Eindrucksvolle Ausstellung des DA! im Düsseldorfer Ballhaus

Ein roter Teppich für die Evolution

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Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!) plant einen Evolutionsweg auch für seine Stadt. Vorab präsentierte er eine Indoor-Version im Ballhaus – auf einem 23 Meter langen Roten Teppich. Begleitet wurde die zehntägige Mammutveranstaltung von hochkarätigen Vorträgen und Führungen für Schulklassen. Ein Konzept, das aufging und Nachahmung verdient. Dieser Bericht zeigt auch die persönliche Sicht des Autors, der selbst Teil der Aktion war.

Der DA! ist eine der aktivsten Regionalgruppen der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), der sich unter Leitung von Ricarda Hinz für Aufklärung und Säkularisierung in Düsseldorf engagiert. Ein großes ehrenamtliches Team des Vereins hat nun ein weiteres ambitioniertes Projekt gestemmt: Zehn Tage Evolution in dem im Düsseldorfer Nordpark gelegenen Ballhaus – in Kooperation mit Evokids, dem Aquazoo Löbbecke Museum, dem Neanderthal-Museum, dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) NRW und KRASS e. V. Verglichen mit kirchlichen Großevents mag dies bescheiden gewirkt haben, da Kirchen über einen unglaublichen Reichtum verfügen. Doch bereits das Motto der Evokids-Tage "Nichts ergibt Sinn – außer im Licht der Evolution" verrät, dass der Gewinn für die Besucher hier unglaublich viel größer war als bei religiösen Shows, die letztlich nie klären können, ob einen Jesus wirklich liebt.

Entsprechend der Bedeutung des für die Evolution ausgerollten Roten Teppichs, fühlte ich mich geehrt, nach Düsseldorf eingeladen zu werden, um meine Originalgrafiken zum Evolutionsweg ausstellen zu dürfen. So hingen die Aquarelle unter den 19 "Evoweg"-Schildern, die mit ihren Texten den 4.600 Millionen Jahre langen Weg von der Entstehung der Erde bis zu uns modernen Menschen erklären. Rote Linien verbanden die Grafiken mit weißen Linien auf dem Teppich, die proportional zur Chronik der Evolution aufgeklebt waren. So wurde begehbar, welche langen Zeiträume vergingen, bis endlich aus Einzellern Mehrzeller und letztlich wir Menschen und alle anderen Tiere evolvierten. Die leuchtenden Augen der großen und kleinen Besucher im Ballhaus angesichts dieser beeindruckenden Installation entschädigten für die intensive Arbeit an den Bildern und dem Aufbau.

Freitag, 25. Oktober

Der Biologe Prof. Dr. Dittmar Graf, einer der Leiter des Evokids-Projekts, begrüßte die zahlreichen Gäste im Ballhaus und eröffnete die Evokids-Tage. Der Direktor des Aquazoo Löbbecke Museums, Dr. Jochen Reiter, überreichte dem DA! eine Urkunde, die ihn als Paten eines Fossils im Museum ausweist. Es ist ein Pterodactylus elegans, ein kleiner Flugsaurier aus dem Jura-Zeitalter. Über die humorvolle Comiclesung Ralf Königs am Abend des Eröffnungstags berichtete der hpd bereits.

Ralf König, Foto: © Bernd Kammermeier
Comiczeichner Ralf König, Foto: © Bernd Kammermeier

