Ist Glaube mit Vernunft und Logik vereinbar? Und wie sollte man mit Widersprüchen bei religiösen Überlieferungen umgehen? Der Autor plädiert für das Substrahierungsprinzip – bei sich widersprechenden Aussagen zählt keine von beiden. Geht man nach dieser Methode vor, bleibt vom christlichen Glaubenssystem am Ende nicht viel übrig.
Unser Verstand strebt immer danach, Fakten zu erfassen und Zusammenhänge herzustellen. Der Verstand bemüht sich somit unentwegt um Einbettung in bisheriges Wissen, Erfahrung und Logik. Menschen haben jedoch unterschiedliche Interessen und nicht wenige streben danach, andere zu ihrem eigenen Vorteil beherrschen zu wollen. Wer andere Menschen beherrschen will, kann dies nur tun, wenn er seine eigenen egoistischen Motive verbirgt. Und dafür kommt es vor allem darauf an, den Verstand anderer auszuschalten, um Beherrschte, Manipulierte und Opfer keine Zusammenhänge erkennen zu lassen – sei es zwischen Blitz und Donner oder zwischen Ratten und der Pest.
Die Komplexität der Welt bringt es jedoch mit sich, dass eben nicht bei allem maßgebliche Zusammenhänge erkannt werden. Die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erkennen, hängt wesentlich vom Bildungsstand und von der Bereitschaft ab, sich überhaupt des eigenen Verstandes bedienen zu wollen.
Das Gesetz der Logik bedeutet, dass kein unlogisches System logische Erklärungen liefern kann: Keiner Religion ist es bisher gelungen, einen Gottesbeweis zu führen oder nur zu belegen, dass ein höheres Wesen in Geschehensabläufe eingreift. Religion kann also gar nicht über den Verstand und logisch vermittelt werden. Nur wenn es gelingt, den Verstand auszuschließen – sei es durch Verhinderung von Erkenntnissen oder Manipulation (ohne Einfluss auf kindliche Gemüter gelingt es kaum, einen Glauben zu installieren) – haben religiöse Vorstellungen eine Chance, als wahr anerkannt und befolgt zu werden. Dazu bedarf es einer Überlieferung und Ausgestaltung, wie es beispielsweise bei den drei Buchreligionen der Fall ist.
Wie kann es aber sein, dass offensichtliche Widersprüche, die sich unweigerlich in diesen Systemen befinden, zu keiner Ablehnung des Glaubens führen? Zum Christentum: Aus den Evangelien sind genügend Widersprüche bekannt, die eigentlich die gesamte Botschaft beziehungsweise Berichte als unglaubhaft erscheinen lassen müssten. Einer behauptet, die Familie Jesu sei von Bethlehem nach Ägypten ausgewandert, ein anderer, dass sie nach Nazareth gezogen sei. Auch drei ganz unterschiedliche letzte Worte eines sterbenden angeblichen Gottessohnes am Kreuz führen nicht zu Zweifeln am Überlieferten. Der Sterbende sieht sich von Gott verlassen und sieht sich dennoch in erfüllter Mission.
Diese sinnstiftende unlogische Ausdeutung durchzieht zwangsläufig die gesamten Überlieferungen. Drei Synoptiker – die Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus – sehen nur Frauen als Zeugen der Kreuzigung. Ein Johannes dagegen sieht auch einen Lieblingsjünger und eine Mutter Maria unter dem Kreuz. Zudem sieht er einen Lanzenstich und eine blutende Leiche. Damit sind wir bei der nächsten Voraussetzung des Glaubens: Für einfache Gemüter muss alles plastisch beziehungsweise sichtbar sein.
