Happy Birthday! Vier Dekaden Barbarei im Iran

Im Inneren des Iran schien es oberflächlich, als habe die Islamische Republik totalitäre Verhältnisse geschaffen. Immer wieder fand die Bevölkerung jedoch Ventile, durch die sie ihre Stimmung zum Ausdruck bringen konnte. So feierten während der Fußball-Weltmeisterschaft von 1998 viele Iranerinnen und Iraner zum Unmut der Sittenwächter auf den Straßen einen Sieg ihrer Nationalmannschaft. Schon ein Jahr später gab es mit den Studierendenprotesten des Jahres 1999 die gewalttätigsten Auseinandersetzungen seit der Islamischen Revolution. Am symbolträchtigen Datum 18. Tir des iranischen Kalenders protestierten Studierende gegen das Verbot einer reformorientierten Zeitung. Die Reaktion des Regimes folgte einige Stunden später mit einem Überfall der Basidschi-Miliz auf mehrere Studentenwohnheime. Allein an diesem Abend wurde ein Student ermordet, Hunderte wurden verletzt. Danach kam es zu einer Erhebung, die sich auf verschiedene Städte ausbreitete und nur mit äußerster Gewalt niedergeschlagen werden konnte. Eine Besonderheit der Proteste war, dass sie von jungen Studierenden ausging, also einer Generation, die nur die Islamische Republik und nicht das Ancien Régime kannte.

Dritte Dekade: Iranisches Atomprogramm und Grüne Bewegung (1999–2009)

Wenige Jahre vor dem Millennium ist der "Reformer" Mohammad Chatami zum Präsidenten gewählt worden. Dass er bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Jahre 2005 keine wesentlichen Änderungen gebracht hatte, machte vielen Iranerinnen und Iranern deutlich, dass eine Reformierung der Islamischen Republik nicht möglich ist. Für die Unterdrückung der Bevölkerung war offenkundig nicht die zu wählende Regierung verantwortlich, sondern das ganze politische System. Antizionismus und Antiamerikanismus, die Verfolgung politischer Dissidenten oder die systematische Unterdrückung von Frauen, Homosexuellen, Atheisten und religiösen Minderheiten wurden von keinem iranischen Präsidenten je ernsthaft in Frage gestellt.

Im Jahre 2003 wurde Shirin Ebadi für ihr Engagement als Menschenrechtsaktivistin mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ihr Einsatz hatte keine Auswirkungen auf die politischen Verhältnisse im Iran, vielmehr verschärfte sich die Lage von 2005 bis 2013 unter der Regierung von Mahmud Ahmadineschad. Die Zahl der Hinrichtungen nahm zu und die islamischen Sittenregeln wurden noch erbitterter durchgesetzt. Durch Holocaust-Leugnung und antisemitische Rhetorik suchte Ahmadineschad auch gezielt die Konfrontation mit dem "Westen".

Hauptstreitpunkt in den internationalen Beziehungen war seit den 2000ern das iranische Atomprogramm. Ab 2002 wurde nach und nach aufgedeckt, dass der Iran Atomanlagen unterhielt, die der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) verheimlicht worden waren. Das Regime bestritt vehement das Streben nach Atomwaffen, doch durch geheimdienstliche Aufklärungsmaßnahmen, Satellitenaufnahmen, Aussagen iranischer Dissidenten und die Aufdeckung von Rüstungstransfers konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass das Regime Lügen über den Stand seines Atomprogramms verbreitet hatte.7 Der Computervirus "Stuxnet", der 2010 die Inbetriebnahme des ersten Atomkraftwerks für eine gewisse Zeit verhinderte, und eine Reihe von Anschlägen gegen führende Köpfe des Atomprogramms (darunter der Leiter der nationalen Atomenergieorganisation und mehrere Wissenschaftler) bremsten die Entwicklung des iranischen Atomprogramms. Vermutet wird, dass der israelische Geheimdienst verantwortlich für diese Aktionen war. Die Gefahr einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran wurde größer. 2005 wurde der Einsatz des IAEO-Generaldirektors Mohammed el-Baradei für eine diplomatische Lösung mit dem Friedensnobelpreis belohnt, allerdings führten seine Vermittlungsversuche nicht zum Erfolg. Erst im Jahre 2015 konnte der Atomstreit beendet werden, worauf auch die Sanktionen, die westliche Staaten zuvor gegen den Iran verhängt hatten, stufenweise aufgehoben wurden.