Samstag, 26. Oktober

Am nächsten Tag sprach der Ethnologe Prof. Dr. Christoph Antweiler über "Heimat Mensch – was uns alle verbindet", wobei er den Begriff "Heimat" metaphorisch verstanden wissen wollte. Eine seiner zentralen Fragen war: "Wie können eigentlich die vielen Kulturen, die auf diesem kleinen begrenzten Planeten leben und schon miteinander verwoben sind, eigentlich dauerhaft koexistieren, ohne alle gleich werden zu müssen?" Weiterhin fragte er das Publikum, was faktisch die Menschheit ausmache, einerseits im Sinne einer biologischen Einheit, andererseits als kulturelle Einheit, sodass dabei das Bewusstsein einer geeinten Menschheit herauskäme. Seine erste These lautete: "Menschen in verschiedenen Kulturen leben nicht in verschiedenen Welten, sondern sie leben verschieden in einer Welt." Er referierte zum Beleg dieser These über Universalien, über Elemente, die man in allen bekannten Gesellschaften finde. Ethnologen verglichen dazu nicht nur wenige Kulturen – nach dem Motto "The west and the rest" – sondern etwa 7.000. Inzestvermeidung, Ethnozentrismus oder männliche Dominanz im öffentlichen Raum seien solche weltweit auftretenden Gemeinsamkeiten. Gerade die Ethnologie helfe beim Verstehen dieser Universalien, auch wenn deren zentrale Zielsetzung eher die Suche nach Unterschieden einzelner Kulturen sei.

Für ihn selbst werde es spannend, wenn er auf Verhaltensweisen bei gegenseitig unbeeinflussten Kulturen stoße, die große Gemeinsamkeiten aufwiesen. Das hieße jedoch nicht, so Antweiler, dass er die Unterschiede der Kulturen negiere. Er stellte jedoch fest: "Faktisch sind die Unterschiede zwischen Kulturen meist geringer und die Grenzen weniger scharf, als es den Menschen erscheint, die ihnen angehören." Dies habe seine Ursache darin, dass sich Menschen beim Kontakt mit anderen Kulturen anhand weniger Merkmale als zugehörig zur eigenen Kultur definierten – oft durch religiöse Dogmen oder Nahrungsgewohnheiten. Die Komplexität einer Gesellschaft werde dabei ausgeblendet, so der Ethnologe weiter. Dadurch würde ein Mensch nicht mehr als Individuum wahrgenommen. "Er verschwindet unter dem Hut seiner Kultur. Stattdessen werden ihm andere Eigenschaften angedichtet, die er gar nicht hat."

So bildeten sich kulturelle Grenzen nicht durch territoriale Isolation, sondern sie entstünden gerade durch Beziehungen zwischen Gruppen, weil die Grenzziehung selbst ein politisches Instrument im Kampf um Geld und Aufmerksamkeit sei. "Ethnologen wissen dagegen, dass die tatsächlichen Unterschiede zwischen Personen innerhalb einer Kultur oft größer sind als der Abstand zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen." Der zentrale Punkt für die Unterschiede liege also entgegen populärer Vorstellung nicht in kulturellen Inhalten, sondern er sei die Abgrenzung: Wir und die anderen! Diese Identität werde von Identitätern manipulativ eingesetzt und damit zur Waffe im Konkurrenzkampf. "Menschen führen ihre Kultur ins Feld, anstatt mit Sachargumenten zu arbeiten. Ethnologen nennen das Kulturalisierung." Antweiler untermauerte mit vielen Beispielen, dass es jedoch mehr Gemeinsamkeiten zwischen Menschen gebe als Trennendes und dass dies eine Basis für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen in einer Welt sein könnte.

Prof. Dr. Christoph Antweiler, Foto: © Bernd Kammermeier
Ethnologe Prof. Dr. Christoph Antweiler, Foto: © Bernd Kammermeier

Abends folgte der Primatologe Prof. Dr. Volker Sommer mit "Der kultivierte Schimpanse – zur Evolution des Wir-Gefühls". Er verblüffte die Zuhörer mit menschlich erscheinendem Verhalten von Affen, die scheinbar sinnlose, "kulturelle" Attitüden zeigten und dass sogar Schimpansen – so Sommers provokante Aussage – Kruzifixe mögen würden. "Für mich ist Kultur sozial weitergegebenes Verhalten. Das, was wir voneinander übernehmen." Körperliche Ähnlichkeiten zwischen Bonobos und anderen Affenarten würden heute problemlos auf die gemeinsame Stammesgeschichte zurückgeführt. Doch haben Gorillas auch einen freien Willen oder eine Seele, wenn man als Mensch solches zu besitzen glaubt? Diese Fragen führten zu Ängsten, "denn wenn uns die nichtmenschlichen Affen zu nahe kommen, dann denken wir: Ich bin ja doch nicht ganz so wie ein Orang-Utan, da muss es doch irgendwelche Unterschiede geben."