Die Erklärung für die sinnfreie Wahrnehmung ist relativ einfach: Da hier keine Logik und kein Verstand mehr hilfreiche Erklärungen liefern kann, greift man zu einem additiven Verständnis. Man addiert Vorhandenes, ohne eine Verbindung zwischen einzelnen Aspekten und Aussagen herzustellen. Glauben setzt voraus, dass das Denken weitgehend eingeschränkt bleibt und sich nicht entfalten kann. Der Gläubige vernachlässigt deshalb die sich doch so grundlegend widersprechenden Darstellungen, wie sie im Text zum Ausdruck kommen, und passt dies in eine übergeordnete Sinndeutung ein. Deshalb erfolgt zum Beispiel in Predigten oft nur eine stichwörtliche Auslegung. Gerne wird unvollständig zitiert oder das Zitat wird aus dem Zusammenhang gerissen. Ein Sinn wird weniger herausgelesen als vielmehr hineingelesen.
Interessant ist beispielsweise das Verhältnis zwischen den Synoptikern und einem Evangelisten Johannes, die man letztlich doch auf eine gleiche Stufe stellt: Obwohl ihm auch von beruflich festgelegten Glaubensvertretern die geringste Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner historischen Genauigkeit zugestanden wird, stellt man seine Darstellungen in den Vordergrund (man denke nur an die zahllosen Bilder eines gekreuzigten Jesus mit Lanzenstich).
Was ist von dieser Art des Glaubens und dessen Inhalt zu halten?
Zum einen ist erkennbar, dass bei Glaubensvermittlung schon immer jeder Bildlichkeit der Vorrang eingeräumt wurde. Zum anderen – und damit zum Kern der hier aufgegriffenen Glaubensfindung – sollte man sich einmal um ein subtrahierendes Verständnis bemühen. Dabei wird man schnell feststellen, dass alles Überlieferte wie ein Kartenhaus zusammenbricht.
Kurz: Die Widersprüche sind nicht zugunsten eines "höheren/wahren" Verständnisses zu addieren (!), sondern wie es die Logik bei Widersprüchen gebietet: zu subtrahieren. Wenn der eine angebliche Zeuge etwas anführt, ein anderer jedoch nicht, so ist die Behauptung durch das Schweigen des anderen als widersprochen und damit widerlegt anzusehen.
Dabei muss man durchaus nicht kleinlich vorgehen wollen. Wenn einer von einem "Haus" spricht und ein anderer von einem "Anwesen" oder "blauen Haus", so ist dies kein Widerspruch, sondern eine unterschiedliche Darstellung. Betreffen die unterschiedlichen Darstellungen jedoch Wesentliches, so gilt das Substrahierungsprinzip und beide Aussagen heben sich gegenseitig auf. Es gilt dann in diesem Punkt: Nichts! Und so beweist das Schweigen der Synoptiker zu einer Auferstehung eines Lazarus eben, dass dies nicht vergessen oder übersehen wurde, sondern dass diese demnach gar nicht stattgefunden hat. So kann man sich Aspekte und Episoden Stück für Stück vornehmen.
Sagt der Gläubige: Ich nehme alles an, was überliefert wurde und addiere Episoden und Aspekte bis zur Absurdität, so sollte ein denk-williger Mensch sagen: Ich kann nur das in Erwägung ziehen, was zweifelsfrei überliefert wurde. Dazu gehört zumindest eine Plausibilität, die bei Widersprüchen gerade nicht mehr gegeben ist.
Widersprüche sind keinen Ergänzungen zugänglich, sondern müssen als Überlieferung einfach gestrichen werden. Wenn drei Evangelisten nichts von einer Verwandtschaft Jesu mit einem Johannes wissen, dann ist dies zu streichen. Wenn keine übereinstimmenden Aussagen vorliegen, wann denn ein Jesus zu einem Gott geworden sein soll, dann ist auch dies zu streichen. Wenn letzte Worte keinerlei Übereinstimmungen zeigen, so sind auch sie zu streichen.
