Der Israelkenner, Journalist, Buchautor, Reiseleiter und Theologe Wolfgang Sotill nennt als Hauptziel seines Buches, Fakten zu Israel zu vermitteln, Zusammenhänge aufzuzeigen und Klischees aufzubrechen. Was als Buchtitel nach einfacher Reiseliteratur klingt, erweist sich als fundierte Auseinandersetzung mit Israel in seinen vielen Facetten zur Geschichte, Religion, Kultur, Politik und zum Alltagsleben; das inhaltliche Spektrum ist dementsprechend breit und reicht vom Nahost-Konflikt bis zum jüdischen Witz.
Der Autor nennt Israel ein Verwirrspiel des Intellekts, aber auch der Gefühle, es sei weder kulturell, noch religiös, noch politisch eindimensional. Die Beschäftigung mit diesem Land erfordere eine offene Gedankenwelt, in der es viele Fragen mit zahlreichen unterschiedlichen Antworten gibt, die zu neuen Kategorien der Kultur-, Religions- und Geschichtsbetrachtung führen. Sotill wünscht sich, dass Israel nach der Lektüre des Buches mit neuen Augen gesehen wird; ohne unkritische Jubelstimmung, aber auch ohne Vorurteile: "Das ist es, was Israel verdient. Nicht mehr und nicht weniger."
Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte: "Land und Leute" behandelt in 14 als Fragen formulierten Kapiteln Themen, die für das Verstehen Israels wichtig sind und die man kennen sollte, wenn man das Land bereist. Wie gefährlich ist eine solche Reise? Welche Orte sollte man unbedingt besuchen? Was macht Jerusalem so heilig, so schwierig, so einzigartig? Wer ist das überhaupt, ein Jude? Was hat Europa mit dem Konflikt im Nahen Osten zu tun? Wann hören die Juden endlich auf, vom Holocaust zu reden? Diese und zahlreiche weitere Fragen bieten mit ihren zum Teil tatsächlich überraschenden Antworten ein Kaleidoskop des Lebens, wie auch der Probleme und Krisen in Israel. Auch humorige Anmerkungen und persönliche Anekdoten kommen dabei nicht zu kurz; so zum Beispiel wird die spirituelle Dimension von Jerusalem mit "heilig für die halbe Menschheit" und "jedes Gebet ist ein Ortsgespräch mit Gott" nahegebracht und das Sprachengewirr Israels (Hebräisch, Jiddisch, Arabisch) mit mehreren Beispielen erhellt.
Der Abschnitt "Judentum, Christentum, Islam" widmet sich mit 24 Fragen vorwiegend der Bedeutung von Israel, insbesondere von Jerusalem, für die drei monotheistischen Weltreligionen und den sich daraus ergebenden Folgen; dass der Autor auch Theologe ist, wird dabei deutlich erkennbar. Woran glauben Juden? Warum ist der Platz des Felsendoms auch Juden heilig? Wer ist ein orthodoxer Jude? War Jesus Jude? Warum lehnen die Juden Jesus als Messias ab? Warum ist Jerusalem die drittheiligste Stadt im Islam? Warum steht über Maria im Koran mehr als in der Bibel? Die Antworten beleuchten die Entwicklungen dieser drei Religionen bis hin zu den Problemen, die sich aus ihren Verbindungen, Verflechtungen, Verschränkungen in ihren Varianten und Auslegungen – von moderat bis ultraorthodox – im heutigen Israel ergeben. Historische Betrachtungen über das Land zur Zeit Jesu, zu Aussagen des alten und neuen Testaments, zur Kreuzigung als "grausamste und fürchterlichste Todesstrafe der Menschheitsgeschichte" (Cicero) ergänzen die Ausführungen, wobei auch Antworten zu Fragen des alltäglichen Lebens nicht zu kurz kommen: Wird an der Klagemauer nur geklagt? Wie begehen Juden den Schabbat? Wie schmeckt koscheres Essen?
Neben Betrachtungen über Land und Leute vermittelt das Buch sehr viel religionskundliches Wissen; ohne inhaltliche Wertung beschreibt Wolfgang Sotill Grundlegendes der drei Religionen bis hin zu ihren heiligen Schriften und Ritualen, wobei Außenstehenden Vieles extrem seltsam erscheint. Die starke Zunahme orthodoxer Juden (sie haben wesentlich mehr Kinder als säkulare) in Israel mit ihrem Beharren darauf, dass ihnen das Land von Gott zugeeignet worden sei, führt zur Vertiefung innerisraelischer Spannungen und vermindert neben anderen Erscheinungen – auch von arabischer Seite – die Chancen auf eine Friedenslösung in der Region. Die Antworten auf Fragen wie "Sind Araber in Israel auch Palästinenser? Warum versetzen die Kreuzfahrer die Araber noch immer in Angst? Sind die Siedler ein Hindernis für den Frieden?" verdeutlichen das schwierige Verhältnis Israels zu Palästina bzw. von Juden zu Arabern, wobei der Autor die derzeitige Entwicklung mit wenig Optimismus bewertet.