Das führte nach Sommers Meinung zur Sonderstellungsphilosophie, nach der es irgendwelche Merkmale gäbe, die uns ganz klar von anderen Tieren unterschieden. Er zählte eine Reihe von angenommenen Alleinstellungsmerkmalen des Menschen auf: opponierbare Daumen, Gehirnasymmetrie, Lächeln und die Fähigkeit zum Schwimmen oder zum Rhythmushalten (als Schlagzeuger). All das finde man jedoch auch bei Primaten. Und wie ist es mit Kannibalismus, Krieg oder Umweltzerstörung? Sind das negative Alleinstellungsmerkmale des Menschen? "Auch in diesen schlechten Dingen stehen wir nicht alleine", führte Sommer überzeugend aus. Die Grenzziehung zwischen Menschen und Tierreich sei also schwer zu halten. Der Grundansatz der Erforschung der Menschenaffen sei ein vergleichender. Das bedeute, Menschen würden zoomorphisiert und andere Tiere als Menschen würden anthropomorphisiert. "Aber selbstverständlich mit Augenmaß", präzisierte der Primatologe seinen Forschungsansatz. Sein Credo: "Je menschenähnlicher eine Tierform uns ist, umso berechtigter können wir davon ausgehen, dass sie wirklich menschenähnlich ist." Im weiteren Verlauf des sehr unterhaltsamen wie informativen Vortrags führte Sommer unzählige Beispiele an, wie ähnlich Affen uns Menschen sind – auch im Negativen.

Prof. Dr. Volker Sommer, Foto: © Bernd Kammermeier
Primatologe Prof. Dr. Volker Sommer, Foto: © Bernd Kammermeier

Sonntag, 27. Oktober

Den Sonntag eröffnete der Physiker Georg Henneges mit seinem spannenden Vortrag "Die Evolution der Elemente". Er spannte einen weiten Bogen über 13,8 Milliarden Jahre physikalischer Geschichte des Universums. Wie entstanden die ersten Atome, wie mutierten sie, wie konnten sie sich zu den Rohstoffen des Lebens entwickeln? Als roten Faden spann er die Frage nach der Herkunft des Goldes auf der Erde in das Referat. Henneges begann beim Urknall und leitete die Zuhörer Station für Station durch den bis heute andauernden, dynamischen Prozess der Entstehung und evolutionären Umwandlung der Elemente. In einem kleinen Atomphysik-Exkurs veranschaulichte der Physiker die unvorstellbaren Dimensionen im atomaren Bereich. Auch die mannigfachen Stern-Typen mit ihren unterschiedlichen Temperaturen, Größen und Lebensdauern erklärte er einleuchtend. Doch dies allein führe noch nicht zur Evolution aller Elemente. Vor allem entstand dabei kein Gold. Weiter führte der Physiker aus, dass sich die Seltenheit eines Elements aus der Zahl seiner Elementarteilchen ergebe und schlussfolgerte: "Jedes Milliardste Atom im Universum ist ein Goldatom."