Hier ist zunächst einmal die Rede von textlichen Widersprüchen. Wie sieht es mit dem Schweigen aus? Dies zu beurteilen ist schwieriger, da man nicht erwarten kann, dass unterschiedliche Zeugen zu vollständig identischen Aussagen gelangen. Es kommt somit gerade darauf an, die Aussagen zu gewichten. Handelt es sich um eine Nebensächlichkeit oder um eine zentrale Glaubensaussage? Passen Handlungen und Abläufe überhaupt zusammen?
Theologen sind nicht der Erforschung der Wahrheit verpflichtet
Angeblich hat Paulus den längsten Brief der Antike an die Römer geschrieben, als er sich aufmachte, nach Rom zu reisen. Nirgends wird dem widersprochen. Ist diese Schilderung deshalb denkbar beziehungsweise glaubhaft? Gewiss nicht, denn wenn ein Paulus derjenige gewesen wäre, für den man ihn bis heute ausgibt, hätte dies auch nach seinem Eintreffen in Rom irgendwelche Folgen – Zustimmung, Ablehnung, Begeisterung, Unruhe, was auch immer - auslösen müssen. Doch nichts geschieht. Nichts wird dazu überliefert. Weil zu dieser Zeit eben gar nichts geschehen war.
Jesus wäre in Nazareth, circa sechs Kilometer von Sepphoris entfernt, aufgewachsen. Dort hätten in seiner Jugend die Römer die Stadt verwüstet und die Einwohner als Sklaven verkauft. Nichts davon findet im Brief Niederschlag. Schon gar nicht bringt Paulus Gewalt mit Römern in Verbindung – ganz im Gegenteil.
Ein Paulus hätte niemals in die römische Provinz Syrien mit der Hauptstadt Damaskus reisen können, um dort irgendwen zu verhaften. Kein Hohepriester wäre auf die Idee gekommen, sich mit der alles beherrschenden Besatzungsmacht Rom, von der alle Juden und auch ein Hohepriester abhängig waren, anzulegen, indem er jemanden mit diesem unausgegorenen Auftrag ins Ausland geschickt hätte. Das ist aus historischen Gründen genauso zu streichen wie ein angeblicher Kindermord durch Herodes.
Aus historischen Gründen kann man auch eine Volkszählung für die gesamte Provinz Judäa vergessen. Es gab im Jahr sechs allenfalls eine Erfassung für Jerusalem, aber keinesfalls für Galiläa – und schon gar nichts, was die Anwesenheit einer gar schwangeren Frau erfordert hätte.
Nur zur Wiederholung: Aus Widersprüchen, Unterschlagenem und Verzerrtem lassen sich keine belastbaren Aspekte anführen, die etwas belegen, was man als die historischen Ursprünge und Quellen des Christentums ansehen könnte. Selbstverständlich werden diese von Gläubigen anerkannt, aber nur, weil sie der Überlieferung einfach glauben und sich dabei unentwegt der Additionsmethode bedienen.
Was also bliebe denn an Denkbarem überhaupt übrig, wenn man Widersprüche als Bestreitungen des gegensätzlich Überlieferten verstehen, Verschwiegenes naheliegend ergänzen und Falsches konsequent als falsch zugrunde legen würde? Wenn man Widersprüche aus der Botschaft subtrahiert? Nichts, was einer Erwähnung wert wäre. Diese Erkenntnis kann ohne tiefgründige theologische Studien erlangt werden. Wer der Theologie vertraut, hat nicht verstanden, dass Theologen nicht der Erforschung der Wahrheit im religiösen Bereich verpflichtet sind, sondern der Bewahrung, Verbreitung und Verteidigung des Überlieferten.
15 Kommentare
Kommentare
Deniz Y. Dix am Permanenter Link
Womöglich habe ich es nur überlesen, ist ja auch noch früh; aber: Aus welchem theoretischen Grund ist das Substrahierungsprinzip dem Additionsprinzip überlegen?