Infolge der Präsidentschaftswahl vom Juni 2009 gab es die größten Unruhen in der Geschichte der Islamischen Republik. Nachdem der Amtsinhaber Ahmadineschad bereits im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit erhalten haben soll, wurde ihm massiver Wahlbetrug vorgeworfen. Seine Wahlkampfgegner Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi forderten Neuwahlen, der sogenannte Wächterrat (eine zentrale Institution der Islamischen Republik) schloss solche jedoch aus. In den nächsten Wochen formierte sich die Grüne Bewegung, deren Name auf die allgegenwärtige Wahlkampffarbe Mussawis zurückging.

Mussawi und Karroubi, die zuvor noch im Staatsfernsehen gestritten hatten, riefen nun gemeinsam zum Protest auf. Es gab Tage, an denen mehrere Millionen Menschen auf die Straße gingen, wobei der Charakter der Revolte kontrovers diskutiert wurde. Das Spektrum der Demonstranten reichte von jenen, die lediglich gegen den Wahlbetrug und die Misswirtschaft protestierten, bis zu denen, die sich offen gegen das System stellten. Nie zuvor waren jedenfalls in diesem Ausmaß Slogans gegen die Islamische Republik zu hören.

Dass die Bewegung so langlebig war, ist mit der Anlehnung an die Revolutionszeit zu erklären: Man nutzte wieder islamische Freitagsgebete, Begräbnisse getöteter Demonstranten und Gedenkveranstaltungen, um dann in den politischen Protest überzugehen. Selbst die Sprechchöre stammten aus der alten Zeit und wurden nur geringfügig verändert: Statt "Tod dem Shah" und "Tod über Amerika" hieß es jetzt "Tod dem Diktator" und "Tod über Russland". Der Spruch Na šarqi, na qarbi, Jumhuri-ye Eslāmi (s. o.) endete nun mit Jumhuri-ye Irāni ("Iranische Republik!"). Wurden die Demonstrationen tagsüber niedergeschlagen, stiegen viele wie schon 1979 in der Nacht auf ihre Hausdächer, um ihren Groll durch "Allahu Akbar"-Rufe kundzutun. Gleichzeitig nutzte man im Internet soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, um den Protest zu organisieren. Die Grüne Bewegung war islamisch geprägt, viele nutzten aber auch nur ihre islamische Erscheinung, um sich gegen das Regime zu erheben. Nach mehreren Monaten konnte die Revolte jedenfalls erstickt werden. Tausende Demonstranten wurden verhaftet, Hunderte gefoltert, Dutzende ermordet. Über das Internet verbreitete sich millionenfach das Video der jungen Neda, die ohne ersichtlichen Grund erschossen worden war. Erneut mussten viele ins Exil fliehen und im Iran folgten Schauprozesse, die im Staatsfernsehen übertragen wurden.

Mit Sicherheit sind Mussawi und Karroubi, die schließlich unter Hausarrest gestellt wurden, keine Regimegegner, im Gegenteil: als Premierminister war Mussawi von 1981 bis 1989 verantwortlich für die größte Hinrichtungswelle im postrevolutionären Iran. Auch Karroubi trägt als ehemaliger Parlamentspräsident Verantwortung für die massiven Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik. Ursprünglich handelte es sich bei dem Streit um die Präsidentschaftswahl also um einen Konflikt innerhalb der Herrscherbande. Daraus resultierte aber die größte Erhebung, die es bisher unter dem islamischen System gegeben hat.

Vierte Dekade: Kampf um die regionale Hegemonie (2009–2019)

Die durch die USA geführte Militärintervention im Irak hatte 2003 eine massive Verschiebung der Machtverhältnisse in Vorderasien eingeleitet. Der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein und die Planlosigkeit der Besatzer in der Nachkriegszeit führten einerseits zur Befreiung der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak und zugleich zur Entfesselung der Barbarei in den übrigen Teilen des Landes. Gesinnungsgenossen der Islamischen Republik, die zuvor noch erfolgreich unterdrückt oder in die Arme der Mullahs gejagt worden waren, übernahmen nun führende Positionen im Zweistromland. Der Irak war plötzlich nicht mehr "Feindesland", sondern "Bruderstaat" im Sinne der Islamischen Republik.

