Pakistanisches Gericht verbietet "Jungfräulichkeitstests"

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Gebäude des Obersten Gerichts der Provinz Punjab (Pakistan)

Der Oberste Gerichtshof der Provinz Punjab in Pakistan stuft invasive "Jungfräulichkeitstests" als grob verfassungswidrig ein. In der Entscheidung vom 4. Januar erklärte Richterin Ayesha Malik, das Verfahren habe "keinen forensischen Wert" und verstoße gegen die in der Verfassung verankerten Rechte auf Leben, Menschenwürde und Gleichbehandlung der Geschlechter. Solche Tests sind noch heute gängige Praxis, unter anderem bei Gerichtsverfahren, die sich um sexuelle Gewalt drehen – nicht nur in Pakistan.

Mit 110 Millionen Einwohnern ist die Provinz Punjab die bevölkerungsreichste Region Pakistans. Der in der Hauptstadt Lahore ansässige Oberste Gerichtshof entschied nun, dass der sogenannte "Zwei-Finger-Test" sowie andere invasive Untersuchungen, die darauf abzielen, die vermeintliche Jungfräulichkeit eines Menschen nachzuweisen, verboten werden. Die Entscheidung gilt lediglich für die Provinz Punjab, es ist jedoch Aktivist:innen zufolge zu erwarten, dass die Gerichte anderer Provinzen sich an dem Urteil orientieren werden.

"Eine direkte Verletzung der Würde"

Bei Anschuldigungen, die sich um sexuelle Gewalt drehen, werden diese Tests meist dafür genutzt, die Betroffenen zu diskreditieren. Lassen sich zwei Finger "leicht" in die Vagina einführen, sei das ein Zeichen von sexueller Erfahrenheit. Die absurde Folge dieser Praxis sind Urteile wie dieses aus dem Jahr 2014: Ein Gericht bezeichnete die Betroffene als "leichte Dame" und entschied, ihren Anschuldigungen könne allein deshalb nicht getraut werden, da diese "aus dem Mund eines verdorbenen Mädchens" kommen. Nicht nur greifen diese pseudowissenschaftlichen Tests tief in die Intimsphäre der Betroffenen ein, sie führen ganz offensichtlich auch zu einer völlig irrationalen Rechtsprechung.

In der Urteilsbegründung des Obersten Gerichtshofes vom 4. Januar führt Richterin Ayesha Malik aus: "[Der Jungfräulichkeitstest] ist eine eklatante Ehrverletzung. Die Rückschlüsse auf Charakter und sexuelle Erfahrung einer Frau sind eine direkte Verletzug ihrer Würde und führen zu negativen Effekten auf den sozialen und kulturellen Status der Betroffenen."

Das Gericht kritisierte außerdem die unzureichende Aufklärung im Vorfeld der Untersuchung: "[Die Einwilligungserklärung] verleitet Betroffene zu der Annahme, es gehe bei der Untersuchung um das Finden von Beweisen im Rahmen der Anschuldigungen. Stattdessen werden Beweise für eine vermeintliche sexuelle Vorgeschichte gesucht."

Sexualstraftaten nach der Dekolonialisierung: Täter-Opfer-Umkehr

Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt werden in Pakistan nur selten zur Anzeige gebracht. Die in Karachi ansässige Nichtregierungsorganisation (NGO) War Against Rape schätzt außerdem, dass in weniger als drei Prozent aller Verfahren eine Verurteilung erfolgt. 

Erst 2006 wurde mit der "Women's Protection Bill" ein ansatzweise weltanschaulich neutrales Gesetz zur Behandlung von Betroffenen sexueller Gewalt verabschiedet. Zuvor galten seit 1979 die islamischen "Hudood-Gesetze", Sexualstraftaten wurden vor islamischen Gerichten verhandelt.

Diesen gemäß konnten die Vergewaltigten selbst wegen unehelichem Sex verurteilt und inhaftiert werden, wenn sie nicht vier männliche – und nur männliche – Zeugen zur Bestätigung ihrer Version der Geschichte präsentieren konnten. Bis zu 80 Prozent aller inhaftierten Frauen waren vor Abschaffung der Hudood-Gesetze nur deswegen im Gefängnis, weil sie Missbrauchsanschuldigungen nicht zur Zufriedenheit der Gerichte belegen konnten und folglich wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs abgeurteilt wurden.

Der unverkennbare Einfluss des Kolonialismus

Jungfräulichkeitstests sind nicht nur unwissenschaftlicher, ideologisch übersättigter Unfug, sie sind auch ein Teil des strukturellen Patriarchats, das noch immer weite Teile des Globus beherrscht. Die Last der Erhaltung einer fiktiven "Reinheit" wird stets nur Frauen aufgebürdet, niemals Männern. Männliche Sexualität wird als Privatsache betrachtet, die von Frauen hingegen als öffentliche Angelegenheit. Wer nun aber glaubt, eine solche Praxis existiere nur in islamisch geprägten Ländern, irrt.

Bis in die 1970er-Jahre führte beispielsweise die Polizei Großbritanniens bei Einwanderinnen Jungfräulichkeitstests durch. Die Aussagen derjenigen Frauen, die diese entwürdigende Praxis bei ihrer Einreise ins Vereinigte Königreich erdulden mussten, legen nahe, dass das christliche britische Kolonialimperium bereits reichhaltige Erfahrungen mit der Anwendung dieser diskriminierenden "Untersuchung" gemacht zu haben scheint. Aktivistin Sadaf Aziz, die federführend an der Petition an den Lahore High Court beteiligt war, sagt dazu: "[Jungfräulichkeitstests] verbreiteten sich während der Kolonialherrschaft, als Konsequenz der Fehlannahme oder des Vorurteils, dass einheimische Frauen solche Verbrechen häufig nur fabrizieren würden."

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