Darüber hinaus noch zwei Einwände: Das Aufzeigen eines einzelnen Widerspruchs sollte nicht zur Delegitimation einer ganzen Lehre führen. Eine Falschaussage färbt nicht auf eine andere ab, weil sie zufällig im selben Buch abgedruckt wurden oder aus demselben Munde stammen. Freilich sind Offenbarungsschriften voll von Widersprüchen, was allein der Anzahl nach einen Generalverdacht begründet, jedoch aus der Widersprüchlichkeit des einen Sachverhaltes auf die Falschheit des nächsten zu schließen, erscheint mir wie ein Denkfehler. Man wäre ja auch nie auf die Idee gekommen, die Gültigkeit jeder physikalischen Erkenntnis zu verwerfen, als sich herausstellte, dass sich Licht wie ein Teilchen UND wie eine Welle verhält. Man hat diese beiden Aussagen nicht subtrahiert, und schon gar nicht das ganze Physikbuch in die Tonne geworfen.
Ich sehe auch nicht unbedingt, dass die Theologie widersprüchliche Erkenntnisse einfach aufaddiert und von beidem gleichzeitig ausgeht. Ich begegne da eher - je nach Fall - diesen zwei Argumentationsmustern. A: Ungenaue Überlieferungen, immerhin spielt die Textgrundlage schon einige Zeit stille Post, entsprechend addieren sich die menschengemachten Fehler auf. B: Die Wahrheit liegt irgendwo in der hermeneutischen Mitte, weil die scheinbar unmöglichen Sachaussagen als sinnbildliche zu verstehen sind. Insbesondere A ist ein veritables Argument. Wer nun genau am Kreuz gelandet ist, mag von der Bibel widersprüchlich beantwortet werden. Aber genauso umstritten ist es unter Historikern, ob Captain Christopher Billop Staten Island und Manhattan in einer einzelnen großen Schleife, oder ob er die beiden Inseln individuell umrundete. Für beides finden sich Belege in historischen und wissenschaftlichen Quellen. Ein offenkundiger Widerspruch, doch keineswegs kann man deswegen die Methode der Geschichtswissenschaft pauschal in Frage stellen.
Klar; religiöse Offenbarungen sind Unsinn. Aber die vorgeblich logische, letztlich aber leicht angreifbare Herangehensweise dieses Artikels halte ich für keinen guten Weg, diesen Sachverhalt zu bescheinigen.
Martin Franck am Permanenter Link
Eigentlich nichts Neues unter der Sonne.
Da die Epistel von der Gruppe um Marcion „entdeckt“ wurden, wird diese Gruppe auch als Ersteller verdächtigt. Nun wurden nicht nur https://de.wikipedia.org/wiki/Pseudepigraphie_(Bibel) Pseudepigraphien (i.e. Fälschungen) erstellt, sondern man weiß auch, daß die Epistel bearbeitet wurden, und Briefe https://de.wikipedia.org/wiki/Paulusbriefe#Nicht_erhaltene_Paulusbriefe fehlen, die wir nicht mehr haben.
Das ist also die Basis des Christentums: Epistel von einem Autor, über den wir keine Aussagen treffen können, und dessen Texte verändert wurden.
Der Autor schreibt in seinen Episteln immer wieder, daß er sein Wissen nicht von anderen Menschen hat, sondern aus den Schriften (Tanach, also dem Alten Testament), aber auch aus anderen Schriften, die wir eventuell nicht mehr haben, und aus Eingebungen.
Dieser Jehoschua muß nicht unbedingt eine Person aus Fleisch und Blut gewesen sein, die auf unserer Erde lebte. Es könnte sich auch um eine Gestalt in den Himmelssphären handeln. Dies würde auch zu anderen Texten passen, die in der Zeit zwischen dem Alten Testament und dem Neuen Testament geschrieben wurden, oder in den jüngeren Schriften des AT.
Ein weiteres Zwischenfazit: Ist der Jehoschua aus den ersten Schriften des NT eine rein himmlische, fiktive, mythologische Gestalt, wie andere Figuren des Tanach, z.B. wie Moses, der auch als erfunden angesehen wird? Zumindest können wir keinen historischen Jehoschua daraus ableiten, sonder müssen einen https://de.wikipedia.org/wiki/Jesus-Mythos Jesus- oder Christus-Mythos in Betracht ziehen.
