Der bekannte Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly ließ am Rosenmontag eine Putin-Figur durch Düsseldorf fahren, die sich die Ukraine in den Rachen stopft, während diese zerbricht. "Erstick dran!!!" ist darauf zu lesen. Es war eine persönliche Aktion mit seinem Team, zu der sich der Künstler spontan entschlossen hatte, der eigentliche Rosenmontagszug findet coronabedingt erst im Mai statt. Der hpd hat mit Tilly über den Krieg in der Ukraine und einen neu aufgestellten Wagenbaurekord gesprochen.
hpd: Als vergangenen Donnerstag die Nachricht kam, dass Russland tatsächlich in die Ukraine einrückt, was waren da deine ersten Gedanken? Wie hast du dich gefühlt?
Jacques Tilly: Ich war wirklich überrascht, weil ich nicht gedacht hätte, dass Putin so irrational und wahnsinnig ist, diesen hohen Preis zu bezahlen. Es war ja absehbar, dass es Russland teuer zu stehen kommen würde, einfach in ein fremdes Land einzumarschieren. Dass er das in Kauf nimmt, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte ihn bisher für einen zwar völlig skrupellosen, aber immerhin klugen und rational denkenden Strategen gehalten. Und als ich seine Rede gehört habe, in der er von drogenabhängigen Faschisten gefaselt hat, die die Macht in der Ukraine hätten, da machte er eher den Eindruck eines nicht mehr geistig zurechnungsfähigen Psychopathen. So dreist und wirr hat noch kaum einer von den großen Demagogen gelogen. Das fand ich schon sehr bedrohlich, muss ich sagen.
Wie schnell hast du dich dann dazu entschieden, dass du dazu einen Wagen bauen möchtest?
Oh, das hat sehr lange gedauert. Am letzten Donnerstag, an Altweiberfastnacht, hat er ja seine Invasion gestartet – genau wie 2014 übrigens, als er in die Krim einmarschiert ist, ein merkwürdiger Zufall (lacht). Das Carnevals-Comitee hatte ja entschieden, diesen Rosenmontag nichts zu machen, weil wir unseren Zug in Düsseldorf ja Ende Mai haben. In der Nacht zu Sonntag habe ich aber nicht richtig schlafen können, weil ich dachte: Das ist doch die Sprache, mit der wir uns ausdrücken – gemeine, schöne Wagen bauen, mit denen wir die Weltpolitik kommentieren. Und in so einer Situation kommt aus Düsseldorf kein Lebenszeichen? Das wäre doch irgendwie eine sehr schwache Leistung.
Dann habe ich am Sonntagmorgen mein Team gefragt, ob wir nicht noch einen Wagen bauen wollen – wirklich auf die Schnelle, einen Tag vor Rosenmontag. Und alle haben gesagt: machen wir, auch unentgeltlich, denn das Comitee wird diesen Wagen ja nicht finanzieren. Und dann haben wir wirklich nonstop gearbeitet: Ich habe mir am Morgen zuerst einen Entwurf ausgedacht und gezeichnet. Den habe ich dann meinem Team gezeigt und auch dem Comitee, die müssen ja einverstanden sein. Gegen ein Uhr am Mittag habe ich dann mit dem Grundgerüst begonnen. Etwas später dann kam schon mein Team dazu, hat mitgedrahtet, und irgendwann in der Nacht haben wir angefangen zu kaschieren. Um sechs Uhr morgens konnten unsere Maler mit dem Bemalen anfangen. Erst um 11 Uhr morgens am Rosenmontag haben wir unsere Werkzeuge aus der Hand gelegt. Da begann die Pressekonferenz, auf der wir den Wagen vorgestellt haben. Direkt danach ist er den ganzen Tag durch die Stadt gefahren.
Wir haben zwar immer gesagt: Wenn es sein muss, bauen wir einen Wagen an einem Tag, denn Aktualität ist Trumpf. Jetzt haben wir aber zum allerersten Mal bewiesen, dass wir dazu auch wirklich in der Lage sind. Einen Wagen in 22 Stunden zu bauen, das war wirklich Rekord. Und ich bin sehr stolz auf mein Team, das die ganze Nacht durchgearbeitet hat. Alle haben mir gesagt: "Wir stehen hinter dir, wir machen diese Aktion gemeinsam als Tilly-Team, denn wir müssen diese brutale Ungeheuerlichkeit bissig kommentieren. Das ist einfach unser Job." Und wir haben mit dem Wagen ja nicht einfach nur die Situation dargestellt, wie sie ist, nämlich, dass Putin dabei ist, die gesamte Ukraine zu verschlucken. Das wäre einfach zu wenig gewesen. Mit dem Schriftzug "Erstick dran!!!" haben wir deutlich gemacht, dass wir hoffen, dass ihm dieser Krieg politisch das Genick bricht. Wir wollen mit diesem Statement ganz vielen Menschen aus der Seele sprechen und damit die allgemeine Stimmung treffen. Die Reaktionen am Wegesrand und auch das enorme Presseecho waren dann ja auch durchweg positiv.
Normalerweise sind deine Figuren ja nicht für die Ewigkeit gebaut, sondern nur für den Rosenmontag. Gehört dieser Putin zu den seltenen Ausnahmen?
Die russische Oppositionellengruppe, mit der ich letztes Jahr am Brandenburger Tor demonstriert habe, war sehr angetan von dem Wagen und sie haben schon gefragt, ob sie den hier in Deutschland weiter nutzen dürfen. Das heißt, der Wagen wird auch weiterhin im Einsatz sein. Diesen Donnerstag wird zum Beispiel eine große Kundgebung hier in Düsseldorf vor dem Landtag stattfinden, da wird der Wagen dann auch zu sehen sein.
Wäre es nicht auch eine Idee gewesen, die Botschaft auch auf Russisch aufzumalen?
Dieser Wagen wäre in den russischen Medien überhaupt nicht gebracht worden, da es in Russland keine freie Presse gibt. Es war richtig, das auf Deutsch draufzuschreiben, denn wir haben den Wagen in erster Linie für Deutschland gebaut. Wir wollten der Stimmung hierzulande Ausdruck verleihen. Und wir wollten damit zeigen, dass auch in so einer außergewöhnlichen und bedrohlichen Situation der Karneval und die närrische Satire noch am Leben sind.
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Eine persönliche Stellungnahme von Erwin Kress, Vorstandssprecher des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), zum Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022.
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