Ab 2010 trug auch der Arabische Frühling, der schnell in einen Herbst überging, zur Stärkung des iranischen Regimes bei. Infolge der Rebellion in Syrien gegen den Diktator Baschar al-Assad und des darauf folgenden Bürgerkriegs breitete sich ab 2011 der Islamische Staat aus. Auch im Irak, wo die Unzufriedenheit mit der neuen Regierung wuchs, übernahm die Terrororganisation Kontrolle über weite Teile des Landes. Ein größeres Bündnis konnte zwar letztlich das Kalifat besiegen, doch wo der Islamische Staat zurückgedrängt wurde, trat die Islamische Republik als Hegemon an seine Stelle.

Auch anderenorts versuchte der Iran mit allen Mitteln seinen politischen Einfluss auszuweiten. So stilisiert sich das Regime bis heute als Schutzmacht der Schiiten, um im Jemen einen Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien zu führen. Sicher hat das Ende der Sanktionen gegen den Iran nach dem Atom-Deal von 2016 das Streben der Islamischen Republik um die regionale Vormachtstellung befördert. Heute sind iranische Revolutionsgarden, Militärberater und Geheimdienstagenten im Irak, in Syrien und im Libanon so aktiv wie nie zu vor. Chomeinis Islamische Revolution hat also tatsächlich die Grenzen Israels erreicht.

Status quo und Zukunft

Nach wie vor werden im Iran politische Dissidenten, Frauen, Homosexuelle, Atheisten, ethnische sowie religiöse Minderheiten, und überhaupt alle, die sich ihres eigenen Verstandes bedienen, systematisch unterdrückt. Wer immer noch an eine befreiende Reformierung des Systems glaubt, hat Anerkennung für seine Lernunwilligkeit verdient. Einen "guten" Mullah, der für einen freien Iran eintritt, kann es unter dem Regime nicht geben, es sei denn, er sucht den Kampf gegen das System in der Illegalität. Der trügerische Glaube, dass die Alten nur abtreten müssen und die Jugend die Freiheit bringe, verkennt wiederum, dass sich das Regime bisher mit Erfolg reproduzieren konnte.

In dieser Situation zeigen Diplomaten westlicher Staaten ihre Ohnmacht und gehen einen neuen "islamischen Kompromiss" ein, indem sie bei Empfängen mit Vertretern der Islamischen Republik keinen Alkohol ausschenken, aus "Respekt" historische Statuen verschleiern lassen, weil diese nackt seien, und dem Regime aus "diplomatischen Gepflogenheiten" Glückwunsch-Telegramme zum Jahrestag der Revolution senden (s. o.). Darüber hinaus verhüllen sich Politikerinnen auch noch selbst, so wie Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) oder die "feministische Regierung" Schwedens, um mit den Mullahs zu sprechen. Konsequenterweise werden mittlerweile im Schloss Bellevue Mitglieder der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden" (IGS) hofiert, die offen die Zerstörung Israels fordern.

Von der riesigen iranischen Exilgemeinde geht aktuell kaum ein neuer Impuls aus, stattdessen wird das alte absurde Theater fortgesetzt: Die Sektenführerin der terroristischen Volksmodschahedin, Maryam Rajavi, lässt ihre Anhänger einmal pro Jahr nach Paris pilgern, um den "Widerstandsrat" zu feiern, der eine etwas andere islamische Herrschaft als die Mullahs im Iran anstrebt. Der alternde Schah-Sohn träumt in den USA von einer Restauration des iranischen Absolutismus und vergnügt seine noch ältere Fan-Gemeinde mit Forderungen nach Menschenrechten, die es unter seinen Eltern nie gegeben hat. Unterdessen ziehen sich viele Linke in ihre Taxis und Kopierläden zurück und bedauern, dass weder Theorie noch Praxis in irgendeiner Form von Erfolg gekrönt war. Aufgrund eines mangelnden kritischen Bewusstseins kommt es immer wieder zu massiven Fehleinschätzungen (so etwa durch Omid Nouripour, und zwar nicht nur im Jahre 2009), oder gar zu Verharmlosungen des islamischen Regimes (so wiederholt durch Mohssen Massarrat). Eine gefährliche Theoriefreiheit, die eigentlich disqualifizierend wirken müsste, geht vielfach mit einer schwammigen Terminologie und unreflektierten Begriffsverwendungen einher.8 Auch eine "Aufklärung" über eine Annäherung an den Islam – so der Ansatz muslimischer Autoren wie Navid Kermani – kann im Sinne einer tatsächlichen Aufklärung nicht zielführend sein.