Wegen der Neugierde des Menschen – wo kommen wir her, wo gehen wir hin? – seien im Laufe der vergangenen Jahrzehnte teure Instrumente im Weltall und unter der Erde errichtet worden, die die Big-Bang-Theorie zur Entstehung des Universums untermauerten. So könne heute dieser Prozess ab einer 10.000-stel Sekunde nach dem Urknall experimentell untersucht werden. Nun wüssten wir laut Hennekes, dass sich beim Big Bang die Temperatur eines Strahlungsballs durch dessen Ausdehnung so weit gesenkt habe, dass sich Materie daraus habe kondensieren können. Zunächst allerdings nur Wasserstoff, wenig später noch Deuterium und Helium. Auch in den sich physikalisch evolvierenden Sonnen entstünden keine schwereren Elemente als Eisen oder Nickel.

Das Gold jedoch könne selbst bei der Explosion eines Sterns – einer Supernova – nicht entstehen. Heute, so der Physiker, gehe man davon aus, dass nur Neutronensterne imstande wären, Gold zu produzieren. Diese würden ihre Elemente wieder an die Umgebung abgeben, sodass ein ewiger zyklischer Prozess im Universum stattfinde. "Es ist dieser Zyklus, dem wir es zu verdanken haben, dass auf der Erde die Elemente so sind wie sie sind, dass die Erde überhaupt entstehen konnte. Wir hätten keinen Sternenstaub, sondern nur Wasserstoff und Helium. Ohne die Sterne, die immer wieder schwerere Elemente generieren, gäbe es uns nicht und es hätte natürlich auch keine Evolution des Lebens beginnen können", schloss Henneges seinen Vortrag.

Georg Henneges, Foto: © Bernd Kammermeier
Georg Henneges, Foto: © Bernd Kammermeier

Am Abend dann traf Darwin Gott: "Die Evolution der Religiosität" war das Thema des Soziobiologen und Philosophen Prof. Dr. Eckart Voland. Archäologen gingen nach Meinung des Wissenschaftlers davon aus, dass es so etwas wie Transzendenzvorstellungen bereits vor 60.000 bis 70.000 Jahren gegeben haben könnte, als eine "symbolische Revolution" stattgefunden haben könnte. Welche Fragen will Voland klären? "Woher kommt die Gläubigkeit und hat dies etwas mit Evolution zu tun?" Er stellte klar, dass er bei seinen Ausführungen nur erklären, nicht aber rechtfertigen wolle.

Dann referierte er über Ursachen und Notwendigkeiten von Religiosität. Bis zum fünften Lebensjahr würden Kinder ihren Mitmenschen unterstellen, alles zu wissen. Danach entwickelten sie eine "Theory of Mind", die dazu führe, dass sie anderen Personen andere Bewusstseinszustände zuordnen könnten. Offenbar betreffe dies nicht die Idee von "höheren Wesen", die weiterhin aktiv bleibe. Sie würden auch teleologisch denken, wie "Es regnet, damit die Blumen was zum Trinken haben". Sie wiesen auch toten Individuen ein Bewusstsein zu, dächten also dualistisch und unterschieden zwischen Körper und Geist.

Nach einem längeren Exkurs über die evolutionären Vorteile des Dualismus, aus dem sich Religion entwickelte – Kinder, die Giftpflanzen als "böse" anerkennen, würden diese nicht essen; auch solche, die vor einem Rascheln im Wald flöhen, hätten bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen, als wenn man nachschaue, ob da nicht doch ein Löwe sei –, kam er zu seiner Schlussthese und erwartete dafür die Watschen von Atheisten, "weil ich behaupte, dass Aufklärung und Wissenschaft die Religiosität, weil sie eben naturgeschichtlich vorhanden ist, nicht verdrängen können."

