Kolumne: Sitte & Anstand

Mach dich bereit für das Geld

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Mit der richtigen inneren Einstellung füllt sich das güldene Töpfchen – nicht.

Der Neoliberalismus ist die erste Religion, die sich nicht als solche zu erkennen gibt. Seine Propheten sind "spirituelle" Wegweiser wie Laura Malina Seiler.

Der Neoliberalismus ist die erste Religion, die sich nicht als solche zu erkennen gibt, und deswegen wird es länger dauern, ihn wieder loszuwerden. Der Neoliberalismus sagt, unter anderem: Jeder sei seines Glückes Schmied. Seines Unglücks aber auch. Die Kraft menschlicher Solidarität und des Ausgleichs ist dem Neoliberalismus widrig, er behauptet und muss behaupten: Der Mensch sei vereinzelt. Was ihm geschehe, habe er nur sich selbst zu verdanken, im Guten wie im Schlechten. Im Neoliberalismus ist das Individuum abgeschnitten vom Beflügelnden des Miteinanders, vom Segen der Großzügigkeit, der Freundschaft. Unsere Lebenswelt soll nicht als soziales Konstrukt erkannt werden, sie soll nicht analysierbar und nicht veränderbar sein.

Der Neoliberalismus will, dass wir uns mit unseren Wünschen und Hoffnungen nach innen wenden, statt die Hände der Mitmenschen zu ergreifen, und die Spirituellen sind sein Prophet. Wer immer unglücklich und beladen sich zu ihnen wendet mit Liebeskummer, Geldsorgen und Krankheit, wird zu hören bekommen: Du hast es selber in der Hand. Du musst etwas in deinem Inneren ändern. Deine Denke ist falsch. Deine Gefühle sind falsch. Deine Zweifel und Unsicherheiten sind gefährlich. Du musst dich öffnen. Alle echten Probleme, die die Menschen haben, alle Ungerechtigkeiten werden weggewischt, die Welt wird eingedampft – zu "Energie". Die Spirituellen haben nämlich in der 8. Klasse mal ein Buch über Physik in der Hand gehabt, sie haben es gelesen wie ein Märchenbuch und ziehen daraus die Superpower zu sagen: Ach, egal alles. Deine Sorgen sind nicht echt. Was Dich in der Welt stört, vergiss. Wende dich deiner inneren Welt zu, und ich sage dir, wie das geht.

Laura Malina Seiler ist eine Autorin sich gut verkaufender Bücher, sie hat grob 100.000 Follower auf Youtube, mit ihren Auftritten füllt sie große Hallen, sie ist die dauerhaft gut gelaunte Nachbarin, nach der viele sich sehnen. Die Entpolitisierung der Menschen ist ihr Programm: Hast du Ärger im Job oder wirst du ausgebeutet, gemobbt, auf Hartz IV gesetzt – hey, schau mal nach innen drinnen bei dir, mach die Augen zu, und zauber, zauber, zack wird alles gut. Wie gut! Da die Corona-Krise viele Menschen in tiefe Nöte stürzt, wird der Eine oder die Andere sich nun noch mal Seilers Video reinziehen, das den Zufluss beliebiger Geldsummen verspricht – wenn er oder sie es nur richtig anpackt. Und das geht wie? Beinharte Gehaltsverhandlungen? Bezahlte Überstunden?  Lotto, Toto, Rennquintett?

Nein. Das ist viel zu strukturiert gedacht. In solchen Gedanken kommt noch die Außenwelt vor, und wie man weiß, ist die oft komplex und bockig. Begebe man sich also meditativ in die Innenwelt, dorthin, wo alles bei verschlossenen Augen zu "Energie" eingeschmolzen und beliebig transformiert wird, das große Meisterstück der Selbstverarsche: Wenn man nur fest genug an den eigenen Zaubertrick glaubt, kann es nicht sein, dass er dann wahr wird?

Geld jedenfalls, so erfahren wir, sei, wie alles im Universum, na, was? "Energie". Und wenn man weniger hat, als man sich wünscht, liegt das woran? Genau. Man hat "Blockierungen" in seinem Inneren. Und die macht Frau Seiler nun weg. Damit das "Geld einfach leichter in dein Leben fließen kann": Man atme also tief durch die Nase ein, durch den Mund wieder aus. Man erinnere sich an einen Zeitpunkt im Leben, als man zum ersten Mal gedacht habe: "Ich habe es nicht verdient, ich bin dafür nicht gut genug." Oder: "Ich will ein guter Mensch sein und darf deswegen kein Geld haben." Klingt bekannt? Nicht unbedingt, gehört aber fest zum Programm: Irgendwer (Die Mama? Der Papa?) habe einem irgendwann erzählt, man sei für irgendwas nicht gut genug. Und das lässt man nun fallen. Fallenlassen aber sieht so aus, dass man sich nun, da die blöden Eltern immer nur rumgegrummelt haben, mit "der universellen Liebe verbindet", welche ein "weißgoldenes Licht" sei, und dieses weißgoldene Licht fließe nun "über das Steißbein ins Herz", worauf ...

Ach, schauen Sie selbst. Eine Viertelstunde für den Turnaround: "Geld fließt immer zu mir, Geld ist Liebe!" Und Liebe kann man ja immer gebrauchen – vor allem die großen Scheine.

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