Wenig Transparenz, fehlende Aufsicht:

Die Sonderrechte der kirchlichen Unternehmen

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Beschäftigte des katholischen Klinikums im saarländischen Ottweiler streiken.
Beschäftigte des katholischen Klinikums im saarländischen Ottweiler streiken.

Trotz mehrerer Finanzskandale genießt der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands, die Kirche, weiterhin erhebliche Sonderrechte. Das kann nicht nur teuer für den Steuerzahler werden, sondern verzerrt auch den Wettbewerb. Ist das noch gerechtfertigt?

Am 11. Oktober um 6 Uhr morgens wagten rund 50 Beschäftigte des katholischen Klinikums im saarländischen Ottweiler einen Tabubruch: Sie streikten für einen gewerkschaftlichen Tarifvertrag.

Es ist der erste Streik seiner Art, denn Beschäftigte von kirchlichen Trägern dürfen eigentlich nicht streiken. Ebenso wenig steht den Mitarbeitern ein gewerkschaftlicher Tarifvertrag zu. Zwei von vielen Ausnahmeregelungen, die für kirchliche Mitarbeiter und für ihre Arbeitgeber gelten.

Kirchliche Arbeitgeber sind längst Big Player in der deutschen Wirtschaft. Die Kirchen besitzen milliardenschwere Konzerne und beschäftigen insgesamt 1,3 Millionen Mitarbeiter, betreiben zwei Drittel der Krankenhäuser und tausende von Pflegeeinrichtungen. Trotzdem unterscheiden sie sich deutlich von ihren gewerblichen oder weltlichen Konkurrenten: Sie werden vom Staat besonders, und oft auch bevorzugt behandelt – mit Hilfe von öffentlichen Geldern. Ist das noch gerechtfertigt?

Historisch verwurzelte Sonderstellung und jüngste Skandale

Zwei jüngste Recherchen von CORRECTIV innerhalb der Diakonie zeigen, welche Probleme das Fehlen von Kontrollmechanismen bei Wohlfahrtskonzernen verursachen kann. Der Fall Bethel: in dem freikirchlichen Diakoniewerk hatte sich ein angestellter Manager unbemerkt den gesamten Konzern unter den Nagel gerissen. Es gibt Hinweise, dass er ein Jahresgehalt von rund 700.000 Euro bezieht. Er kaufte sich zudem eine Villa aus dem Besitz des Diakoniewerkes zu günstigen Konditionen. Bethel äußert sich bis heute nicht zu den Vorwürfen.

Der zweite Fall ist von seiner Tragweite nicht vergleichbar, verdeutlicht aber ebenfalls das grundsätzliche Problem: der Verein Oberlinhaus, ein Betreiber von sozialen Einrichtungen und einer großen Klinik in Potsdam, schweigt zu seinen Finanzen. Das sorgt für Unsicherheit unter den Mitarbeitern im Wohlfahrtskonzern.

Die Sonderstellung der Kirchen geht bis auf die Weimarer Verfassung zurück und besitzt bis heute weitgehend Gültigkeit. Laut aktueller Gesetzgebung steht den Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht zu. Das erlaubt ihnen, ihre Finanzen und Geschäftstätigkeiten im großen Maße selbst zu organisieren und zu verwalten, ohne dass ihnen dabei jemand auf die Finger schaut. Zudem gewährt ihr Status als gemeinnützige Organisation ihnen massive Steuererleichterungen.

So können kirchliche Träger mit öffentlichen Geldern wie Sozial- und Krankenversicherungsbeiträgen haushalten, und müssen weder innerhalb der eigenen Organisation noch gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft abgeben. Das gilt auch für nicht-konfessionelle gemeinnützige Organisationen. "Das ist eine Black Box", so Rupert Strachwitz, Direktor des Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Strachwitz ist seit über zwanzig Jahren beratend im Stiftungswesen aktiv. Für ihn ist diese Intransparenz längst nicht mehr zeitgemäß.

