MACHT – Roman von Karen Duve

"Wenn es schlimm wird, ist es schon zu spät"

In diesem Punkt des Textes habe ich als Thema den Papst, der sagt, abrahamitische Opfer stehen nicht im Widerspruch zu den Lehren der katholischen Kirche.

Das ist natürlich ein von mir erfundener Papst, ein Roman-Papst, dem ich das in den Mund gelegt habe. Da ist keiner dafür haftbar zu machen. Meine Überlegung dabei war, dass in einer Zeit, in der Sekten wie Pilze aus dem Boden schießen, die großen Kirchen unter Zugzwang kommen und versuchen würden, Splittergruppen oder abtrünnige Christen wieder zu einen, und dann auch anfangen, Zugeständnisse zu machen. Zugeständnisse, wie sie die liberale Gesellschaft an die großen Religionen machen muss und das geht dann weiter, indem die großen Religionen Zugeständnisse an kleine Splittergruppen machen, da es davon immer mehr gibt und die immer mehr an Macht gewinnen, so dass, sukzessive, über die großen Religionen als Einfallstor die abwegigen Meinungen von extremen, religiös fundamentalistischen Menschen in die Gesellschaft einsickern.

Nun doch noch zu den eigentlichen Hauptthemen Mann und Frau sowie  voraussehbare  Klima-Katastrophen. Die große Birke schlägt im Orkan 2031 der Nachbarin das Dach ein, schon immer war es ihre Forderung, die gefährliche Birke sei zu fällen, mit anderen Worten, die Menschen, wähnen sich weit von Katastrophen entfernt. Diese, würden wohl bei ihren Urenkeln eintreten aber nicht jetzt. Sebastian Bürger nimmt sich in dem Moment vor, "noch heute ein Birkenbäumchen zu pflanzen."

Es ist natürlich ein Roman und keine Prognose über die Wahrscheinlichkeit, wie das Wetter im Jahr 2031 sein wird. Ich habe die Schraube deswegen so eng angezogen, weil es mir für die Geschichte in den Kram gepasst hat. Ganz und gar unwahrscheinlich ist es aber auch nicht, dass es so kommen wird. In den letzten Jahre hieß es ja ständig: "Oh, dass ist jetzt doch viel schneller gegangen, als wir dachten!" Vor diesem Hintergrund ist es wohl vertretbar, anzunehmen, dass sich im Jahr 2031 die Klimaerwärmung schon sehr viel deutlicher ausgewirkt hat, als dass zur jetzigen Zeit erwartet wird.

Du hast das Wort, "Unumkehrbarkeitspunkt" benutzt. Was ist das?

Punkte, an denen es kein Zurück mehr gibt. Wenn man auf einem Zehnmeterbrett steht und es sich anders überlegt, dann kann man ja immer noch wieder herunterklettern, aber in dem Moment, wenn man abgesprungen ist, dann geht es nur noch abwärts – egal wie groß die Reue plötzlich ist. Und so gibt es beim Klimawandel auch einige Punkte, wo man zwar nicht genau weiß, was dann passiert, wo man aber weiß, das ist jetzt brandgefährlich – zum Beispiel das Auftauen der Permafrostböden, wo schlagartig sehr viel Kohlendioxyd und Methan frei wird, oder das komplette Abschmelzen des Grönlandeises, oder eine Veränderung der Meeresströmungen, oder, oder, oder. Es gibt diverse Tipping points, bei deren Erreichen sich das Klima innerhalb kürzester Zeit abrupt ändern würde, und wenn es soweit ist, dann ist das nicht mehr rückgängig zu machen. Das ist das Fatale an dieser ganzen Klimaerwärmung, dass alle aus dem Fenster gucken und sagen: "Och, geht doch noch!" und dabei das Wetter mit dem Klima verwechseln. Es ist ihnen nicht klar, dass in dem Moment, wo man merkt: "Nee, das geht jetzt echt nicht mehr!", es bereits zu spät sein wird. Es muss eingegriffen werden, bevor man es so deutlich merkt und das ist für die menschliche Natur anscheinend äußerst schwierig.

