Nachdem der emeritierte Papst Benedikt XVI. bei der Präsentation des zweiten Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising der Lüge überführt wurde, wartete die internationale Öffentlichkeit gespannt auf seine Stellungnahme. Diese wurde nun gestern auf Vatican News im Wortlaut veröffentlicht. Die Betroffeneninitiative Eckiger Tisch hat den Brief analysiert.
Er hat es nicht verstanden – und wir können es nicht mehr hören. Erneut werden Schmerz und Scham gestanden. Aber alles Konkrete dann relativiert und bestritten.
Schon die von Joseph Ratzinger gewählte Anrede in seinem Brief zeigt, dass er nicht zu den Betroffenen sprechen will, sondern lieber zu seinen "Schwestern und Brüdern". Anstatt sich zu entschuldigen, muss er allen erstmal beweisen, wie viele doch immer noch hinter ihm stehen und ihm in den letzten Wochen das Vertrauen aussprachen.
Anschließend wiederholt er die Ausrede, er habe in seiner Stellungnahme nicht gelogen, sondern es sei ein Redaktionsversehen gewesen. Um dies zu beweisen, stellt er es so dar, als habe eine kleine Schar von Freunden ihn ehrenamtlich unterstützt. Und im Ehrenamt passieren schon mal Fehler, wer wollte da den ersten Stein werfen?
Das Schmierentheater geht weiter: Zwar leitet er den nächsten Absatz seines Briefes damit ein, dass dem Wort des Dankes nun aber "auch ein Wort des Bekenntnisses folgen" müsse – aber dieses Bekenntnis kommt nicht. Zumindest kein Bekenntnis, dass er Fehler gemacht habe. Stattdessen bekennt er sich zum glorreichen Christentum, weil es an die Eröffnung des Gottesdienstes stets die "Bekenntnis unserer Schuld und die Bitte um Vergebung" setze. Anstatt wirklich um Vergebung zu bitten, zitiert er nur das, was viele Christen in Kirchen vor sich hinmurmeln: "Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld."
Auch danach gesteht Benedikt immer noch nicht klar und deutlich ein, dass er "übergroße Schuld" auf sich geladen hat, sondern er meint, dieses Schuldbekenntnis "fragt mich jeden Tag an, ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muß." Er hat es also immer noch nicht begriffen, dass er diese Frage eindeutig mit "JA!" beantworten muss.
Passenderweise sage ihm das Wort "übergroß" in diesem Schuldbekenntnis aber auch, egal wie groß seine Schuld auch sei, der Herr werde ihm vergeben – wieder geht es also nur um ihn, dass Benedikt vergeben werde. Um die Opfer geht es nicht.
Auch werde er "in diese übergroße Schuld hineingezogen". Als wenn dies per Fernsteuerung erfolge und er selbst damals nicht die Wahl gehabt hätte – zum Beispiel den Priester H. nicht in sein Bistum zu übernehmen oder ihm zumindest den Kontakt zu Kindern zu verbieten. Groß sei sein "Schmerz" über "die Vergehen und Fehler, die in [s]einen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind." Damit gibt er gerade nicht zu, dass er selbst Fehler gemacht hat.
Natürlich bittet er auch am Ende seines Briefes nicht um Vergebung. Stattdessen sollen der Herr und alle Engel und Heiligen und alle Schwestern und Brüder für ihn beten. Dieser Schluss zeigt noch einmal, dass es Benedikt immer noch nur um sich selbst geht.
"Schmerz und Scham" – Betroffene können es nicht mehr hören!
Schmerz und Scham – man mag es nicht mehr hören! Das Statement des ehemaligen Papstes Benedikt reiht sich ein in die permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch: Vergehen und Fehler seien geschehen, doch niemand übernimmt konkret Verantwortung. Stattdessen gehen die wortreichen Erklärungen weiter.
Für Betroffene sind diese Art von "Entschuldigungen" wirklich schwer erträglich. Sie dienen am Ende nur dazu, den Opfern die Verantwortung aufzuhalsen, wenn sie diese Art von Betroffenenheitsbekundungen nicht angemessen zu würdigen vermögen.
Joseph Ratzinger bringt es nicht über sich, einfach festzustellen, es tue ihm leid, nicht mehr zum Schutz der seiner Kirche anvertrauten Kinder getan zu haben. Das wäre ein ehrlicher Satz. Die Betroffenen des Missbrauchs und der organisierten Verantwortungslosigkeit in der Kirche stehen am Ende mit leeren Händen da. Auch nach zwölf Jahren keine Anlaufstelle, kein Opfergenesungswerk, keine angemessenen Entschädigungen. Und noch immer will die Kirche in Deutschland die Kontrolle über die Aufarbeitung nicht aus der Hand geben.