Prof. Dr. Eckart Voland, Foto: © Bernd Kammermeier
Soziobiologe und Philosoph Prof. Dr. Eckart Voland, Foto: © Bernd Kammermeier

28. bis 31. Oktober – die Schulklassen kommen

Während dieser Evokids-Tage durfte ich zusammen mit Vanessa Rücker vom Gießener Institut für Biologiedidaktik und Olaf Zuber von der gbs-Regionalgruppe Freiburg 16 Düsseldorfer Schulklassen durch die Ausstellung begleiten. Die Vormittage von Montag bis Donnerstag waren für die Klassen 1 bis 10 reserviert, sodass auch die Jüngsten an das spannende Thema Evolution herangeführt werden konnten. Dabei durften wir den überwiegend sehr wissbegierigen Schülerinnen und Schülern die Faszination der Entwicklung des Lebens auf der Erde vermitteln, wobei manche unter ihnen ein erstaunliches Grundwissen vorzuweisen hatten. Nach meiner hier gewonnenen Erkenntnis muss Evolution unbedingt Teil des Unterrichts an allen Grundschulen werden. Auch Sechsjährige können die Zusammenhänge verstehen, wenn sie kindgerecht präsentiert werden. Der von Ricarda Hinz mit diesem Ansatz produzierte Evokids-Film "Big Family – Die phantastische Reise in die Vergangenheit" rundete die Führungen ab. Dieser Animationsfilm basiert auf dem gleichnamigen Buch von Dr. Michael Schmidt-Salomon und Anne-Barbara Kindler.

Bei fast allen Klassen kam am Ende ein erstaunlich reifes Feedback zurück: Sie hatten erkannt, dass das Leben auf der Erde miteinander verwandt ist, dass wir alle eine "Big Family" sind. Aus dem Einzeller L.U.C.A., dem letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebensformen, entwickelten sich sämtliche Bakterien, Pilze, Pflanzen und Tiere. Entsprechend fielen die Antworten auf die Frage aus, die Olaf Zuber stets am Ende stellte: "Wie geht man denn mit seinen Verwandten um?" Sie reichten von "lieb", "respektvoll" und "höflich" bis zur fundamentalen Feststellung, dass dann auch niemand Kriege führen dürfe. Ohne dass es so benannt wurde, nahmen die Kinder eine humanistische, dem Leben zugewandte Position ein. Ist diese Art der Aufklärung nicht unendlich wertvoller als die Vermittlung vormoderner Mythen, die kaum einen Bezug zur festgestellten Wirklichkeit haben? Mythen, die zu Ausgrenzung und Separierung führen, während wir unsere Kinder fit machen sollten für eine globalisierte bunte Welt ohne Nationen, ohne Trennendes?

An einigen Abenden konnten Kinder mit KRASS e. V., einem Verein, der junge Menschen aus problematischen Verhältnissen mit Kunstprojekten aufbaut, Evolutionsbilder malen. Die vielen tollen Ergebnisse wurden in einer stetig wachsenden Ausstellung der Öffentlichkeit im Ballhaus präsentiert.

Kinder malen mit KRASS, Foto: © Bernd Kammermeier
Kinder malen Evolutionsbilder, Foto: © Bernd Kammermeier

Freitag, 1. November

Am letzten Wochenende standen wieder die Erwachsenen im Mittelpunkt des Geschehens. Die Archäologin und Direktorin des Neanderthal-Museums, Dr. Bärbel Auffermann, informierte am Freitag über "Zwei Millionen Jahre Migration" und klärte darüber auf, dass wir alle Migranten aus Afrika seien. "Migration ist ganz eng verknüpft mit unserem Menschsein und mit unserer Entwicklung." Diverse Wissenschaftsdisziplinen hätten mittlerweile zahlreiche Migrationsbewegungen nachweisen können. "Mit diesem Wissen können wir heutigen und zukünftigen Migrationsereignissen auch mit einer gewissen Gelassenheit entgegentreten", stellte die Archäologin fest. "Wir Menschen konstruieren unsere eigene Identität und damit auch die Zugehörigkeit zu Gruppen und Gesellschaften." Dies erzeuge ein Gefühl von Vertrautheit oder Abgrenzung.

