Wenn ein Arzt einen Patienten ohne medizinische Indikation über Jahre am Leben erhält, hat er Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu befürchten. Der 1. Senat des Oberlandesgerichts München entschied nun, dass dem Kläger als Alleinerben seines verstorbenen Vaters, der in den Jahren 2010 und 2011 mittels PEG-Sonde künstlich ernährt worden war, Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche gegen den behandelnden Hausarzt zustehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die sich seit mehr als 37 Jahren für die Selbstbestimmung bis zum Lebensende einsetzt, begrüßt dieses Urteil. DGHS-Präsident Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher: "Die Entscheidung für eine Haftungspflicht für eine medizinisch nicht indizierte Weiterbehandlung bei schwerem Leidenszustand ist ein wichtiges Signal. Sie dürfte Folgen für die Praxis haben." Es werde, so Birnbacher, in der öffentlichen Diskussion noch viel zu wenig hinterfragt, dass die Weiterbehandlung von schwer leidenden Kranken ohne Besserungsaussichten um der reinen Lebenserhaltung willen häufig nicht nur immenses Geld kostet, sondern auch für die Patienten zu einer unzumutbaren Belastung werden kann. Der Primat der Autonomie und des Wohlbefindens des Patienten ist erst kürzlich in der Neufassung des "Genfer Gelöbnisses" betont worden.
Von 2006 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 war der schwer demente Mann mit einer Magensonde ernährt und damit künstlich am Leben gehalten worden. Vor dem Landgericht München I verklagte der Sohn des Verstorbenen dessen Arzt auf Schmerzensgeld sowie auf Ersatz von Behandlungskosten. Nach der Argumentation des Klägers habe die fortgesetzte künstliche Ernährung das Leiden seines Vaters unnötig verlängert und sei jedenfalls im letzten Lebensjahr nicht mehr medizinisch indiziert gewesen. Der Sohn hatte laut Rechtsanwalt Wolfgang Putz zu Lebzeiten des Vaters vergeblich zu erreichen versucht, dass die Behandlung mit der Magensonde beendet wird. Nun verlangt er rund 100.000 Euro Schmerzensgeld und rund 52.600 Euro Behandlungskosten.
In erster Instanz hatte das Landgericht die Klage abgewiesen (Urt. v. 18.1.2017 – 9 O 5246/14), jedoch festgestellt, dass die Lebensverlängerung tatsächlich nicht mehr dem medizinischen Standard entsprach. Da weder eine Patientenverfügung vorlag noch der mutmaßliche Wille des Vaters erforscht werden konnte, hatte der Arzt den Betreuer des Patienten zu konsultieren. Das Versäumnis des Arztes stellte aus Sicht des Gerichts einen Behandlungsfehler dar. Die Klage des Sohnes scheiterte damals jedoch daran, dass er nicht habe nachweisen können, dass er oder der Betreuer die Absicht gehabt hätten, die Behandlung infolge einer ordnungsgemäßen ärztlichen Konsultation abzubrechen.
Der Fall geht möglicherweise in nächster und letzter Instanz an den Bundesgerichtshof. (DGHS)
2 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
wie sagte Karl-Heinz Deschner. die Gerichte geben sich als Kür aus, aber in Wirklichkeit ist es einfach Willkür. (so sinngemäß, nach meiner Erinnerung).
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Grundsätzlich ist eine künstliche Verlängerung des Lebens nicht immer notwendig.
In diesem Fall sind zwei Fragen wichtig:
1) Hat der Sohn als Vertreter des Vaters wirklich den Abbruch der lebensverlängernden Maßnahmen gefordert? (das scheint nicht eindeutig bewiesen zu sein)
2) Wie schmerzhaft war für diesen Patienten der Abbruch der künstlichen Ernährung bis zum Tod? (für einen gesunden Menschen ist das Verhungern eine schmerzhafte Prozedur, soviel ich weiß)