Größtes Defizit und wesentliches Hindernis für einen Befreiungsakt im Iran ist, dass die Revolutionszeit immer noch nicht ausreichend aufgearbeitet wurde. Die Aufgabe progressiver Politik liegt darin, Widersprüche aufzudecken, Fehler offen zu legen und den Finger in die Wunde zu halten. Nach wie vor sind die wenigsten in der Lage, die Geschehnisse von 1978–1979 kritisch zu reflektieren. Stattdessen verharren sie in ihrer ideologischen Engstirnigkeit mit Urteilen wie: "die Revolution war ein Fehler" oder "die Revolution wurde uns geraubt".

Aus Geschichte kann gelernt werden. Es gab progressive Kräfte (darunter die Minderheitsfraktion der Organisation der Volksfedayin Iran), die aufgrund ihrer Kritikfähigkeit historisch richtige Entscheidungen getroffen haben: Anders als die Tudeh nahmen sie nicht die falschen Weisungen aus der Sowjetunion entgegen. Die Gruppe akzeptierte Chomeini nicht als Revolutionsführer und seinen Islamischen Revolutionsrat nicht als legitimes Entscheidungsgremium. Als die Revolution von oben für beendet erklärt wurde, ließ sich die Gruppe nicht entwaffnen und sie lehnte das von den Islamisten organisierte Referendum, "Islamische Republik: Ja oder nein", ab, weil "nein" eben nicht zwangsläufig die Rückkehr zur Schah-Diktatur bedeutete (so wie es viele bis heute behaupten). Nach dem Überfall des irakischen Diktators Saddam Hussein hat sich die Minderheitsfraktion der Volksfedayin nicht für einen vermeintlichen Antiimperialismus einspannen lassen, um für die Mullahs zu kämpfen und als "Märtyrer" zu sterben.

Trotz dieser richtigen Positionen sind letztlich auch die Volksfedayin gescheitert, denn sie haben es nicht geschafft, die iranische Bevölkerung aufzuklären. Wenn künftig eine Mehrheit zu dem Bewusstsein kommen sollte, dass falsche Kompromisse wie der "islamische Kompromiss" zum Scheitern verurteilt sind, besteht die historische Chance, radikal für Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität einzutreten. Die Möglichkeit eines Systemwechsels zu einer säkularen Staatsordnung ist gegeben, denn die Unzufriedenheit mit dem Regime wächst und Erhebungen (wie diejenige im Jahr 2018) können durchaus auch zum Ende der Islamischen Republik führen.


  1. Oliver M. Piecha, Das Jahr, das die Welt veränderte, in: Jungle World (dschungel), 5, 2019, S. 18–23. ↩︎
  2. Vgl. etwa tagesschau.de, Steinmeier rechtfertigt sich (25.02.2019) : https://www.tagesschau.de/inland/steinmeier-iran-117.html ↩︎
  3. Farshid Feridony, Transformationsprozesse in einer Islamischen Republik. Ökonomische, politische, und soziokulturelle Analyse der Entstehungs- und Kontinuitätsbedingungen der "Islamischen Republik Iran", Berlin 2000 ↩︎
  4. Interview der iranischen Zeitschrift Tehran-e Musawar mit Iraj Eskandar, abgedruckt in: Iran. Neue Diktatur oder Frühling der Freiheit?, hrsg. von Annemarie Stein, Hamburg 1979, 316–317 ↩︎
  5. Maziar Behrooz, Rebels with a Cause. The Failure of the Left in Iran, New York 1999, 126 ↩︎
  6. Hierzu etwa Michael Dobbs, U.S. Had Key Role in Iraq Buildup (30.12.2002) https://www.washingtonpost.com/archive/politics/2002/12/30/us-had-key-role-in-iraq-buildup/133cec74-3816-4652-9bd8-7d118699d6f8/?utm_term=.7f47508feb32 und Glenn Kessler, History lesson: When the United States looked the other way on chemical weapons (04.09.2013) https://www.washingtonpost.com/news/fact-checker/wp/2013/09/04/history-lesson-when-the-united-states-looked-the-other-way-on-chemical-weapons/ ↩︎
  7. Vgl. dazu etwa den Artikel Holger Stark, Explosive Daten aus Teheran, in: Die Zeit, 38, 12.9.2018 https://www.zeit.de/2018/38/iran-israel-atomprogramm-mossad ↩︎
  8. Vgl. bspw. den inflationären Gebrauch des Wortes "faschistisch". ↩︎