Menschen werden auch im Jahr 2021 noch gejagt, misshandelt, aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen, verstümmelt oder gar getötet, weil ihnen Hexerei vorgeworfen wird. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat nach Jahren der Recherche und Ausarbeitung nun eine Resolution veröffentlicht, welche alle Staaten dazu aufruft, jede Gewalt, die aus einer Anschuldigung der Hexerei hervorgeht, zu beenden und besonders gefährdete Menschen, wie zum Beispiel ältere Frauen, zu schützen.
Wer Hexerei-Anschuldigungen und Gewalt gegen als Hexen gebrandmarkte Menschen für Verbrechen längst vergangener Zeiten hält, irrt. Erst im August dieses Jahres hatte Constantin Huber für den Humanistischen Pressedienst die aktuelle Situation zusammengefasst. Der Glaube an und die Angst vor Hexen ist noch immer verbreitet und wird ausgenutzt, um Gewalt vor allem gegen ältere Frauen mit Gebrechen, Witwen, Menschen mit Behinderungen oder Albinismus zu rechtfertigen. Betroffen sind davon vor allem Länder des afrikanischen Kontinents wie Ghana oder Nigeria.
Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen, Privatpersonen, Jurist*innen, Politiker*innen, aber auch Universitäten, die Grausamkeiten hinter Hexenglauben und Hexenverfolgung aufzuzeigen und zu beenden. Im Juli dieses Jahres nun hatte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, kurz UN, einen Beschluss veröffentlicht, der aufzeigt, welche Personen am häufigsten von Anschuldigungen betroffen sind und daher speziellen Schutz benötigen, welche Menschenrechte von Hexenglauben besonders bedroht sind und der erklärt, was die Staaten tun müssen, um ihre Menschen zu schützen. Zudem fordert der Beschluss eine Studie zur aktuellen Situation ein, um zukünftig betroffenen Ländern weitere Handlungsempfehlungen zu geben.
Die UN-Resolution bekräftigt, dass jeder das Recht auf Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit hat und dass niemand Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgesetzt werden darf. Für der Hexerei Beschuldigte könnte die Realität nicht weiter entfernt sein: In Ghana leben noch immer hunderte Frauen ausgestoßen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Hexencamps. Die Hexerei-Beschuldigung und Tötung von Menschen mit Albinismus hat nach einem UN-Bericht im Laufe der Covid-19-Pandemie zugenommen. Und immer wieder kommt es in einzelnen Regionen zu gehäuften Jagden auf vermeintliche Hexen.
In diesem Jahr fiel dabei zum Beispiel der ostindische Bundesstaat Odisha auf: Im Juni waren zwölf Personen festgenommen worden, die ein Vater-Sohn-Duo für vermeintliche Hexen-Rituale getötet haben sollen. Kurz darauf wurden 14 Menschen verhaftet, die drei Personen getötet haben sollen. Auch in anderen Regionen Indiens kam es zu Gewalt nach Hexerei-Anschuldigungen: Im August folgte die Verhaftung von sechs Personen, die eine dreiköpfige Familie wegen vermeintlicher Hexenrituale getötet haben sollen und die Festnahme eines weiteren Mannes, der eine ältere Frau der Hexerei beschuldigt und mit einer Axt getötet haben soll. Im September folgte die Misshandlung einer Familie wegen vermeintlicher Hexenrituale und die Tötung eines älteren Mannes.
Um diesen Gewalttaten entgegenzutreten, fordert die UN-Resolution alle Staaten nachdrücklich dazu auf, verletzende Praktiken im Zusammenhang mit Anschuldigungen der Hexerei sowie Angriffe zu verurteilen. Diese umfassen neben der Stigmatisierung und Verbannung aus der Gemeinschaft auch verschiedene Formen von Gewalt wie Nötigung, Menschenhandel, Verstümmelung, Verbrennung, Folter und andere unmenschliche und erniedrigende Behandlungen. Besonders gefährdet und daher auch als besonders zu Schützende sieht die UN Frauen und Kinder, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Personen mit Albinismus an.
Staaten werden in der UN-Resolution zur Zusammenarbeit mit regionalen sowie internationalen Organisationen eingeladen, um die Sicherheit gefährdeter Gruppen sicherzustellen. Zudem sollen sie im Rahmen regelmäßiger Prüfungen des Themas Aufmerksamkeit und eine Datengrundlage schaffen. Dabei sollen die Staaten jedoch Unterscheidungen zwischen tatsächlichen Hexerei-Anschuldigungen und der Ausübung der Religionsfreiheit religiöser Minderheiten vornehmen.
Im letzten Punkt des Beschlusses wird das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte ersucht, eine Expertenkonsultation mit Staaten und anderen einschlägigen Interessenträgern, einschließlich des Sekretariats der Vereinten Nationen und einschlägiger Gremien, Vertretern subregionaler und regionaler Organisationen, internationaler Menschenrechtsmechanismen, nationaler Menschenrechtsinstitutionen und nichtstaatlicher Organisationen durchzuführen. Das Ergebnis dieser Konsultation soll helfen, eine Studie über die Lage der Menschenrechtsverletzungen, die auf schädliche Praktiken im Zusammenhang mit Anschuldigungen von Hexerei und rituellen Angriffen sowie Stigmatisierung zurückzuführen sind, zusammenzustellen. Daraus sollen ein Bericht an den Menschenrechtsrat zu seiner 52. Sitzung sowie weitere Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt abgeleitet werden.
Während Organisationen wie The Witchcraft and Human Rights Information Network (WHRIN) (das Hexerei- und Menschenrechts-Informationsnetzwerk), die sich seit vielen Jahren auch bei der UN um Sichtbarkeit für das Thema Hexenverfolgung bemühen, oder auch die internationale humanistische Vereinigung Humanists International die Resolution begrüßen, lassen Reaktionen von Regierungen, die konkrete Informationskampagnen, Schutzmechanismen für gefährdete Menschengruppen und Anpassungen von Gesetzen ankündigen, noch auf sich warten.