Geht man von einer https://en.wikipedia.org/wiki/Marcan_priority Marcan Priority aus, also daß das Evangelium nach Markus das Erste ist, so sind alle drei anderen auf diesem basierend.
Auch dieses Evangelium wurde verändert, im Vergleich zu einem Ur-Markus. Das macht die Interpretation wiederum schwierig. Generell akzeptiert ist, daß dieses Evangelium auf den Paulinischen Episteln basiert. https://www.richardcarrier.info/archives/15934 Mark’s Use of Paul’s Epistles. Die Evangelien bieten also keine Zusatzinformation, die für einen historischen Jesus sprechen.
Die in dem Artikel angesprochenen Widersprüche (Geburt zur Zeit von Herodes oder von Quirinius) machen deutlich, daß es nicht um die Vermittlung historischer Wahrheiten ging, sondern eine Gute Nachricht wurde an unterschiedliche Zielgruppen jeweils angepasst. Die Geburt des Christus genau 70 Jahre vor der Zerstörung des Jüdischen Tempels in Jerusalem wurde einfach retrospektiv rückdatiert. Erst später nahm man Ereignisse, die zeitlich nicht zu weit davon entfernt waren, als Stilmittel, warum er aus der Stadt Davids stammen soll.
Das Alles ist kein Geheimwissen, sondern kann schon zu einem großen Teil in WP nachgelesen werden. Da benötigt man auch keinen Theologen, der ja nicht unvoreingenommen ist.
Trotz alle dem liebe ich in der Weihnachtszeit die Krippen. Wohlwissen, daß es eine Krippe mit Hirten nur bei Lukas gab, und die Weisen (Magier) aus dem Morgenland nur bei Matthäus, und ein historischer Jehoschua der Nazarener wahrscheinlich nie existierte.
Allerdings zahle ich auch keine Kirchensteuer mehr, weil mich an meisten abstieß, wenn man angelogen wird. Um ein Zitat von Michael Corleone zu bringen: „Because it insults my intelligence and makes me very angry.“
Deshalb kann man von Theologen auch niemals erwarten, Antworten auf Fragen zu bekommen, die einem weiter bringen.
Ein Kulturchristentum, daß man verwendet wie Gandalf aus Mittelerde oder Yoda von den Jedi ist legitim. Nur weil es einen Zeus oder Herakles genauso wenig gab, wie einen Odin oder Thor, darf man diese Mythen doch trotzdem erzählen, und sich daran erfreuen.
Roland Weber am Permanenter Link
Die Paulus-Problematik ist umfassender als das hier dargestellt werden kann.
Paulus um 140 - samt den unechten Briefen - macht kirchlichen Sinn; ein reisender Paulus um 50 mit Streitstriften gegen jeden und alles, ist historischer Unsinn - oder liefert keinen Sinn, wenn diese Formulierung gefälliger ist. Siehe auch: Detering - Inzenierte Fälschungen.
Zur Substraktion für gbs-ler: Was bleibt, wenn man streng wissenschaftsorientiert denn schon mal alle Wunder streicht? Und Widersprüche? ... Eben!
Martin Franck am Permanenter Link
Das Buch des verstorbenen Hermann Detering kann man nur empfehlen. Er postulierte ja Simon Magus als Ursprung der Ideen hinter den Briefen.
Robert M. Price sagte, daß dieses Evangelium nur aus dem Umfeld von Marcion bekannt wurde, und man daher nicht Marcion selbst als Autor sehen muß. Er selbst nimmt ja Polykarp von Smyrna als Editor des Lukasevangeliums an.