Fehlende Transparenz

Gemeinnützige Vereine und Stiftungen müssen keine Bilanzen veröffentlichen. Die Mutterkonzerne von kirchlichen Trägern haben oft noch diese Rechtsform: Viele von ihnen haben sich historisch gesehen aus kleinen Stiftungen oder Vereinen zu großen Konzernen entwickelt. Gleichzeitig haben die Kontrollgremien von diesen Organisationsformen oft wenig Schlagkraft.

Auch das Oberlinhaus in Potsdam hat an der Spitze einen Verein stehen. Von außen ist nicht erkennbar, wie es der Mutter geht und wofür Geld ausgegeben wird. Der Vorstand beruft sich auf sein Recht, ein Verein müsse keinen Jahresabschluss veröffentlichen. Weil der Konzern seinen Jahresabschluss nicht veröffentlicht, kann vieles nicht überprüft werden: die Kosten für das Führungspersonal und die Verwaltung zum Beispiel. Oder die Ausgaben für externe Berater, oder die Immobiliengeschäfte des Konzerns.

Obwohl also die Beitrags- und Steuerzahler diese Organisationen mitfinanzieren, wird die Öffentlichkeit größtenteils darüber im Dunkeln gelassen, wie mit ihrem Geld gehaushaltet wird. Dazu gehört auch, dass unklar bleibt, ob wirklich in Projekte investiert wird, die Sinn machen. Oder wie viel Geld statt dem Gemeinwohl zu dienen in den Taschen von Managern landet.

Die kirchlichen Trägerverbände von Diakonie und Caritas haben zwar eigene Transparenzrichtlinien, verbindlich sind diese aber nicht. "Die Standards enthalten keine Durchgriffsrechte oder Möglichkeiten zu sanktionieren, sie sind eigentlich nur Empfehlungen", sagt Benjamin von der Ahe, Berater bei Phineo, einem Analyse- und Beratungshaus für gemeinnützige Organisationen. "Die einzelnen, rechtlich selbständigen Träger können prinzipiell machen, was sie wollen."

Unternehmen wie die große norddeutsche Paul Gerhardt Diakonie sind eine der wenigen Ausnahmen im Geschäft, die freiwillig deutlich transparenter sind als vom Gesetzgeber gefordert. Der Gesundheitskonzern beschäftigt rund 5.000 Mitarbeiter bei einer Bilanzsumme von 570 Millionen Euro. Veröffentlicht werden die Namen der Aufsichtsräte, ein Jahresabschluss (als PDF) für den Verein, der an der Spitze des Konzerns steht. Das ist eine Seltenheit. Von der Ahe schätzt, dass lediglich zwischen 10 und 20 Prozent der gemeinnützigen Träger genügend Transparenz schaffen. Selbst die Vorstandsgehälter werden in der Paul Gerhardt Diakonie – immerhin als Gesamtsumme – veröffentlicht. Im Jahr 2016 erhielten drei Vorstände zusammen 906.000 Euro.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hat nicht nur bei kirchlichen Wohlfahrtskonzernen fehlende Transparenz zur Folge. Über kirchliche Stiftungen ist so gut wie gar nichts bekannt. Nicht einmal ihre Anzahl. Schätzungen gehen von zehntausenden Stiftungen aus. Auch die katholischen Bistümer schweigen sich über ihr Vermögen aus. CORRECTIV hat deswegen im Zusammenhang mit einer Recherche über klimaschädliche Anlagen das Erzbistum Köln auf Auskunft verklagt.

Vertrauen statt Aufsicht

Durch fehlende Transparenz und nicht vorhandene Sanktionsmöglichkeiten kann also keine Kontrolle von außen ausgeübt werden. Innerhalb des Unternehmens gibt es bei gemeinnützigen Trägern zudem nur eingeschränkt Kontrollgremien. Ein Aufsichtsrat wie bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen ist nicht verpflichtend, und das obwohl die gemeinnützigen Unternehmen häufig nur sehr wenig von ihren weltlichen Konkurrenten unterscheidet.

