bloß nicht, dass man das auch merkt!" Es ist eine weitere wolkige Umschreibung für den vermaledeiten Umstand, dass die Welt mit Gott exakt dieselbe ist wie die Welt ohne, und daher gilt überall und stets: Hast du Scheiße am Fuß, hast du Scheiße am Fuß. Mahatma Glück, Mahatma Pech, Mahatma Gandhi. Würde Gott Gebete erhören, so wären wir ja alle zaubermächtig, im Konfliktfall könnten wir sogar gegeneinander beten und Gott gegen Gott in den magischen Schlagabtausch schicken.

Der Unterschied zwischen Verschwörungsmythos und Religionsmythos ist also, dass es einmal eine unsichtbare Macht gibt, die Böses tun will: Verschwörer. Und einmal eine unsichtbare Supermacht, die komplett unberechenbar ist: Gott. Verschwörungsmystiker vermuten eine geheime Welt im Diesseits, Religiöse ein Weiterleben nach dem Leben, in anderer Form irgendwie, an anderem Ort irgendwo. Verschwörungstheoretiker gehen immerhin noch davon aus, dass sie sich außerhalb des unheimlichen Zugriffs positionieren können, theoretisch. Gläubige sehen sich vollkommen in der Hand ihres Gottes, der die ganze Welt offenbar zu seiner Unterhaltung geschaffen hat.

"Alle Menschen", sagt Funkschmidt, "sind darauf angelegt, Ordnung zu suchen. Wenn sie besonders verunsichert sind, kann das dazu führen, dass sie eine Ordnung finden, die gar nicht vorhanden ist – eine Verschwörungstheorie." Was wäre dann über Religion zu sagen, deren Ordnung noch viel unentrinnbarer ist? Vom Ursprung der Welt bis zu deren Zerstörung hat ja die unsichtbare Macht volle Verfügungsgewalt. Ist das Verschwörungsdenken da nicht immerhin noch eine Regung von Opposition, von Selbständigkeit, wenn auch unter Zuhilfenahme von Quatsch? Und siehe, auch der Weltanschauungsexperte will kein Urteil fällen über die Verschwörungsgemeinde: "Ich erlebe, dass Menschen selbstverständlich auch mit für mich nicht nachvollziehbaren (...) Theorien ein normales Leben führen können." Wie wahr! Aber normales Leben, was ist das schon in einer Zeit, die einem der wildesten Mythen aller Zeiten anheimgefallen ist, der vollkommen irren Wachstums- und Wettbewerbsideologie?

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