Die Migration habe begonnen, als der nicht sesshafte Mensch dem Nahrungsangebot folgte und sich so unwillkürlich ausbreitete. Mit zunehmender Entwicklung unterstützten die Nutzung von Reittieren, die Erfindung von Booten und schließlich auch Wagen diese Wanderungen. "Manche Ausbreitungswege, wie zum Beispiel die Balkanroute, nutzen Menschen aufgrund der günstigen Geographie seit Jahrtausenden." Die heutige Definition für "Menschen mit Migrationshintergrund" beziehe sich, so Auffermann weiter, auf einen winzigen Zeitraum der Geschichte. "Archäologisch gesehen haben alle lebenden Menschen einen Migrationshintergrund." Wir seien alle Afrikaner.

Dr. Bärbel Auffermann, Foto: © Bernd Kammermeier
Archäologin Dr. Bärbel Auffermann, Foto: © Bernd Kammermeier

Am Abend referierten die Wissenschaftsjournalistin Franziska Konitzer und ihre Kollegin Martina Preiner vom Audible-Wissenschaftspodcast "Undoder zum Quadrat" über "Abiogenese – unglaublich oder unausweichlich?". Es ging um nichts anderes als die vielleicht spannendste Frage der gesamten Biologie: Wie entstand das Leben vor 4,1 Milliarden Jahren? Die beiden engagierten Frauen zeigten den aktuellen Stand der Forschung auf, aber auch die noch immer vorhandenen Fragezeichen, wenn es um das Kleingedruckte beim Übergang der chemischen in die biologische Evolution geht.

Martina Preiner & Franziska Konitzer, Foto: © Bernd Kammermeier
Wissenschaftsjournalistinnen Franziska Konitzer und Martina Preiner (von links), Foto: © Bernd Kammermeier

Samstag, 2. November

Die Vortragsreihe schlossen am Samstag der Zoologe Dr. Stefan Curth und der Philosoph und Vorstandssprecher der gbsDr. Michael Schmidt-Salomon, ab. Der Zoologe, der für die wissenschaftliche Sammlung des Aquazoo Löbbecke Museums verantwortlich ist, führte am Nachmittag in seinem Referat "Evolution zum Anfassen – Zoos und Museen als Bildungsorte" engagiert aus, dass Zoos zwar in den Dialog mit ihren Kritikern treten müssten, aber andererseits auch unverzichtbar seien, um den Bürgern Tiere nahezubringen. Auch für den Arterhalt würden sie wertvolle Dienste leisten. Dabei sah er durchaus die tierethischen Probleme, die mit dem Freiheitsentzug der Zooinsassen verbunden sind. Doch die Zoos selbst würden hier nach und nach Abhilfe schaffen und den Tieren möglichst lebensnahe Bedingungen bereitstellen.

Dr. Stefan Curth, Foto: © Bernd Kammermeier
Zoologe Dr. Stefan Curth, Foto: © Bernd Kammermeier

Der abschließende Vortrag des Philosophen Schmidt-Salomon, der auch Schirmherr der Evokids-Tage war, spannte einen größtmöglichen Bogen um das Thema: "Evolution ist überall"; er ging direkt auf das Motto der Gesamtveranstaltung ein: "Nichts ergibt Sinn – außer im Licht der Evolution". Dieser Satz gehe auf den Titel eines Aufsatzes des Genetikers und Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky zurück, allerdings mit einer Einschränkung: "Nichts in der Biologie ergibt Sinn außer im Licht der Evolution". Der gbs-Vorstandssprecher versuchte in seinem Vortrag zu begründen, warum man diese Aussage im Sinn des Veranstaltungsmottos verallgemeinern dürfe, denn "das Verständnis der Evolution spielt auch außerhalb der Biologie eine entscheidende Rolle."

