Kreuzerlass - Bayerns Staatskanzlei verwickelt sich in Widersprüche

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"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz
"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz

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"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz
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"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz
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"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz
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"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz
"Religionsfreie Zone" auf dem Münchner Marienplatz

Ein Artikel des Humanistischen Pressedienstes und die dadurch ausgelösten politischen Reaktionen haben dazu geführt, dass sich die bayerische Staatsregierung beim Thema "Kreuze in bayerischen Amtsstuben" in argumentative Widersprüche verwickelt. Das wiederum könnte bedeuten, dass die Position von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im noch laufenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geschwächt ist. Und er am Ende gerichtlich dazu verpflichtet wird, den sogenannten Kreuzerlass zurückzunehmen.

Nach dem "Kreuzerlass" aus dem Jahr 2018 ist in Bayern "im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen".

Die Vorgeschichte

In einem Artikel vom 20. März hatte der hpd berichtet, dass sich Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche verletzt fühlen. Konkret geht es dabei um das Kreuz in der bayerischen Staatskanzlei, das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Jahr 2018 höchstpersönlich an die Wand gehängt hatte. Das Kreuz ist ein Geschenk des ehemaligen Münchner Kardinals Friedrich Wetter. Diesem war im Januar 2022 im Münchner Missbrauchsgutachten Fehlverhalten im Umgang mit 21 Fällen vorgehalten worden. Ein vom kirchlichen Missbrauchsskandal Betroffener beklagte gegenüber dem hpd:

"Warum sollte ausgerechnet in einem staatlichen Gebäude weiterhin ein Geschenk von jemandem hängen, der nachweislich schwere Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfällen zu verantworten hat? Ich sehe es als ein Zeichen des Respekts gegenüber den Opfern an, dieses Kreuz zu entfernen".

Die Staatskanzlei, vom hpd mit diesen Vorwürfen konfrontiert, drückte sich um die angefragte Stellungnahme. Doch diese Verweigerungshaltung ließ sich gegenüber der von der Redaktion parallel auf das Thema angesprochenen Opposition im bayerischen Landtag nicht halten. Nach der Veröffentlichung des Themas im hpd sagte Gabriele Triebel, Sprecherin für Bildung, Religion und Erinnerungskultur der Grünen-Landtagsfraktion auf ihrem Instagram-Kanal:

"Stifter dieses Kreuzes war ein Vertuscher von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, Kardinal Wetter. Missbrauchsbetroffene fordern jetzt, dass dieses Kreuz ausgetauscht wird."

Triebel wählte aber nicht nur den Weg der sozialen Medien, sondern wandte sich auch offiziell an die Staatskanzlei.

Grüne und SPD schalten sich ein

Staatsminister Florian Herrmann antwortete ihr daraufhin dies:

"Das Kreuz ist ein Symbol des Friedens und in der christlichen Theologie eng verknüpft mit Schuld, Sühne und Versöhnung. Völlig unbestritten ist, dass die katholische Kirche das unermessliche Leid des jahrzehntelangen Missbrauchs anerkennen und das Fehlverhalten ihrer Amts- und Würdenträger aufarbeiten muss. Das Abhängen eines Kreuzes ist jedoch schon im Ansatz kein geeigneter Schritt der Aufarbeitung, sondern soll allein zur sozialen Ächtung einer Person führen. Damit wird die innere Bedeutung des Kreuzes komplett verkannt."

Schon in dieser Antwort kommt zum Ausdruck, dass die Staatskanzlei nicht mehr wie bislang nur mit der "geschichtlichen und kulturellen Bedeutung des Kreuzes" argumentiert. Mit diesem Kniff hatten sich Ministerpräsident Söder und seine regierende CSU bekanntlich bisher herausgeredet, man wolle mit dem Kreuzerlass nicht eine einzelne Religion bevorzugen. Dabei ist doch offenkundig, dass es sich bei dem Kreuz um das christliche Symbol schlechthin handelt. Wer sich als Bürger in einer bayerischen Amtsstube um sein Anliegen kümmert und entweder einer anderen Religion angehört oder aber konfessionsfrei ist, kann nur zu dem Schluss kommen, dass hier das staatliche Neutralitätsgebot verletzt ist.

Angestoßen durch den oben genannten Artikel des hpd stellte die SPD-Abgeordnete Katja Weitzel im Bayerischen Landtag (Drucksache 19/5941 vom 17.03.25) diese Anfrage:

"Ich frage die Staatsregierung, trifft es zu, dass in der Staatskanzlei ein Kruzifix hängt, das als Geschenk der Erzdiözese München und Freising vom ehemaligen Kardinal Friedrich Wetter an den Freistaat Bayern überreicht wurde, falls ja, ist der Staatsregierung bekannt, dass das von einem von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Betroffenen als Provokation empfunden wird, falls ja, wie begegnet die Staatsregierung den Einlassungen des Betroffenen?"

Antwort der Staatskanzlei:

"Als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung befindet sich seit 2018 im Eingangsbereich zur Staatskanzlei ein Kreuz. Es ist nicht das Kreuz eines Einzelnen, sondern wurde im Sinne der Prägung von Vertretern beider christlicher Konfessionen geweiht bzw. gesegnet. Die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Vorschriften hat das Bundesverwaltungsgericht Ende 2023 höchstrichterlich bestätigt.

Das Kreuz ist Symbol des Friedens und in der christlichen Theologie eng verknüpft mit Schuld, Sühne und Versöhnung. Unabhängig davon ist völlig unbestritten, dass die katholische Kirche das unermessliche Leid des jahrzehntelangen Missbrauchs anerkennen und das Fehlverhalten ihrer Amts- und Würdenträger aufarbeiten muss."

