Aufruhr in Indien: Zwei Frauen haben einen Tempel betreten

Der Mob hütet den Götterpenis

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Mehrere Millionen Dosen eines süßen Reisgerichts bringen die Pilger dem Gott Ayyappa dar, da kommt er nicht auf dumme Gedanken

Kürzlich haben zwei Frauen im indischen Bundesstaat Kerala ein altes Gebäude betreten und sich dort ein bisschen umgesehen. Die Frauen haben nichts beschädigt, niemanden verletzt oder beleidigt. Dann sind sie wieder gegangen. Die Folge: Landesweite Proteste, Aufruhr, Verletzte, hunderte Festnahmen, Versammlungsverbote, mindestens ein Brandanschlag auf das Zuhause eines Politikers – und eine überwältigende Gegendemonstration: eine Menschenschlange von angeblich 600 Kilometern Länge, die damit wohl eine der längsten in der Menschheitsgeschichte wäre.

Was ist da nur los?

Religion ist los. Beziehungsweise der Abwehrkampf eines wankenden archaischen Patriarchats, das sich weltweit eigentlich immer auf die kompromisslose, radikale, strunzdumme Unterstützung durch Religion verlassen kann. Oder haben Sie schon von vielen Glaubensrichtungen gehört, in denen den Männern der Zugang zu Posten und Orten verwehrt ist und sie von Frauenmobs mit Gewalt bis hin zum Lynchmord davon abgehalten werden zu tun, was den Frauen selbstverständlich ist?

Es war natürlich nicht irgendein Ort, den die Frauen betraten, es war der zentrale Tempel der Gottheit Ayyappa in Sabarimala. Wenn Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter, zwischen zehn und fünfzig veranschlagt, diesen Tempel betreten wollen würden, so ist es seit Jahrhunderten dort Sitte, so würden sie mit allen Mitteln davon abgehalten. Warum? Der Gott Ayyappa, welcher dort verehrt wird, lebt angeblich zölibatär (und bezieht ja möglicherweise daher seine Gott-Superkräfte). Die Anwesenheit von Frauen bis fünfzig nun scheint ihn in Versuchung zu führen, mit dem fünfzigsten Geburtstag dann erlahmt sein Interesse offenbar schlagartig – und das nach all den Jahrhunderten der Enthaltsamkeit.

Der Oberste Gerichtshof in Indien hat im September eine Front gegen den Gott eröffnet: Menschenrechte versus religiöser Aberglaube. Es sei nicht verfassungsgemäß, so das Urteil, Frauen den Zugang zum Tempel zu verwehren. Seitdem haben verschiedene Aktivistinnen, oft unter massivem Polizeischutz, versucht, den Tempel zu betreten, sind aber jeweils von besorgten Mobs, überwiegend natürlich Männer, am Eindringen gehindert worden.

Vor wenigen Tagen ist es nun zwei tapferen Frauen gelungen. Eine von ihnen, Bindu Ammini, sagt im Interview mit mildem Lächeln: Ja, sie wisse, dass es Konsequenzen geben könne. Man könne sie töten. Aber Angst habe sie keine. Von den meisten Menschen in ihrer Gesellschaft, auch von den Gläubigen, erfahre sie Unterstützung. Sie sei froh, auf diese Weise für die verfassungsmäßig versprochene Gleichberechtigung eintreten zu können.

Zwei Frauen haben Ayyappas Tempel betreten, mittlerweile sogar drei. In heimlich gefilmten Videos ist zu sehen, wie sie sich im Inneren des Tempels relativ frei bewegen konnten und keinerlei Schockwellen bei den gechillten Pilgern im Inneren auslösten. Wie es dem Gott nun mit dem ungewohnten Besuch geht, davon war wenig zu erfahren. Vielleicht schmeichelte ihm der ja sogar. Über die beiden Frauen ist er jedenfalls nicht hergefallen. Seine männlichen Verehrer haben schnell zugesehen, dass sie reinigende Rituale durchführen, so wie wenn ein Baby versehentlich ins Heiligste gepinkelt hätte. Interessierte Hardcore-Religioten haben sofort angefangen, ein massenwirksames Terrorinstrumentarium auszupacken: Sie haben "aus Protest" Hartal, den Generalstreik, ausgerufen – und umstandslos begonnen, gewaltsam gegen alles vorzugehen, was dagegen verstieß, haben geöffnete Läden attackiert und was dergleichen noch ihnen angebracht erschien, um den Penis ihrer Yogi-Gottheit zu verteidigen. Es ist wie so oft: Die, die am lautesten schreien und sich am peinlichsten benehmen, finden ihren Weg in die Nachrichten, sie setzen ihre Meinung in die Welt, denn die durchdachteren, friedlicheren Meinungen kommen naturgemäß ohne Gebrüll und ohne Steineschmeißen daher.

Der Gott aber, dessen Keuschheit ungefragt vom Pöbel verteidigt wird, was mag er wohl denken? Leise lächelt Ayyappa ... Er hat ja auch noch andere Locations, er hat noch andere Erscheinungsformen – etwa im Achankovil Sree Dharmasastha Tempel, wo weibliche Menschen jeden Alters nicht nur als Besucherinnen Zutritt haben, sondern Ayyappa selber sogar zwei Ehefrauen hat. So fällt es ihm sicher leichter, in Sabarimala den Zölibatären zu geben.