Nigeria

Ein Schlag gegen die atheistische Bewegung

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Menschenrechtsaktivist Leo Igwe.

Vor drei Wochen wurde der Präsident der Humanistischen Vereinigung von Nigeria verhaftet, weil er auf Facebook den Propheten Mohammed beleidigt haben soll. Seitdem ist der Aufenthaltsort von Mubarak Bala unbekannt. Balas Mitstreiter fürchten um sein Leben und auch um die Sicherheit anderer Atheisten in Nigeria. Der nigerianische Menschenrechtsaktivist Leo Igwe, Leiter der Kampagne #FreeMubarakBala, berichtet im hpd-Interview von der Situation vor Ort. 

hpd: Vor knapp drei Wochen wurde Mubarak Bala, der Präsident der Humanistischen Vereinigung von Nigeria, verhaftet. Was wirft man ihm vor?

Igwe: Polizeibeamte haben Mubarak am 28. April in Kaduna verhaftet und am 29. April nach Kano gebracht. Einige Muslime hatten bei der Polizei in Kano beantragt, gegen Bala zu ermitteln und ihn strafrechtlich zu verfolgen wegen einiger Kommentare, die er auf seiner Facebookseite veröffentlicht hatte und die angeblich den Propheten des Islam beleidigen. Wir vermuten, dass Balas Verhaftung in Zusammenhang steht mit dieser Beschwerde. Es wurde bis jetzt allerdings noch keine formelle Anklage gegen ihn erhoben.

Was ist passiert, seitdem man ihn festgenommen hat?

Er wurde kurz auf der Polizeiwache von Kaduna festgehalten und dann nach Kano gebracht. Das war am 29. April. Seitdem ist er komplett von der Außenwelt abgeschnitten und darf auch keinen Rechtsanwalt kontaktieren. Es ist zurzeit unbekannt, wo genau und unter welchen Umständen er in Haft ist.

Wie schätzen Sie diese Tatsache ein, dass aktuell niemand weiß, wo er ist und dass man nicht mal einem Rechtsanwalt Zugang zu ihm gewährt?

Die Polizei will damit wohl die Antragsteller und die Islamisten besänftigen. Die Polizei hat dem Druck der Antragsteller nachgegeben und es ist ein deutliches Signal, dass sie keine unvoreingenommene Untersuchung einleiten wird. Falls Mubarak Bala angeklagt wird, wird er kein faires Verfahren bekommen.

"Mubarak Bala hat aus Kano mehrere Todesdrohungen erhalten"

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Die internationale Kampagne #FreeMubarakBala setzt sich für die Freilassung des Präsidenten der Humanistischen Vereinigung von Nigeria ein.

Glauben Sie, dass Mubarak Bala in Lebensgefahr schwebt?

Ja, das tut er. Deswegen wurde bei der Polizei in Abuja beantragt, dass man seinen Fall an einen neutraleren Ort verlegt. Aber das stieß auf taube Ohren. Mubarak Bala hat aus Kano mehrere Todesdrohungen erhalten – unter anderem welche von Angehörigen des Militärs und der Polizei. Wenn er weiter in Kano festgehalten wird, schwebt er in Lebensgefahr.

Wie ist denn in Nigeria die allgemeine Situation für Atheisten?

Riskant und sehr gefährlich. Dort ein Atheist zu sein, heißt einer gefährdeten Spezies anzugehören. Um Ihnen das begreiflich zu machen: Jemand hat zu mir einmal gesagt, dass er mich zu 95 Prozent liebt und zu 5 Prozent hasst – die 5 Prozent Hass kamen daher, dass ich gesagt hatte, es gibt keinen Gott. Allerdings würden die 5 Prozent Hass die 95 Prozent Liebe überschatten. Atheisten werden gehasst, weil sie die Welt so sehen, wie sie es tun. Besonders schlimm ist die Lage im Norden von Nigeria, wo der Islam die vorherrschende Religion ist und die Scharia gilt. In diesem Teil von Nigeria leben und operieren Atheisten im Verborgenen. Sie haben Angst, ermordet zu werden oder verfolgt wie Mubarak Bala.

"Atheisten in der Region stehen schwierige Zeiten bevor"

Hat sich die Situation für Atheisten in Nigeria seit der Verhaftung von Mubarak Bala verschlimmert?