Ebenso sagte er auch, daß man so genau gar nicht genau weiß, wann denn nun tatsächlich Marcion gelebt hatte, weil ja so viel von und über ihn zerstört wurde, und es wahrscheinlich schon früher war, als bisher angenommen.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Lieber Dix, lieber Herr Frank,
es gibt leider nicht viele Atheisten und Humanisten, die bereit sind, das NT ganz zu lesen und zu diskutieren. Da Sie beide offenbar zu der seltenen Spezies gehören, wäre es interessant, Ihre Meinung zu den Büchern von Roland Weber zu vernehmen.
Neben "Denken statt glauben - Wie das Christentum entstanden ist" und "Jesus, Römer, Christentum - Makaberste Tragödie das Abendlandes", hat er nun eine neues Werk geschaffen: "Der Nibelungen Not - Das Geheimnis des großen Mordens", welches ich selber auch noch nicht gelesen habe.
Mit Dank im voraus
Martin Franck am Permanenter Link
Ohne auf einzelne Bücher eingehen zu wollen, empfehle ich die Übersicht auf https://vridar.org/whos-who-among-mythicists-and-mythicist-agnostics/ .
Das Problem der Annahme eines fiktiven Jesus ist, daß sehr viel an Evidenz zerstört, bzw. abgeändert wurde. Man muß also ein Puzzle zusammensetzen, bei dem einige Teile fehlen, und man wird wohl nie ein vollständiges Bild erhalten. Mit dieser Unsicherheit kann man nur eine Annäherung bekommen, die mit neuer Evidenz immer wieder angepasst werden muß.
Mir scheint, daß es doch eine große Sprachbarriere gibt, so daß die deutsche Literatur in den USA kaum rezipiert wird. Was insbesondere bei dem verstorbenen Hermann Detering sehr schade ist.
Leider aber gibt es doch auch umgekehrt in Deutschland eine große Scheu die englischsprachige Literatur zu lesen. Aber selbst dort wird man keinen Autor finden, der einem sicher sagen kann, wie es genau war. Je mehr man versucht, die fehlenden Teile durch Spekulationen zu ersetzen, um so schöner erscheint zwar das Bild, aber umso unsicherer ist es. Eine Art heisenbergsche Unschärferelation.
Trotzdem kann man auch mit Gewinn Bücher lesen, die von einem historischen Jesus ausgehen. Zum Beispiel wird gerne auf Bart D. Ehrman verwiesen, obwohl er einen historischen Jesus postuliert. Man muß aus mehreren Büchern die jeweiligen Fakten herausdestillieren, und die Schlussfolgerungen selber treffen.
Mein bisheriges Bild hat als Basis die Idee von https://en.wikipedia.org/wiki/Paul-Louis_Couchoud Paul-Louis Couchoud, der einen spirituellen Jesus postuliert. Diese Idee geriet in Vergessenheit und Earl Doherty machte es wieder populär. Richard Carrier baute darauf seine Theorie auf.
Wann die Idee eines mythischen Retters begann? Spekulation. Man kann sich ja überlegen, daß schon mit den Griechen hellenistisches Gedankengut in jüdische Strömungen einfloß. Vielleicht hatte der Zugang zu Indien sogar Strömungen des Buddhismus ermöglicht. Die Zusammenarbeit der Mitglieder des Tempels in Jerusalem mit den jeweiligen Herrschern, dürfte auch eine Rolle gespielt haben, die die Priester diskreditierte.
Richtig essenziell wurde es jedoch mit den jüdischen Kriegen. Spätestens nach dem Bar-Kochba-Aufstand und der Diaspora wurde das Judentum direkt angegriffen, und nicht nur Judäa oder Israel als Staat, obwohl man sonst in Bezug auf Religion im Römischen Reich tolerant war. Das Römische Reich war militärisch nicht zu schlagen. Viele Juden kamen in den direkten Kriegswirren um, oder starben an den Folgen, wie Hunger.
Heutzutage gibt es ja die Kabbala und viele versuchen, einen Bibelcode zu entziffern. Es gab aber schon früher auch Midrasch, Pescher und andere Versuche Erklärungen in Heiligen Schriften zu finden.