Julian Huxley, der Begründer des evolutionären Humanismus, habe bereits vor Dobzhansky die ersten Ansätze entwickelt zu "einer universellen Evolutionstheorie, das heißt einer vereinheitlichten Betrachtungsweise des Universums, die sowohl die Wandlungsprozesse beleuchtet, die der Welt des Lebendigen vorangegangen sind – etwa die kosmische oder chemische Evolution – als auch jene, die später erst auf Basis der biologischen Evolution erfolgten, etwa die Evolution des Bewusstseins, der Sprache, der Technik, der Medizin, der Wissenschaften und der Künste." Der Referent differenzierte dabei die unterschiedlichen Wirkmechanismen der einzelnen Evolutionen. Er stellte drei Merkmale vor, die er bei evolutionären Prozessen für charakteristisch hält: Erstens qualitativer Wandel, zweitens Variation und Selektion (Zufall und Notwendigkeit), drittens weitgehende Unumkehrbarkeit der Selektionsverhältnisse, das hießt, die Evolution könne nicht einfach auf eine alte Stufe zurückkehren, sondern die veränderten Merkmale blieben Bestandteile des Evolvierten.

Foto: © Bernd Kammermeier
Aufmerksam lauschten die Zuhörer dem Vortrag, Foto: © Bernd Kammermeier

Auf Basis dieser Definitionen breitete Schmidt-Salomon vor seinem Publikum die Entstehung des Universums als eine Abfolge vieler Evolutionen aus. Nachdem die langwierige biologische Evolution die Mehrzeller hervorgebracht habe, nahm der Prozess an Fahrt auf. So entstand schließlich aus einer affenartigen Spezies der Mensch, der ein Bewusstsein entwickelt und mit der kulturellen Evolution begonnen habe. Zunächst sei dieser Prozess schleppend vorangegangen. Erst die Erfindung von Medien (Schrift, Buchdruck, bis zum Internet), die Informationen auch außerhalb biologischer Systeme abspeichern könnten, hätte hier beschleunigende Wirkung gezeigt. Der resultierende Aufschwung habe dazu geführt, dass die Menschheit etwa ab dem Jahr 1800 zu einem geologischen Faktor geworden sei, weshalb manche Wissenschaftler inzwischen von einem neuen Erdzeitalter sprächen, dem Anthropozän. Der Philosoph: "Ich habe den Eindruck, dass ich mithilfe einer solchen universellen Evolutionstheorie die Geschichte unseres Universums nicht nur adäquat, sondern auch sehr elegant beschreiben kann."

Dies müsse nach seiner Einschätzung zur engeren Zusammenarbeit einzelner wissenschaftlicher Disziplinen führen, da alles in der allgemeinen Evolutionstheorie einen gemeinsamen Nenner finde. "Geistes- und Sozialwissenschaftler sollten hieraus den Schluss ziehen, dass sie sich unbedingt mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Forschung beschäftigen sollten. Eine Aussage, die bereits auf physikalischer, chemischer oder biologischer Ebene falsch ist, kann im kulturellen Rahmen nicht auf einmal richtig sein. Philosoph*innen, Psycholog*innen und Soziolog*innen, die naturwissenschaftliche Ergebnisse ignorieren, laufen dabei Gefahr, keine relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erzeugen, sondern bloß eleganten Unsinn." Da dies auch umgekehrt gelte, riet der Philosoph allen Wissenschaftsdisziplinen zur engen Zusammenarbeit. "Diese vereinheitlichte Betrachtungsweise, die uns eine universelle Evolutionstheorie ermöglicht, könnte ein gutes Rahmenkonzept sein für eine Einheit des Wissens, die der disziplinären Zersplitterung der Wissenschaften entgegenwirkt und den oftmals unproduktiven Streit zwischen den Vertreter*innen der unterschiedlichen Disziplinen überwindet."

