Nordkirche droht Religionslehrern zunächst mit Bann und zieht dann zurück

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Die beiden christlichen Großkirchen pflegen in der Kirchenrepublik Deutschland ihre Paralleljustiz. Von der katholischen Kirche kennt man das spätestens seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals, doch auch die evangelische Kirche ist ein Staat im Staate: Mittels eigener "Verfassung" entscheidet sie, wer den Religionsunterricht an staatlichen Schulen erteilen darf.

Der Religionsunterricht in Deutschland ist durch das Grundgesetz geschützt. Artikel 7 Absatz 3 sieht vor, dass Kinder in staatlichen Schulen insbesondere durch die christlichen Kirchen in der religiösen Präferenz (in der Regel) ihrer Eltern trainiert werden dürfen. Der Zugriff durch die Kirchenkonzerne ist zwar so nicht aus dem Grundgesetz ableitbar, allerdings hat die daran anschließende Rechtssetzung (Schulgesetze, Lehrpläne et cetera) entsprechende Tatsachen geschaffen.

Die Möglichkeit, konfessionsfreie Schulen zu betreiben – die ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehen ist –, hat es dabei nicht in alle Schulgesetze des Landes geschafft. Es ist somit kein Wunder, dass es diese Schulform in ganz Deutschland als öffentliche Schule gar nicht gibt.

Auch in Schleswig-Holstein, in dem die Mitgliedsquote in den christlichen Großkirchen 2019 erstmals in einem westdeutschen Flächenland unter 50 Prozent sank, hält der Trend zur Säkularisierung der Bevölkerung unvermindert an. Die Nordkirche hat deshalb 2019 unterschiedliche Missionsoffensiven gestartet. Über die öffentliche Kampagne zur "Fortbildung" der Religionslehrer hat der hpd bereits berichtet. Eine andere Initiative blieb mehr im Hintergrund. Kein Wunder, kann sie doch nur als Drohung des Verlustes der Lehrbefugnis für Religion verstanden werden, was durchaus finanzielle Auswirkungen für den Einzelnen hätte bedeuten können.

Es geht dabei um die sogenannte Vokationsverordnung. Etikettenschwindel ist man von den Kirchen gewohnt. So gibt man sich unverhohlen den Anstrich einer staatlichen Institution, was auf der anderen Seite vom Staat maßgeblich mitgetragen wird. Es gibt eine kirchliche "Verfassung", so dass es nicht überraschend ist, dass es auch "Gesetze" und, daran anknüpfend, "Verordnungen" gibt. Das wäre nur halb so wild, wenn diese vereinsinternen Regelungen lediglich im Dunstkreis der Kirchen gelten würden, so wie es im Sportsektor üblich ist. In diesem Fall haben wir es allerdings mit einer Paralleljustiz zu tun, die zwar nicht solche barbarischen Auswirkungen wie bei den Missbrauchsskandalen hat, die aber wieder einmal ein Demokratiedefizit in unserer Kirchenrepublik aufzeigt.

Der Religionsunterricht spielt für die Kirchen eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung zukünftiger Kirchensteuerzahler. Je früher Menschen mit den irrationalen Inhalten der christlichen Glaubenslehren infiltriert werden, umso schwerer fällt es, davon im späteren Leben loszukommen. Offensichtlich stellt sich hier ein Problem, denn auch bei Religionslehrern macht sich das Unbehagen, Kindern Sachverhalte zu lehren, die unserem Wissen über die Welt widersprechen, breit.

Die Vokation, der sich jeder Religionslehrer im Zusammenhang mit dem Studium des Faches unterwerfen muss, soll sicherstellen, dass der Unterricht in Übereinstimmung mit dem Wesen und dem Auftrag der Kirche erteilt wird. Dazu wird praktischerweise Name und Anschrift der jeweiligen Lehrkraft dem Propst oder der Pröpstin mitgeteilt, was einen klaren Verstoß gegen das Datenschutzgesetz darstellt. Paragraf 7 Absatz 2 VokVO (es ist kein staatliches Gesetz!) sieht im Übrigen vor, dass die Vokation und damit die Lehrbefugnis für Religion bei Nichtbeachtung entzogen werden kann.

Die Anzahl der ausgebildeten Religionslehrer reicht aktuell nicht mehr aus, um die vorgesehenen zwei Wochenstunden landesweit zu ermöglichen, so dass fachfremdes Personal eingesetzt wird. Das führt offensichtlich dazu, dass der im Schulgesetz (staatliches Gesetz!) determinierte Missionsbefehl immer weniger durchgesetzt werden kann. Zumindest kann man annehmen, dass dies die Motivation der Nordkirche dafür war, im Jahr 2019 allen fachfremden Lehrkräften anzudrohen, dass sie den Unterricht nicht mehr durchführen dürfen, wenn sie sich nicht der Vokationsverordnung unterwerfen.

Die staatlichen Erfüllungsgehilfen, in diesem Fall das Ministerium für Bildung (!) und Wissenschaft (!!), ließ die Betroffenen im Namen der Kirchenkonzerne wissen, dass sie mit Frist August 2020 einen Antrag auf Erteilung einer kirchlichen Beauftragung (Vokation) zu stellen haben (siehe Anhang unterhalb dieses Artikels). Man hätte damit sogar noch eine weitere Fliege erlegt, denn eine Vokation erhält nur diejenige Person, die Mitglied der Kirche ist und brav, mit verfassungswidriger (siehe Artikel 140 GG/Artikel 136 (3) WRV) Unterstützung des Staates, seinen monatlichen Obolus in den himmlischen Klingelbeutel abdrückt. Bei fachfremdem Personal kann man ja nicht sicher sein, dass diese nicht in einem Anflug von Vernunft die 30 Euro für den Kirchenaustritt investiert haben.

Womit man möglicherweise nicht gerechnet hat, ist der Widerstand, den dieses unverschämte Vorgehen zur Folge hatte. Es liegen zwar keine Zahlen vor (wie auch, die Kirchen werden sie nicht veröffentlichen), Tatsache ist aber, dass der August 2020 vorüber ist und fachfremde Lehrer weiterhin im Religionsunterricht eingesetzt werden. Dabei könnte es eine Rolle gespielt haben, dass die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) in einer Schule zu dem Thema aufklären durfte und dem anwesenden Lehrerkollegium und dem Rektor nahelegte, die Schule in eine bekenntnisfreie Schule umzuwidmen. Dazu ist es im vorläufigen Ergebnis nicht gekommen, jedoch blieben die angekündigten Besuche seitens des Kirchenamtes aus. Das Risiko eines Dammbruches und der Installation bekenntnisfreier Schulen – mit entsprechender öffentlichkeitswirksamer Begleitung – wollte man wohl nicht eingehen. Aus Sicht der Kirchen ist dieses Vorgehen wahrscheinlich auch die wirtschaftlich bessere Alternative.

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