Nun stellen Sie sich einmal vor, was mit solchen Gedanken passiert, wenn die ursprünglichen Gruppen, die die Texte erstellten, nicht mehr leben, oder zumindest nicht mehr die Autorität haben, zu erklären, daß es gar nicht um eine historische Person in Fleisch und Blut auf Erden geht. Sie aber gleichzeitig dringend Antworten suchen für eine massive Katastrophe.
Das Christentum entstand aus all diesen verschiedenen Strömungen und musste später erst (gewaltsam) zusammen geführt werden. Unterschiedliche Wurzeln ergaben die frühe katholische Kirche.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Religiöse glauben einfach ohne die Materie kennen zu wollen. Damit sind sie unerreichbar und immun. Atheisten kennen sich in der Bibel viel besser aus als Gläubige.
David Krause am Permanenter Link
Stimmt auch nur zum Teil. Man kennt sich grade in fundamentalistischen Kreisen, zum Beispiel in Freikirchen durchaus gut aus, allerdings wird alles im Glaubenskontext gesehen.
Als ich vom Glauben abkam und dann irgendwann mal erfuhr, dass es zwei verbotene Bäume im Garten Eden gab, den Baum der Erkenntnis über Gut und Böse und den Baum des ewigen Lebens, habe ich das Gefühl gehabt, dass ich als Gläubiger geistig nicht zurechnungsfähig gewesen sein muss. Meine Theologie (die meiner Freikirche) funktionierte so, dass der Mensch als ewig lebend geschaffen wurde. Als er vom Baum der Erkenntnis ass, verlor er das ewige Leben. Die Warnung von Gott: "An dem Tag an dem du von dem Baum isst, wirst du sterben." war also keine Lüge, sondern muss nur im Glauben ausgelegt werden, dass der Verlust des ewigen Lebens gemeint war. Tatsächlich hätte der Mensch erst ewiges leben gehabt, wenn er auch vom Baum des ewigen Lebens gegessen hätte, doch das hat Gott zu verhindern gewusst, indem er den Mensch aus Eden verbannt und den Garten von Engeln bewachen lies. Wenn man den Text genau liest, ist Gott der Lügner und der, der den Tod und das Elend über die Menschen gebracht hat, nicht der Mensch selbst (Victim blaming) oder die Schlange. Die Schlange hat den Menschen motiviert, sich seine Vernunft zu erwerben und Erkenntnis zu gewinnen. Die Schlange ist der Aufklärer. Gott ist der Tyrann, der sich derselben Mittel wie oben im Artikel beschrieben bedient.
Im Grunde ist das dritte Kapitel der Bibel der beste Grund nicht nur nicht zu Glauben, sondern gegen die Kirche, die diesen Gott feiert, zu rebellieren.
Thomas R. am Permanenter Link
Herrn Webers Anliegen ist absolut nachvollziehbar, aber leider taugt die "Subtraktionsmethode" ÜBERHAUPT NICHT, um zu Aussagen zu gelangen, die rationalerweise als wahr akzeptiert werden können oder müssen.
Martin Mair am Permanenter Link
Huch, das ist ja pseudorationale Mildchmädchenrechnerei ;-)
Ein Mythos ist ein Mythos. Religion ist Teil der menschlichen KULTUR und daher kein rationales Gebilde. Heutzutage gibt es wieder vermehrt Menschen, ja sogar städtische Akademiker*innen, die sich in teuer produzierte Tracht (Lederhose, Dirndl) werfen und so tun, als sei das eine authentische Identität.
