Fachtagung in Nürnberg

Weshalb Karl Poppers Ideen zur Offenen Gesellschaft heute noch aktuell sind

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Auf dem Podium (von links): Prof. Wulf Kellerwessel, Prof. Dieter Birnbacher, Frederick Herget, Frank Schulze. Online zugeschaltet: Ralf Fücks.
Podium

1945 veröffentlichte der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper sein berühmtes Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde". Ungefähr 80 Jahre später, am 11. Oktober 2025, veranstaltete die Gesellschaft für kritische Philosophie in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Akademie im Marmorsaal des Nürnberger Presseclubs ein Forum in Gedenken an Poppers Buch sowie über dessen Zeitmäßigkeit.

Das Thema der Offenen Gesellschaft bleibt hochaktuell. Darauf wies Gastgeber Frank Schulze explizit zum Ende seines Einführungsvortrags hin. Popper war sich in der Tat sehr bewusst darüber, dass die Offene Gesellschaft leicht verloren werden kann, wenn sich zu wenige für sie einsetzen. Sie sei nicht nur charakterisiert durch Individualismus, Aufklärung und Liberalismus, sondern auch durch pragmatisches Denken abseits von Utopien, das Streben nach Leidverringerung des Einzelnen, Herrschaftskontrolle und den Versuch, die reale Welt stückchenweise zu verbessern.

Einführungsvortrag von Frank Schulze (Foto: © Helmut Fink)

Der Rest der Veranstaltung bestand aus zwei übergeordneten Schwerpunktthemen: zum einen wurden theoretische Grundlagen und Gefährdungen der Offenen Gesellschaft, zum anderen die Offene Gesellschaft mit Blick in die politische Gegenwart und Zukunft diskutiert.

Teil 1 zu den theoretischen Grundlagen wurde durch einen Impulsvortrag von Prof. Wulf Kellerwessel über jüngere philosophische Konzepte und ihr Gefährdungspotenzial für die Offene Gesellschaft eingeleitet. Darin vertrat Kellerwessel die These, dass sowohl die Positionen der konservativen britischen Philosophen Alasdair MacIntyre und Roger Scruton, des liberalen amerikanischen politischen Philosophen Michael Sandel, als auch des faschistischen italienischen Philosophen Julius Evola fundamentale Elemente enthalten, welche der Offenen Gesellschaft zuwiderlaufen würden. Bei MacIntryre und Scruton seien es vor allem ein positiv besetzter demokratischer Nationalismus, bei Sandel ein dem Individuum zuwiderlaufender Kommunitarismus sowie bei Evola ein menschenfeindlicher Hierarchiegedanke.

Diese Einschätzung Kellerwessels traf nicht auf vollständige Zustimmung im Publikum. So wies ein Publikumsteilnehmer in der anschließenden Diskussionsrunde darauf hin, dass sich gerade Roger Scruton in seinen Schriften sehr positiv über Poppers Buch zur Offenen Gesellschaft äußerte und diesen für sein Einstehen für eine liberale Ordnung sowie für dessen Kritik am Marxismus und Historizismus lobte. Kellerwessels einführende Erläuterungen wurden anschließend von Prof. Armin Pfahl-Traughber mit einigen Bemerkungen zur Rolle Poppers für die politikwissenschaftliche Extremismusforschung ergänzt. Kritischer mit Popper ging der Philosoph Hans-Joachim Dahms ins Gericht. Genauer gesagt schätzte Dahms unter anderem Poppers Bevorzugung des Mehrheitswahlrechts als mit dessen in der Offenen Gesellschaft formulierten Idealen im Widerspruch stehend ein.

Auf einem weiteren Podium (von links): Prof. Wulf Kellerwessel, Hans-Joachim Dahms, Prof. Armin Pfahl-Traughber, Frank Schulze. (Foto: © Helmut Fink)

Teil 2 zur Relevanz der Offenen Gesellschaft für die Gegenwart und Zukunft wurde durch einen Impulsvortrag vom Gründer der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne Ralf Fücks eingeleitet. Fücks wies darauf hin, dass sich zwar fast alle politischen Regime auf die Idee der Demokratie berufen würden, aber die der Offenen Gesellschaft nahestehende liberale Demokratie seit einiger Zeit empirisch messbar auf dem Rückzug sei. In diesem Zusammenhang wies Fücks zum einen darauf hin, dass Poppers Warnungen vor einem "Ruf der Horde" angesichts des Aufstiegs des Populismus in vielen westlichen Ländern berechtigt seien. Jedoch warf Fücks zum anderen kritisch ein, dass der Liberalismus in ebenjenen westlichen Ländern möglicherweise gerade durch seine Vermeidung von Visionen und Utopien eine offene Flanke aufweise, welche von den Feinden der Offenen Gesellschaft ausgenutzt werden könne.

Die darauffolgende Diskussionsrunde zwischen dem Philosophen Prof. Dr. Dieter Birnbacher und dem Mathematiker und Philosophen Frederick Herget ergänzte die Äußerungen Fücks. So wies Birnbacher auf illiberale Tabus in der deutschen Biopolitik, insbesondere in der Reproduktionsforschung, der Embryonenmedizin, aber auch bei der bis vor kurzem noch kriminalisierten Sterbehilfe hin. Im Anschluss ergänzte Herget, dass auch die Ausbreitung künstlicher Intelligenz zukünftig neue Herausforderung für die Offene Gesellschaft mit sich bringe. Besonders sichtbar sei dies bereits in KI-gesteuerter Überwachung von Menschen in China oder durch die deutsche Schufa, aber auch durch KI-gesteuerte Fehlinformationen im Internet. Letztere könnten die gesellschaftliche Polarisierung und Vertrauensverluste in Institutionen verstärken. Trotz dieser Gefahren blickte Herget generell positiv in die Zukunft. Technologie stelle schließlich nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen zum Fortschritt dar. Genauso wie die Offene Gesellschaft, in welcher Individualismus, Aufklärung und Liberalismus unser Leben stetig, wenn auch nicht ohne Unterbrechungen, verbessert haben.

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