Eine interessenstheoretische Antwort von Norbert Hoerster

"Was ist Moral?"

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Der Rechts- und Sozialphilosoph Norbert Hoerster kritisiert in dem kleinen Band "Was ist Moral?" anthropologische, religiöse und vernunftrechtliche Moralbegründungen, um ihnen seinen interessenstheoretischen Ansatz entgegenzustellen. Unabhängig davon, wie man zu dieser Begründung steht, lohnt die Auseinandersetzung mit der Kritik und den Positionen, um in dieser Hinsicht bezogen auf das Moralverständnis das eigene Profil zu schärfen.

Auch im Alltagsleben werden Moralnormen vertreten, nicht nur in der Philosophie. Im erstgenannten Bereich findet häufig keine Erörterung darüber statt, welche genaue Begründung eben für welche Moralinhalte spricht. Häufig setzt man das eigentlich Gemeinte aufgrund von sozialen Gewohnheiten voraus. Doch mit nur einigen Anmerkungen kann diese inhaltliche Selbstgewissheit sehr schnell ins Wanken geraten, werden dazu provozierende Einwände wie etwa bei dem alten Sokrates erhoben. Insofern ist die Frage "Was ist Moral?" auch heute noch von grundlegender Relevanz. Ein kleines Büchlein von gerade mal knapp über hundert Seiten liegt dazu vor. Entsprechend lautet auch "Was ist Moral? Eine ganz kleine Einführung" der Titel. Geschrieben wurde die Abhandlung von Norbert Hoerster, der lange Jahre als Professor für Rechts- und Sozialphilosophie gelehrt hat. Er legt mit dem Band indessen keine neutrale Einführung vor, wird darin doch gegen bestimmte ebenso wie für bestimmte Moralbegründungen in einem argumentativen Sinne plädiert.

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Der Autor umreißt gleich zu Beginn zentrale Problemstellungen: Ist bezogen auf den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext dann Moral nur relativ? Oder lässt sie sich mit den Geboten der Vernunft gut begründen? Und: Mit welcher Methode kann ein solches allgemeingültiges Moralverständnis begründet werden? Bevor aber dazu ablehnende und zustimmende Antworten formuliert werden, geht es um eine Definition, die auf eine soziale Norm mit universaler Zustimmung abzielt. Bereits bei diesen einleitenden Erörterungen veranschaulicht Hoerster, welche unterschiedlichen und widersprüchlichen Auffassungen von Moral es geben kann und in welchem inneren Spannungsverhältnis sie miteinander stehen können. Dabei bedient er sich immer wieder dem Alltagsleben als Quelle, werden doch so moralische Ansprüche und deren innere Legitimationsproblematik anschaulicher verständlich. Anschließend setzt sich der Autor mit diesen Beispielen von Normen dann argumentativ auseinander, wobei die Reflexionsbereitschaft und Systematik wohltuend auffallen.

Der kleine Band gliedert sich dabei in zwei große Teile: Nach Ausführungen zur Definition von Moral geht es darum, welche Begründungsvarianten es für sie gibt und wie es um deren Überzeugungskraft bestellt ist. Am Beginn steht die Frage: "Ist die Moral des Menschen vorgegeben?" Dabei setzt sich der Autor intensiv mit Robert Spaemanns Verständnis auseinander. Die Fixierung auf diesen Philosophen irritiert ein wenig, sind die folgenden Kapitel doch nicht einem einzelnen Repräsentanten gewidmet. Dies gilt auch für das übernächste Kapitel, worin es um die Frage "Was leistet die Goldene Regel" geht und eben noch nicht einmal Kant vorkommt. Dazwischen findet sich eine Abhandlung zu "Kann Religion die Moral begründen?" Bilanzierend heißt es zu diesen Ansätzen bei Hoerster, dass die genannten Formen der Moralbegründung als gescheitert anzusehen seien. Lediglich eingeschränkt billigt er hier der "Goldenen Regel" eine gewisse Relevanz zu, hält sie aber auch in der Gesamtschau und Korrektur für eher "unbefriedigend".

Bis ungefähr in die Buchmitte hinein werden so scheinbare Gewissheiten hinterfragt und kritisiert, wobei man immer nach der Angemessenheit von bestimmten Szenarien zur Widerlegung fragen kann. Gleichwohl sind die gestellten Fragen berechtigte Fragen und nötigen zumindest zu Konkretisierungen und Weiterentwicklungen. Ihnen gegenüber plädiert Hoerster dafür, eine überzeugendere Alternative in einem interessensfundierten Begründungsansatz zu sehen. Indessen bindet er notwendigerweise die Auffassung von Interessen an weitere Voraussetzungen, wozu etwa ein aufgeklärtes Interesse oder eine rationale Prägung gehören. Die darauf folgenden Ausführungen sollen das Gemeinte genauer erläutern und gegenüber Kritik verteidigen. Dabei sind insbesondere die Erörterungen gegen das "Trittbrettfahren" wichtig, bildet deren Schlüssigkeit doch ein wichtiges Testverfahren. Auch wenn man den empfohlenen Ansatz nicht teilen mag, lohnt sich die Auseinandersetzung damit. Denn nur so kann auch die eigene Auffassung klare Konturen gewinnen.

Norbert Hoerster, Was ist Moral? Eine ganz kleine Einführung, Ditzingen 2022, Reclam-Verlag, 104 Seiten, 6,00 Euro

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