Neben den Problemen und negativen Erscheinungen beschreibt das Buch auch zahlreiche alltägliche – heitere und ernste, tiefgründige und oberflächliche – Aspekte des Lebens in Israel. Mit der Frage "Was hat das Judentum für die Welt geleistet?" werden die zentralen Errungenschaften von Monotheismus, das Verbot von Menschenopfern, die Demokratisierung der Religion und der Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe und damit von der Wertgleichheit der Menschen erörtert. Dass das jüdische Lehr-, Lern- und Bildungssystem weltweit einzig dasteht und überragende Erfolge zeitigte bzw. noch immer zeitigt (1/3 aller Nobelpreisträger seit 1901 sind Juden) ist unbestritten, die Frage "Sind Juden intelligenter als Nichtjuden?" wird vom Autor mit dem Hinweis auf das Bildungssystem verneint. "Sind die Juden ein auserwähltes Volk?", wie ihre orthodoxen Religionsvertreter meinen, wird von ihm ebenfalls verneint; Juden sind seiner Ansicht nach kein "auserwähltes", aber ein "besonderes" Volk. Das Judentum mit seiner 4.000-jährigen Geschichte und Kulturentwicklung könne nicht nur auf eine einzigartige Beständigkeit unter allen (untergegangenen) antiken Völkern, sondern auch auf eine einzigartige Entwicklung unter allen Völkern verweisen.
Der dritte Abschnitt des Buches "Zeittafel" vermittelt unter "Was war wann" gut gegliedert die Geschichte der Israeliten bzw. Israels seit 3.760 vor Christus, als Zeitpunkt der Schöpfung der Welt nach mythologisch jüdischer Zeitrechnung. Nach Jahreszahlen geordnet werden die Zeit der Patriarchen, der Richter, der Könige, die hellenistische Zeit, Römerherrschaft, Kreuzfahrerzeit, Zeit der Osmanen usw. bis hin zur Staatsgründung 1948 mit wichtigen Kenndaten und Ereignissen beschrieben. Diese Ausführungen und die darauf folgenden Anmerkungen und Literaturhinweise sowie eine Empfehlung für Orte, die man als Israelbesucher unbedingt aufsuchen sollte, bilden eine gute Ergänzung der vorangegangenen Inhalte.
Das vorliegende Werk führt in ein orientalisches Land voller Heiligtümer und kultureller Sehenswürdigkeiten, voll alter und aktueller Geschichte, voller Konflikte, aber auch voller erstaunlicher Erfolge. Es gelingt dem Autor, die zahlreichen Aspekte und Gegensätze Israels nicht nur sachlich darzulegen, sondern Geschichte auch mit Geschichten zu verbinden und damit emotionell nahezubringen. Man spürt des Autors Bemühen, neutral und möglichst unparteiisch zu berichten – seine Affinität für Religionen und zum Staat Israel bleibt dabei erkennbar. Wolfgang Sotill versteht es, ein vielseitiges, farbiges Gesamtbild von Israel auf literarisch hohem Niveau zu vermitteln, negative Entwicklungen und kritische Anmerkungen werden nicht ausgespart. "Israel – 40 einfache Fragen, 40 überraschende Antworten" ist ein Buch, das einschlägig Interessierten ohne Einschränkung empfohlen werden kann.
Wolfgang Sotill: "Israel – 40 einfache Fragen, 40 überraschende Antworten", Styria Verlag, Wien-Graz, 2019, ISBN 978-3-222-13634-4, 239 Seiten.
1 Kommentar
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Das Judentum mit seiner 4.000-jährigen Geschichte und Kulturentwicklung …"
Wenn dies die Meinung des Autors Sotill ist, dann hat er offenbar nicht begriffen, dass das, was heute Juden selbst als Judentum definieren - nämlich den ersten (?) Monotheismus - erst im 6. Jh. v.u.Z. definiert wurde. Vor 2.600 Jahren begann in Babylon die fatale Einbildung, es gäbe nur einen Gott und der sei der Gott Israels. Alle anderen seien falsche Götter, bzw. Götzen (Jan Assmanns "mosaische Unterscheidung").
Damit wurde der Religionskrieg erfunden, weil sich das die anderen nicht gefallen ließen. Die Entwicklung das Judentums zu seiner heutigen Form zog sich mindestens bis ins 2. Jh. v.u.Z. hin und manche sagen, dieser Prozess sei bis heute nicht abgeschlossen (weit entwickelte Streitkultur innerhalb der Rabbinerschaft).
In keinem Fall ist das Judentum als Monotheismus 4.000 Jahre alt. Da dies heute in der Geschichtswissenschaft und selbst in der Theologie nicht ernsthaft bezweifelt wird, frage ich mich, was die Ursache für dieses Unverständnis beim Autor ist...