Ja, das hat sie. Es hat offene Drohungen gegeben, dass man sich um die Atheisten im Land kümmern werde. Die Anzeige gegen Mubarak Bala hat viele muslimische Extremisten und Anti-Atheisten ermutigt. Egal wie die Sache ausgehen wird, die Lage der Atheisten hat sich auf jeden Fall verschlechtert. Wenn es den Extremisten gelingt, Mubarak ins Gefängnis zu werfen oder hinzurichten, wie dies bereits angedroht wurde, dann werden sie sich danach anderen Atheisten zuwenden. Wenn Mubarak freigesprochen wird, was wir hoffen, dann werden die Extremisten und Anti-Atheisten ihren Zorn und ihre Frustration an anderen Atheisten auslassen. Atheisten in der Region stehen also schwierige Zeiten bevor.

Befürchten Sie, dass Nigeria jetzt von einer Welle der Verhaftungen und Hinrichtungen von Atheisten überrollt werden könnte?

Wenn die Anzeigenerstatter in diesem Fall bekommen, was sie wollen, dann wird es mehr Angst, mehr Verhaftungen und mehr Verfolgung geben. Wenn es den Islamisten gelingt, Mubarak Bala ins Gefängnis zu bringen oder hinrichten zu lassen, dann wird sich das also sicherlich nicht positiv auf die Situation der Atheisten auswirken. Selbst wenn es Bala gelingt, straffrei zu bleiben, werden Atheisten in der Region in absehbarer Zukunft einem höheren Risiko ausgesetzt sein. Die Extremisten und ihre islamische Staatsbasis würden dort Atheisten schon beim geringsten Anlass zu Sündenböcken machen. Ja, es liegen anstrengende Zeiten vor uns.

"Ich weiß, dass ich jederzeit verhaftet werden könnte"

Wie steht es denn um Sie selbst? Sie sind in Nigeria ein bekannter Atheist und Sie leiten die Kampagne zur Befreiung von Mubarak Bala #FreeMubarakBala. Haben Sie keine Angst, dass Sie der Nächste sein könnten, der verhaftet wird?

Genau darum kämpfe ich ja für die Befreiung von Mubarak Bala. Freiheit für Mubarak Bala bedeutet auch Freiheit für mich. Ich tue zurzeit alles, um für die bedingungslose Freilassung von Bala zu sorgen, weil ich weiß, einige von uns wären die Nächsten, wenn es den Extremisten gelingt, mit Bala das zu machen, was sie angedroht haben. Ihr Ziel ist es nicht nur, Mubarak Bala zum Schweigen zu bringen, sondern einen Schlag gegen die atheistische Bewegung zu führen. Ich weiß, dass ich jederzeit verhaftet werden könnte. Aber wenn meine Verhaftung dazu führt, dass alle Atheisten in Nigeria sich frei bewegen können und würdevoll behandelt werden, dann sollen sie kommen und mich verhaften. Ich würde diesen Preis gern zahlen. Ich würde dieses Opfer bringen. Die Unterdrückung und Verfolgung von Atheisten hält schon zu lange an. Ich hoffe, Mubarak Balas Fall wird zu einem Wendepunkt, was die Situation der Atheisten betrifft.

Gibt es irgendetwas, das andere Ländern tun können, um dabei zu helfen, Bala und die Atheisten in Nigeria zu schützen?

Andere Länder sollten den Staat Nigeria deutlich darauf hinweisen, dass seine Beihilfe bei der Verfolgung von Atheisten, der nicht-religiösen Minderheit, Konsequenzen hat. Dass dafür ein Preis zu zahlen ist. Die Länder sollten Nigeria mitteilen, dass es internationale Gelder und Ansehen verliert, wenn es weiterhin die staatliche Verfolgung von Atheisten und Freidenkern erlaubt. Dass Nigeria die Pflicht hat, die Atheisten und Freidenker unter ihren Bürgern zu beschützen. Und dass es für Nigeria von Vorteil wäre, wenn das Land endlich beginnen würde, die Rechte von Atheisten als Menschenrechte anzuerkennen.

Das Interview wurde auf Englisch geführt. Interview und Übersetzung: Daniela Wakonigg.

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