Im zweiten, politischeren Teil seines Vortrages resümierte Schmidt-Salomon: "Mit einer relativen Sicherheit von 50,001 Prozent gehe ich daher davon aus, dass sich die internationalen Irrationalisten, die momentan noch sehr erfolgreich nationalen Chauvinismus mit reaktionären religiösen Dogmen verbinden, mit ihrer überkommenen Sicht der Welt nicht dauerhaft durchsetzen werden. Stattdessen werden unsere Artgenossen im Lichte der Evolution wohl zunehmend begreifen, dass Völker, Nationen, Religionen bloß vorübergehende soziale Konstrukte sind, die eine fundamentale Tatsache des Lebens allzu oft verdecken, nämlich, dass uns Menschen untereinander sehr viel mehr verbindet als trennt."

Dr. Michael Schmidt-Salomon, Foto: © Bernd Kammermeier
Philosoph Dr. Michael Schmidt-Salomon, Foto: © Bernd Kammermeier

Persönliches zum Schluss

Die Moderation aller Vorträge übernahm Eva Witten vom Düsseldorfer Aufklärungsdienst gekonnt und professionell. Sie und Ricarda Hinz wurden tatkräftig unterstützt durch viele ehrenamtliche Helfer und Helferinnen des DA! und anderer humanistischer Organisationen. Ich möchte sie hier nennen, weil dies so selten geschieht (alphabetisch sortiert): Juliana Bernholt, Gabi Bokeloh, Maria-Helene Kaspar-Daun, Achim Horn, Jürgen Jansen, Thomas Kucharski, Nergiz Morawa, Lea Nadic, Ralf Osenberg, Karin Peter, Karlo Schmid, Jochen Schreiber, Tim Selber, Lika Weingarten, Adelheid Maria Wich und last but not least Iris Witt. Nein, das ist keine Lobhudelei, sondern zeigt den Geist der Veranstaltung. Hier haben engagierte Menschen zusammen Großartiges auf die Beine gestellt. In nüchternem Journalistendeutsch würden diese Interna der Öffentlichkeit vorenthalten. Ich finde jedoch wichtig, dass Humanisten und Aufklärer als das wahrgenommen werden, was sie sind: Freundliche, einander zugewandte Menschen, die die Welt ein bisschen verbessern wollen. Ja, die Kirchen haben die Gemeindebildung als Plus auf ihrer Seite. Doch das haben wir auch – ohne dualistische Dogmen und vielleicht sogar eine Spur herzlicher in der "Big Family".

Ricarda Hinz, das immer freundliche Herz der Veranstaltung, soll das letzte Wort haben: "Es hat sich sehr gelohnt, einmal ausschließlich dem Thema 'Evolution' den roten Teppich auszurollen und damit zahlreichen Gästen sowie Schulklassen den größtmöglichen Überblick über die Erdgeschichte zu präsentieren. Denn nur wer den Überblick hat, kann die Dinge richtig einsortieren. Die Kinder und auch die erwachsenen Gäste waren spürbar von den Dimensionen der Tiefenzeit unseres Planeten beeindruckt. Uns ist gerade einmal seit sechzig Jahren das wahre Alter unseres Planeten von 4,6 Milliarden Jahren bekannt und täglich finden und fügen sich neue Fossilien zum Gesamtbild der Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten hinzu. Das große Puzzle des Lebens, das die Wissenschaft seit gerade einmal 200 Jahren aus den Gesteins-Schichten herauszulesen versteht ist nichts weniger als unsere säkulare Schöpfungsgeschichte. Sie gehört nicht nur bereits in die Grundschule. Sie gehört in jeden nachdenklichen Kopf, denn sie wird die Basis zukünftigen menschlichen planetaren Bewusstseins sein. Die Dankbarkeit unserer Ausstellungsbesucher und die Begeisterungsfähigkeit der Grundschulkinder für diese Thematik war nur ein Vorgeschmack darauf."

Der Rote Teppich, Foto: © Bernd Kammermeier
Hier wurde der Evolution der Rote Teppich ausgerollt, Foto: © Bernd Kammermeier