Erstaunlicher als die Widersprüche des Mythos sind eher die Widersprüche jener die behaupten Christen zu sein, nicht einmal die Evangelien jemals als Ganzes gelesen haben und der reales Leben in keinster Weise mit der christlichen Lehre oder Ethik - sofern mensch hierüber eine Übereinstimmung erzielen kann - übereinstimmt. Viele "Christen" sind - die Evangelien ernst genommen - wohl eher als die sprichwörtlichen "Heuchler und Pahrisäer" zu bezeichnen, weil auch sie im Namen des Götzen Mammon die "Schöpfung Gottes" zerstören und ihre Mitmenschen ausbeuten oder unterdrücken ...
Paul am Permanenter Link
Dann geht man eben zum "Beichten" und alles ist wieder gut.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Sehe nicht, was diese Denkweise mit Addieren und Subtrahieren zu tun hat. Es geht einfach um das Ignorieren von Widersprüchen bzw. des logischen Satzes vom Widerspruch.
Rein von der Logik her ist diese Aussage nicht haltbar (und wird auch im nachfolgenden Text so nicht angewendet). Es ist nur so, dass sich kein Geheimdienst auf die Aussage einer einzigen Quelle verlassen würde, wenn die anderen drei, die es eigentlich auch wissen müssten, davon nichts berichten. Apropos geheim, das ist der Widerspruch, der mich bei der theo-“logischen“ Argumentation am meisten auf die Palme bringt: notfalls ist alles ein großes Geheimnis, über das man eigentlich nichts sagen kann, über das dann aber von Theologen ganze Bücherregale gefüllt werden. Ganz fundamental ist dabei die Aussage des Kirchenlehrers Augustinus, dass man Gott nicht erkennen könne, nichts über ihn sagen könne. Schon die Aussage über seine Dreifaltigkeit steht dazu in krassem Widerspruch, dicht gefolgt von Ratzingers „Gott ist die Liebe“ …
A.S. am Permanenter Link
Der Versuch, Religion mit Logik beizukommen ist eigentlich schon vor Jahrhunderten geglückt: Religion ist Unsinn.
Warum dieser Unsinn immer noch existiert?
Meiner Meinung nach werden wir gezielt gläubig gemacht. Die Religionen sind die traditionellen Instrumente der Massen-Manipulation und als solche bei allen Herrschern beliebt zur Steuerung ihrer Untertanen.
Das schönste Beispiel ist doch Deutschland. Hier werden wir durch den Staat in den Schulen und über die Medien gläubig gemacht bzw. gläubig gehalten. Deswegen lassen wir uns auch viel mehr durch die Regierung gefallen als z.B. die Franzosen.
Manfred H. am Permanenter Link
- "Das Gesetz der Logik bedeutet, dass kein unlogisches System logische Erklärungen liefern kann"
Da würde ich glatt widersprechen. Aus einer falschen Annahme lässt sich prinzipiell alles folgern, pflegte mein Mathematik-Professor immer zu sagen.
- "Unser Verstand strebt immer danach, Fakten zu erfassen und Zusammenhänge herzustellen."
Zusammenhänge herstellen ja - aber Fakten erfassen?
Ich würde ja eher behaupten, unser Verstand strebt danach, aus wenigen gesicherten Fakten eine schöne Geschichte zu konstruieren, die dem eigenen Wunschbild entspricht.
Man nehme als Beispiel Michael Schmidt-Salomons Interpretation einer wissenschaftlichen Studie, welche der Autor der Studie, Ganopolski, offenbar überhaupt nicht nachvollziehen konnte.
- "Der Verstand bemüht sich somit unentwegt um Einbettung in bisheriges Wissen, Erfahrung und Logik."
Ja, aber logisch argumentieren durchaus auch Theologen innerhalb ihres abgesteckten Rahmens.
Topeka am Permanenter Link
Erinnert mich an ein altes Argument von Harris, nachdem das traditionelle Christentum eine Teilmenge des Mormonenglaubens sei, weshalb dieser logischerweise weniger plausibel sei.
Die Diagnose logischer Fehlschluesse weist i.d.R. lediglich auf ein Strohmann-Argument hin.
Aber welche Einsichten gewinnt man durch solche rhetorischen Tricks?