Eine Regelung, die Beitrags- und Steuerzahlern viel Geld kosten kann: Um die Jahrtausendwende flog beispielsweise auf, dass ein damaliger Manager der Caritas Trägergesellschaft Trier Millionenbeträge veruntreut hatte. Möglich wurde der Betrug dadurch, dass der leitende Angestellte nur vom damaligen Bischof des Erzbistums kontrolliert wurde, der dem Manager jedoch offenbar blind vertraute.

Im Diakoniewerk Bethel sitzen seit 2015 nur noch Diakonissen im hochbetagten Alter im Aufsichtsrat. Die Herren, die vorher im Kontrollgremium saßen, wurden vom Unternehmen einmal im Jahr zu luxuriösen Städtereisen eingeladen. Am Ende brachte der Manager Karl Behle das Diakoniewerk auch unter Kontrolle, weil der Aufsichtsrat des Gesundheitskonzerns nicht hinsah.

Streikverbot und keine Betriebsräte

Eine absolute Ausnahmestellung haben die kirchlichen Unternehmen im Punkt Arbeitsrecht. Bei konfessionellen Institutionen darf nicht gestreikt werden, gewerkschaftliche Tarife sind äußerst selten, Betriebsräte gibt es nicht. Den Streikenden in Ottweiler drohen zum Beispiel arbeitsrechtliche Konsequenzen. Die Begründung: Ein Arbeitskampf sei nicht mit dem Dienst am Nächsten vereinbar.

Statt gewerkschaftlichen Tarifen gibt es eigene kirchliche Tarife, statt einem Betriebsrat eine paritätisch besetzte, aber weniger mächtige Mitarbeitervertretung. Das bedeutet nicht, dass die Arbeitnehmer komplett auf sich alleine gestellt sind: Bei evangelischen Trägern ähnelt die Mitarbeitervertretung einem privatwirtschaftlichen Betriebsrat sehr. Die Mitarbeiterbeteiligung ist bei kirchlichen Einrichtungen oft höher als in der Privatwirtschaft. Beim katholischen Pendant hat aber bei Streitigkeiten der Bischof das letzte Wort.

Kritiker bemängeln, dass diese Sonderbehandlung unfaire Vorteile gegenüber den Konkurrenten darstellt. "Ohne Streikrecht lässt es sich besser wirtschaften", so der Autor und Kirchenkritiker Carsten Frerk. Die fehlenden Tarifverträge führten Frerk und weiteren Experten zufolge zu unterdurchschnittlichen Löhnen bei kirchlichen Unternehmen. Andere Beobachter betonen, dass die Kirchen nicht am schlechtesten bezahlen. Verlässliche Zahlen zu den unterschiedlichen Tarifen und Arbeitsbedingungen sind jedoch schwer zu finden.

In einem Krankenhaus des Diakoniewerks Bethel arbeiten Mitarbeiter eine Stunde umsonst. Zeitweise unterschrieben mehr als die Hälfte der Krankenhaus-Belegschaft diese Sondervereinbarung. Der zuständige Diakonie-Landesverband sah darin zwar einen Verstoß gegen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Verbandes, unmittelbare Konsequenzen hatte das Vergehen aber nicht.

Dass sich an Sonderstellung für kirchliche Arbeitgeber in der nächsten Zeit etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich. Erst 2014 bestätigte das Bundesverfassungsgericht erneut das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. In Sachen Transparenz und Aufsicht sind sich jedoch viele Experten einig: "Diese Black Box ist nicht mehr haltbar", so Strachwitz vom Maecenata-Institut. "Mit freiwilligen Richtlinien klappt es nicht, wir brauchen gesetzliche Regelungen. Aber ob oder wann das passiert, darüber kann ich nur orakeln."

Erstveröffentlichung: correctiv.org (20.11.2017)