Das Birkenbäumchen ist für mich ein Punkt, mit dem klar gemacht wird, Sebastian Bürger möchte gut und wertvoll sein,

Na ja, er zitiert das angebliche Luther-Zitat, das nicht von Luther ist: "...wenn morgen die Welt unterginge, ich würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen." Aber, das ist Zynismus, da macht er sich über sich selber lustig. Wenn man weiß, man hat vielleicht noch fünf Jahre zu leben, vor diesem Hintergrund ist "Ich würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen" doch ein echtes Quatsch-Zitat. Wozu? Als wenn das eine Leistung wäre, für die Zukunft zu planen, wenn es keine gibt. 

Gut, er geht ins Einkaufszentrum um eine der im Jahr 2031 seltenen Print-Ausgaben zu suchen. Damit will Sebastian Bürger seiner im Keller von ihm festgehaltene  Frau Christine eine Freude machen. Sie reagiert mit einem einfachen Satz: "Ich möcht hier gerne raus." – "Seit ihr Frauen die gut bezahlten Jobs an euch gerissen habt, interessiert es euch nicht mehr, was in uns vorgeht", ist seine Antwort.  Auch hätten die Frauen Programme zur Belobigung und Geldprämien aufgestellt, aber das wichtigste fehle: "In den Augen anderer bedeutend zu sein." Bedeutung, die sei den  Männern weggenommen worden.  Wie geht das? Bedeutung wegzunehmen, Bedeutung bekommen? 

Dass Männer Bedeutung bekommen?

Dass Menschen Bedeutung haben, Bedeutung fühlen?

In diesem Fall geht es um den kleinen Bedeutungs-Vorsprung, den Männer Frauen gegenüber haben, einfach, weil sie eben Männer sind. Aber dieser Vorsprung wird – zumindest bei uns – immer kleiner. In den Familien der 50-er  und 60-Jahren war das noch klar, dass Papa festgelegt hat, wohin verreist wird, welches Auto angeschafft wird und dass seine Frau sich die Erlaubnis von ihm holen muss, wenn sie arbeiten will. Das ist natürlich ein ganz anderer Status, als wenn man seinem Lebenspartner auf Augenhöhe begegnen muss. Es hat natürlich auch Vorteile, seinem Lebenspartner auf Augenhöhe zu begegnen, weil man dann eine echte Beziehung führen kann. Aber es ist eben auch ein Verlust dabei – Bedeutungsverlust. Es kommt halt darauf an, was einem wichtiger ist.

Ich denke, das es Menschen viel mehr Spaß machen würde, etwas zu arbeiten, was Sinn macht. Dass man selbst seinem Leben Bedeutung verleiht, indem man etwas macht, von dem man überzeugt ist, statt einen fürchterlich langweiligen Weltzerstörer-Job zu erledigen, bloß weil der mit sehr viel Geld und Ansehen verbunden ist. Ansehen, dass man auch noch irrtümlich bekommt. Was man eigentlich will, ist doch Wertschätzung. Das kriegt man aber nur, wenn man etwas wirklich Gutes schafft. Worauf soll man sonst stolz sein? Darauf, dass man bisher noch nicht erwischt worden ist?

Deinem Protagonisten  hast Du es da einfacher gemacht: "Nichts hat im Leben mehr Bedeutung als die Person, von der man abhängig ist."

Ja, so funktioniert das – mit Lebenspartnern, mit Kindern, selbst mit Haustieren. Wenn man sein Pferd in eine Box sperrt oder ein Meerschweinchen in einem schrecklichen Käfig hält oder die eigene Ehefrau, die sich eigentlich für die Arbeit an Teilchenbeschleunigern interessiert, in einem Vorstadthaus isoliert und sagt: "Du wartest hier, bis ich später mal Zeit für Dich habe und bis dahin verbringst du den Tag damit, an mich zu denken und auf mich zu warten." 