Bayerische Staatskanzlei schwächt eigene juristische Position

Die Staatskanzlei spricht von der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Sie lässt aber unerwähnt, dass der Fall derzeit noch vor einer höheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, anhängig ist. Und: Wie schon in der Antwort an die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel verwickelt sich die Staatskanzlei in eine widersprüchliche juristische Argumentation. Nur kurz ist noch von Kultur und Geschichte Bayerns die Rede. Ausdrücklich wird auf die christliche Symbolik, auf Schuld, Sühne und Versöhnung Bezug genommen. Schwächt das die Argumentation der bayerischen Staatsregierung im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht?

Das wollte der hpd von Hubert Heinold wissen. Der Münchner Rechtsanwalt vertritt den Bund für Geistesfreiheit München und den Bund für Geistesfreiheit Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht in dem noch laufenden Verfahren in Karlsruhe gegen den Kreuzerlass. Heinold erläutert zunächst die grundsätzliche Rechtsfrage, die die höchsten Richter entscheiden müssen.

"Die von uns vertretenen Beschwerdeführer stehen als anerkannte Weltanschauungsgemeinschaften in direkter Konkurrenz zu den christlichen Kirchen. Denn das staatliche Neutralitätsgebot verbietet die Bevorzugung einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Die gut sichtbare Präsentation nur des Symbols der Christen in öffentlichen Gebäuden mag in früheren Zeiten dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche entsprochen haben. Nach dem heutigen Verfassungsverständnis hat sich jede staatliche Gewalt den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber neutral zu zeigen. Dies ist auch das Ergebnis der Bevölkerungszusammensetzung. Nach dem Zensus vom 15.05.2025 waren 48,2 Prozent der deutschen Bevölkerung Mitglieder der evangelischen und römisch-katholischen Kirche während 51.8 Prozent anderen oder keinen Weltanschauungsgemeinschaften angehörten oder hierzu keine Angaben machten."

Zu der in den aktuellen Antworten der Staatskanzlei gegebenen Einschätzung sagt Heinold:

"Aussagekern ist, dass das Kreuz ein Symbol des Friedens sei und in enger Verknüpfung mit Schuld, Sühne und Versöhnung stehe. Damit ist die frühere Behauptung, die Präsentation dieses Symbols diene nur historischen und kulturellen Zwecken, widerlegt."

Im Übrigen, so Heinold, sei es nicht Sache einer Landesregierung, ein religiöses Symbol zu interpretieren. "Im Gegenteil", so Heinold, "jede Interpretation ergreift Partei, weil sie inzident eine andere für irrig erklärt". So würden das Gebot staatlicher Neutralität und die Rechte Andersdenkender verletzt und gesellschaftlicher Unfrieden gestiftet.

Auch dass das Kreuz "Symbol des Friedens" sei, hält Heinold "in dieser Schlichtheit" für falsch. "Die einen mögen das Kreuz als Appell zum Frieden verstehen, viele erinnert es jedoch an die Kreuzzüge und die Grausamkeiten, die in seinem Namen begangen wurden". Und in der Gegenwart gelte das noch einmal in besonderer Weise:

"Dass die Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Ambiente die Mahnungen der Staatsregierung zur Aufarbeitung nicht ernst nehmen können, wenn diese gleichzeitig das Kreuz, das Symbol ihres Leides, als Ausdruck der kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar in ihren Behörden präsentiert, ist nachvollziehbar. Sie können darin nur eine Provokation und kein Versöhnungsangebot und eine Anbiederung an reaktionäre Kreise erblicken."

Heinold wird die Antworten der Staatskanzlei auf die Anfragen von SPD und Grünen in das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einbringen. Das dürfte den höchsten Richtern die Doppelzüngigkeit verdeutlichen, mit der Söder und seine CSU argumentieren.

Deutliche Kritik auch von anderer Seite

Übrigens widmet auch der jüngste Grundrechte-Report 2025, über den der hpd berichtet hat, dem Kreuzerlass ein eigenes Kapitel. Professorin Kirsten Wiese von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), Hamburg klagt an:

"Indem der bayerische Staat seinen Behörden für alle sichtbare Kreuze verordnet, erweckt er zumindest den Anschein einer Nähe zum Christentum und einer Distanz zu anderen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen. Selbst wenn das Christentum Teil der bayerischen Kultur sein sollte, betont die Landesregierung mit dem Kreuz als ursprünglich christlichem Symbol ausschließlich den christlichen Aspekt dieser Kultur. Damit nimmt sie in Kauf, dass Anders- und Nichtgläubige sich im Land weniger willkommen fühlen. Das aber widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen. Die Verwaltung ist ebenso wie die Gerichte bis ins Kleinste durchformalisiert; das Kreuz in der Amtsstube aber erweckt den Anschein behördlicher Parteilichkeit und widerspricht dem Grundsatz des unparteiischen Verwaltungsverfahrens."

Wiese schließt sich der Forderung an, statt des Kreuzes den Text von Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz anzubringen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Einen anderen, satirischen und doch gleichzeitig ernst gemeinten Ansatz, den Kreuzerlass zu Fall zu bringen, verfolgt die Kunstaktion "Kreuz der Vielfalt", über die der hpd ebenfalls berichtet hat. Die Initiative demonstrierte am vergangenen Wochenende (siehe Foto-Strecke) zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung und dem Bund für Geistesfreiheit München zum siebten Jahrestag von Söders Kreuzerlass am 1. Juni mit einer "Religionsfreien Zone": Auf dem Münchner Marienplatz gab es ein "Straßenspektakel" mit Redebeiträgen und Musik, um das Thema auch in der Öffentlichkeit wach zu halten. Die Botschaft: Für ein weltoffenes, säkulares und weltanschaulich neutrales Bayern und gegen einseitige religiöse Bevorzugung im öffentlichen Raum.„“

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