Terre des Femmes hat am Mittwoch einen Offenen Brief an die Regierungen von Bund und Ländern geschickt. Angesichts von ersten Hinweisen und Verdachtsmomenten von Menschenhandel fordert die Organisation, Frauen und Kinder, die aus dem Kriegsgebiet der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, durch konkrete Maßnahmen vor Missbrauch und Ausbeutung zu schützen. Der hpd veröffentlicht den Text hier im Wortlaut.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Faeser,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,
seit der russischen Invasion in der Ukraine sind mehr als zwei Millionen Menschen – hauptsächlich Mädchen und Frauen – geflohen. In Deutschland sind seit Ausbruch des Krieges bereits 150.000 Kriegsflüchtlinge angekommen. Als Frauenrechtsorganisation setzen wir uns für geflüchtete Mädchen und Frauen ein, unbegleitete Minderjährige, Kinder und Frauen sind besonders schutzbedürftig.
Sie befinden sich auf der Flucht in einer vulnerablen Situation und müssen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausbeutung geschützt werden. Oft haben Mädchen und Frauen bei ihrer Vertreibung bereits geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung erfahren und sind von den Kriegsereignissen traumatisiert. Spätestens bei ihrer Ankunft in Deutschland braucht es Sicherheit durch flächendeckende, langfristige, barrierefreie Schutzräume, wo Ihre (Gesundheits- und Erst-)Versorgung gewährleistet wird.
Wir begrüßen die große solidarische Hilfs- und Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Gleichzeitig muss diese Hilfe von anerkannten Organisationen koordiniert und den Bedürfnissen der Kinder und Frauen angepasst werden. Besonders private Hilfsangebote für die Unterbringung oder auch Mitfahrgelegenheiten müssen polizeilich registriert und überprüft werden. MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen nutzen die Not- und Zwangslage von Frauen mit und ohne Kinder aus. Mädchen und Frauen sind akut gefährdet, durch organisierte Kriminalität zur Prostitution gezwungen zu werden, geschlechtsspezifische Gewalt zu erfahren und vergewaltigt zu werden.
Wir sind schockiert, dass es in Berlin bereits erste Hinweise und Verdachtsmomente von Menschenhandel gegeben hat. Wir fordern die Regierungen von Bund und Ländern auf, mit aller Stärke dagegen vorzugehen.
Terre des Femmes fordert:
- Ausbau einer sicheren Ankunftsinfrastruktur, angepasst an die Bedürfnisse von Frauen und Kindern
- Sensibilisierung und Aufklärung von Geflüchteten sowie HelferInnen auf dem Fluchtweg und bei der Ankunft zu möglichen Gefahren in die Hände von ZuhälterInnen und MenschenhändlerInnen zu geraten, etwa durch Durchsagen in den (Sonder-)Zügen der Deutschen Bahn
- Gewährleistung der Gesundheitsversorgung durch niedrigschwelligen und flächendeckenden Zugang zu psychologischer Betreuung, ÄrztInnen sowie Test- und Impfzentren
- Betreuung, Unterstützung, Gewaltprävention bei der Unterbringung ukrainischer Mädchen und Frauen in Deutschland und Unterrichtung aller Geflüchteten durch ausgebildetes und kultursensibles Fachpersonal in ihrer Muttersprache über ihre Rechte sowie über Unterstützungsmöglichkeiten z. B. in Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt
- Registrierung aller Helfenden und ihrer Hilfsangebote, wie z. B. beim Angebot der privaten Unterbringung und Mitfahrgelegenheiten
- Konsequentes Nachgehen der Polizei beim Verdacht auf Frauenhandel und Ausbeutung von Geflüchteten und die sofortige Aushändigung von Platzverweisen von verdächtigen Personen (z. B. an Bahnhöfen)
Als Frauenrechtsorganisation beobachten wir, dass geflüchtete Mädchen und Frauen bei ihrer Ankunft in Deutschland in die Hände von äußerst brutalen MenschenhändlerInnen geraten können. Wir fordern daher die Regierungen von Bund und Ländern auf: Handeln Sie sofort!