"China Science Investigation"

Helfen deutsche Forscher dem chinesischen Militär?

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Bundesminister Alexander Dobrindt und Prof. Dr. Wan Gang, Minister für Wissenschaft und Technologie der Volksrepublik China (2014)
Alexander Dobrindt und Prof. Dr. Wan Gang

Universitäten und Forscher*innen in Europa arbeiten chinesischen Militäreinrichtungen zu. Das zeigt die internationale Recherche "China Science Investigation". In chinesischer Militär-, Roboter- und Überwachungstechnik steckt also auch deutsche Grundlagenforschung.

Unter der Leitung des deutschen gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv und der niederländischen Plattform Follow the Money haben 30 Journalist*innen in sieben europäischen Ländern etwa 350.000 wissenschaftliche Studien von Januar 2000 bis Februar 2022 ausgewertet. Die Gruppe mit dem Projektnamen "China Science Investigation" entdeckte etwa 349 wissenschaftliche Veröffentlichungen, in denen Forschende an deutschen Hochschulen mit chinesischen Kolleg*innen aus Militäreinrichtungen zusammengearbeitet haben, in ganz Europa waren es mindestens 2.994 Fälle.

Die Naivität der europäischen Forschenden

Riskant werden Forschungsprojekte dann, wenn die Ergebnisse nicht nur zivil, sondern auch militärisch genutzt werden können. Im äußersten Fall kann es bedeuten, dass wissenschaftliche Erkenntnisse etwa dem Atomprogramm eines Landes zur Aufrüstung dienen, heißt es bei der Süddeutschen Zeitung (SZ). Die Grenze zwischen zivil und militärisch nutzbarem Wissen sei fließend. Eine Grenzziehung werde aber quasi unmöglich, wenn Universitäten wie in China nicht vom Staat getrennt sind, sondern unter der Kontrolle der Partei stehen.

Die Journalist*innen konnten ermitteln, dass bei ungefähr zwei Dritteln der Veröffentlichungen deutscher Wissenschaftler mit militärischen Einrichtungen Forschende der chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik der Landesverteidigung (NUDT) in der Autorenzeile stehen. Die NUDT unterstehe direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten Verteidigungsgremium Chinas, der Vorsitzende der Kommission sei Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich.

Forschung und Lehre sind frei

Experten warnten schon länger vor einer Gutgläubigkeit in der europäischen Wissenschaft: Nicht immer sei klar, ob Forschungsergebnisse nicht auch militärischen Zwecken dienen könnten. Viele Forschende gingen davon aus, dass es ihren Kooperationspartnern stets ein Anliegen sei, die "universelle Wissenschaft" voranzutreiben, sagt die China-Expertin Mareike Ohlberg von der US-Denkfabrik German Marshall Fund gegenüber der SZ.

Verboten sei die Zusammenarbeit mit solchen Universitäten in Europa nicht, räumen die Autoren der Untersuchung ein. Denn Forschung und Lehre sind frei, in Deutschland ist dieser Grundsatz in der Verfassung verankert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Leopoldina hätten laut SZ schon 2014 gemeinsame Empfehlungen zu "Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung" veröffentlicht. Aus Sicherheitskreisen sei allerdings zu hören, dass deutsche Universitäten und Forschungsinstitute trotz der Empfehlungen zu naiv mit dem Kooperationspartner China umgingen.

Die absolute und alleinige Supermacht

Wie der Deutschlandfunk berichtet, habe sich Chinas Außenpolitik seit dem Regierungsantritt Xi Jinpings 2013 stark geändert. Im Jahr 2049 wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt; nach Vorstellungen der Partei soll das Land bis dahin die technologische, wirtschaftliche, politische und militärische Supermacht sein. Um dieses Ziel zu erreichen, nutze die Volksbefreiungsarmee nicht nur Spionage und Hacking, sondern auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Das kann auch ganz subtil vor sich gehen. "Wir haben mit unseren Partnern rund 30 Lebensläufe chinesischer Spitzenforscher aus wichtigen Bereichen wie Physik oder Chemie, die mindestens drei Jahre in Deutschland verbracht haben, im Detail angeschaut. Alle diese Wissenschaftler forschen und lehren heute an chinesischen Elite-Universitäten, die eng mit dem Militär kooperieren. Fast die Hälfte von ihnen kam mit einem Humboldt-Forschungsstipendium nach Deutschland", sagt etwa Sandra Petersmann, Head of Research & Investigations bei der Deutschen Welle.

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