In Polen wird es bald noch weniger Möglichkeiten geben, legal abzutreiben. Vergangenen Donnerstag urteilte das polnische Verfassungsgericht, dass eine Abtreibung kranker Föten unkonstitutionell sei. Hunderte Menschen kamen in der Nacht darauf in Warschau zusammen, um gegen dieses Urteil zu protestieren, die Polizei setzte Tränengas ein.
Das polnische Abtreibungsrecht ist eines der strengsten in der Europäischen Union. Es lässt genau drei Fälle zu, in denen eine Beendigung einer Schwangerschaft legal ist: wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, wenn das Kind durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde oder wenn der Fötus schwer geschädigt und unheilbar krank ist.
Dem Verfassungsgericht zufolge ist die letzte dieser Ausnahmen nicht mit den in Artikel 30 respektive 38 der polnischen Verfassung verankerten Prinzipien der "Würde des Menschen" und dem "Schutz des Lebens" vereinbar. Faktisch bedeutet das, dass Mütter in Polen künftig gezwungen sein werden, eine Abtreibung in einem anderen Land der EU durchzuführen – oder ein Kind zu gebären, das wahrscheinlich binnen Monaten oder gar Wochen sterben wird.
Antonia Lewandowska, polnische Frauenrechtsaktivistin, sagte der BBC im Vorfeld des Urteils: "Es ist unmenschlich, verachtenswert, ehrlich gesagt, jemanden dazu zu zwingen, ein Kind auszutragen – vor allem dann, wenn der Fötus schwere Schäden hat. 98 Prozent aller legalen Abtreibungen in Polen passieren aufgrund solcher Föten."
Tausende in Polen, Hunderte vor Kaczynsksis Haus
Im April hatte die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) die Frage erneut vor das Verfassungsgericht gebracht. Jaroslaw Kaczynski, Vizepremierminister und Vorsitzender der PiS, begründete den erneuten Vorstoß mit den Worten, die Kinder könnten so zumindest "getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen bekommen". Katholisch getauft, natürlich.
In der Nacht zum Freitag kamen daraufhin tausende Menschen in ganz Polen zusammen, die meisten davon in Warschau, um gegen das Urteil des Gerichts Protest einzulegen. Auf ihren Transparenten stand "Bekämpft das Virus, nicht die Frauen".
Einige hundert Menschen umzingelten in der Nacht auch das Haus des PiS-Vorsitzenden Kaczynsksi, "du wirst heute Nacht nicht schlafen" skandierten sie. BBC zufolge wurden dort Steine auf Einsatzkräfte geworfen, einige Personen sollen versucht haben, auf Kaczynsksis Grundstück zu gelangen. Die Polizei setzte daraufhin Tränengas ein, 15 Personen sollen festgenommen worden sein.
Eine Konfrontation mit der Europäischen Union scheint unausweichlich
Das Urteil des Verfassungsgerichts ist lediglich ein weiterer Schritt in Richtung Diktat der Misogynie, ebenso wie der vor einiger Zeit angekündigte Ausritt aus der Istanbul-Konvention.
Wenn die PiS ihr derzeitiges Tempo beim Abbau nicht nur von Rechten, sondern des Rechtsstaats selbst, beibehält, dürfte die EU eine ganz grundsätzliche Diskussion mit Polens Regierung nicht mehr lange aufschieben können.
Exemplarisch für die gesteigerten Spannungen sind die Versuche der Union, Rechtsstaatlichkeitsverfahren durchzusetzen – und Kaczynskis Konter, er werde in dem Fall einen gemeinsamen Corona-Haushalt blockieren.
3 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Derartiges Verhalten von Regierungen, welche der EU angehören, müssten eindeutig verurteilt und mit Sanktionen belegt werden.
Alle monotheistischen Religionen versuchen derzeit uns wieder ins Mittelalter zu ziehen, nur um an der Macht zu bleiben. Ein solches Verhaltensmuster muss im Keim erstickt werden. Religion ist Privatsache und darf nicht mit politischen Entscheidungen vermischt werden.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Und so empörend flapsig reagierten die polnischen Bischöfe laut Vaticannews:
„Zufriedene Bischöfe
Das von Herren, die das Risiko, ein behindertes Kind großziehen zu müssen mit schnulzigen Argumenten weiträumig umgehen. Was man sich unter „besonderer Freundlichkeit“ und „echter Aufmerksamkeit“ von Seiten der Kirche vorzustellen hat, sieht man am Beispiel des Umgangs der Kirche mit dem Missbrauch. Finanzielle Unterstützung ist damit ganz bestimmt nicht gemeint, aber: sie sollen „nicht vergessen“ werden. Alles was da realistischerweise zu erwarten ist, ist dass immer mal wieder für sie GEBETET wird. Freundlich und aufmerksam wird man verarscht. Eine Abtreibung unter diesen Umständen eine „beispiellose Barbarei“ zu nennen, dokumentiert die maßlose Unbarmherzigeit dieser Kirchenfürsten.
Helene am Permanenter Link
Der Denkfehler liegt bei der Annahme, dass das Recht auf Leben das Recht beinhaltet, den Körper eines anderen Menschen zu benutzen.