Die werden sich dann natürlich wahnsinnig freuen, wenn man endlich nach Hause kommt. Weil sie keine andere Wahl haben. Weil sie kein eigenes Leben führen. Man kann dadurch Bedeutung in den Augen anderer erlangen, dass man wichtige, sinnvolle Dinge tut oder dadurch, dass man sie vollkommen von sich abhängig macht und ihnen die Möglichkeit nimmt, sich anderweitig zu amüsieren. 

Ein Angriff auf männliche Werte, darüber führt der Protagonist Beschwerde. 

Sebastian ist natürlich ein extremer Typ, kein Durchschnittsmann. Und doch gibt es auch jetzt schon ein kleines, ständig zunehmendes Vor-sich-hin-Gegrolle und -Gegrummel, ein Unzufriedensein damit, dass es diese Abhängigkeit der Frau von dem Mann nicht mehr gibt und dass damit auch die Männlichkeit an sich ihren alten Nimbus verloren hat. 

Schließlich entscheidet sich der Mann zu verschwinden. Paraguay ist sein Ziel auf dem Weg dahin kann er einer Maskulo-Demonstration nicht entgehen. Es geht um den "radikal feminisierten Angriff auf unsere Werte", patriarchalische Werte wieder herzustellen, männliche Überlegenheit fortzuschreiben. Dort sind es Männer aus allen bürgerlichen Schichten und da kommt sein persönliches Drama. Er schafft es nicht, an einer Polizistin vorbei seinen Brief in den Kasten zu werfen...  

... ja, der kann nicht einmal den Brief einwerfen, so schüchtern ist er in Wirklichkeit. Ja, da hat er Probleme und die muss er für sich kompensieren.

Was hat er für Probleme?

Na, er ist ein zutiefst verunsicherter Mensch, der sich wünscht, dass die Gesellschaft schon so gestaltet wäre, dass er von vornherein die besseren Karten hätte. Wenn sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, dann muss man sich bewähren. Und davor hat er Angst. Er will keine Gleichheit, er möchte die besseren Karten haben.

Auf der Demonstration hat die Ansprache nur ein Wort und das löst Jubel aus: "Männer!"

In dem Moment, als das Wort "Männer!" fällt, gibt der Redner seinen Zuhörern ihre Bedeutung wieder. Er sagt nichts weiter, nur dieses eine Wort und sie begreifen, dieses eine Wort hat doch eigentlich mal ganz viel beinhaltet, war so positiv aufgeladen, dass wir uns gleich super gefühlt haben, wenn es fiel, und das ist es heutzutage irgendwie nicht mehr. Das versucht uns derjenige jetzt zurückzuholen, das steht uns zu, das war doch immer so. Warum soll das jetzt nicht mehr so sein? In anderen Ländern ist es auch so, bei meinen Eltern war es auch so und ich bin der erste, der darauf verzichten muss. Alle anderen ja, ich nein – wieso eigentlich?

Du schreibst den Roman in der Ich-Form und bist in die Rolle des Sebastian Bürger gestiegen. Ist Dir das schwer gefallen?

Nein, das ist mein Job. Ich kann auch in die Rolle steigen von jemanden, der wahnsinnig reich ist oder in einem Krisengebiet lebt. Solange ich mich gut genug informiere, ist das nicht besonders schwierig. Außerdem halte ich diese Männlichkeits- und Weiblichkeits-Unterscheidung in der Gesellschaft größtenteils für ein Konstrukt und selbst da, wo die Geschlechterunterschiede determiniert sein mögen, lassen sie sich gesellschaftlich überschreiben. Ich weiß doch selber gar nicht  genau, mag ich nun Rosa, weil ich weiblich bin oder mag ich Rosa deshalb so gerne, weil alle anderen Mädchen in der ersten Klasse auch Rosa tragen und ich eine Außenseiterin wäre, wenn ich nicht mitmachen würde.  

Hast Du Wünsche, die Dein Buch begleiten?

Ja, ich wünsche mir, dass es klug gelesen wird. Ich wünsche mir kluge Leser.

Das Gespräch führte Evelin Frerk.