Das härteste Blasphemiegesetz der Welt

Yahya Ekhou kämpft um sein Leben

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Yahya Ekhou in Deutschland 2019. Die Islamische Republik Mauretanien hat dem Apostaten die Staatsbürgerschaft entzogen.
Yahya Ekhou in Deutschland 2019.

Yahya Ekhou stammt aus Mauretanien. In Kairo hat er Jura und NGO-Management studiert. Seit März 2018 hofft der Gründer des Liberalen Netzwerks in Mauretanien hierzulande auf die Anerkennung seines Asylantrags. In seiner Heimat steht ihm und seinen Mitstreitern ein islamisiertes Kasten- und Stammessystem gegenüber.

Sklaverei (gerechtfertigt durch den Islam) ist Teil des Systems. Diese und andere Probleme werden in Mauretanien tabuisiert. Erst am 22. Juni dieses Jahres erließ die mauretanische Regierung einen Beschluss, der Korrespondenten von BBC, Al Jazeera und anderen Medienanstalten mit Lizenzentzug droht, sollten die Sender über Dinge berichten, die dem Ansehen des Landes schaden. Im Inland werden Blogger, die das tun, regelmäßig inhaftiert. Solche Festnahmen gab es im Februar 2020, wie Yahya Ekhou gegenüber der Säkularen Flüchtlingshilfe Deutschland erklärt hat.

Laut einem Bericht des mauretanischen Schriftstellers Cheikh Nouh, der im Februar ebenfalls verhaftet wurde, erfolgten die zwölf Festnahmen aufgrund der "Teilnahme an einem unautorisierten politischen Treffen" sowie aufgrund von "Mitgliedschaft in einer säkularen WhatsApp-Gruppe". Tatsächlich fanden die Verhaftungen im zeitlichen Umfeld eines Treffens der Allianz zur Reformierung des mauretanischen Staates (AREM) statt, deren Vizepräsident Cheikh Nouh ist.

Eines der Mitglieder, der Architekt Mohamed El Moctar, sitzt noch heute im Gefängnis. Er hatte Menschen über das Internet am christlichen Begräbnis eines befreundeten Arztes teilhaben lassen. Das genügte den mauretanischen Behörden, um ihn wegen unislamischen Missionierens festzunehmen. Laut AREM sitzt der Beschuldigte noch heute in Haft. Dasselbe gilt für drei weitere Engagierte, gegen die ähnliche Anklagen aufrecht erhalten werden. Auch aufgrund eines solchen Vorgehens belegt Mauretanien in den Vergleichslisten internationaler Organisationen, die den Freiheitsgrad von über 160 Staaten bemessen, regelmäßig einen der letzten Plätze. Das Regime wird als autoritär eingestuft.

Ahmed Mohamed El Moctar hat das christliche Begräbnis eines Freundes in einer säkularen WhatsApp-Gruppe geteilt. Dafür sitzt er seit über vier Monaten im Gefängnis. Foto: privat / Facebook
Ahmed Mohamed El Moctar hat das christliche Begräbnis eines Freundes in einer säkularen WhatsApp-Gruppe geteilt. Dafür sitzt er seit über vier Monaten im Gefängnis. (Foto: privat / Facebook)

Yahya Ekhou engagiert sich für ein Mauretanien, in dem die Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion für alle gelten soll. Das schließt auch die Freiheit ein, die eigene Religion wechseln oder ganz ohne Religion leben zu dürfen. Muslimische Gruppen fordern deshalb seinen Tod. Sie tun das im Internet und auf Demonstrationen. Dabei werden sie von ranghohen Regierungsmitgliedern unterstützt. Das mauretanische Gesetz, das in weiten Teilen von der Scharia geprägt ist, gibt ihnen Recht.

Aufgrund all dessen floh Yahya Ekhou im März 2018 nach Deutschland. Seine eigene Familie stellte ihm nach. Nur wenige Wochen später, am 27. April, wurde das mauretanische Apostasiegesetz von der Regierung weiter verschärft. Genfer UN-Experten verurteilten diesen Vorgang im Juni desselben Jahres: "Die Revision wird das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter einschränken. Das Gesetz schafft Raum zur Anstiftung von Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegenüber Personen aufgrund der Religion und des Glaubens."

Inzwischen besitzt Mauretanien das härteste Apostasie- und Blasphemiegesetz der Welt. Zu diesem Schluss kam eine Studie der US-amerikanischen United States Commission of International Religious Freedom im Dezember 2019. Das westafrikanische Land steht damit noch vor Iran, das diese Rangliste bislang angeführt hat.

Die mauretanische Regierung folgte mit ihrer islamistischen Gesetzesinitiative vom April 2018 einer fundamentalistischen Agenda. Sie tat dies als Reaktion auf die Nichtvollstreckung eines Todesurteils gegen den mauretanischen Blogger Mohamed Mkhaïtir aus dem Jahr 2017.

Hintergrund: Der Mauretanier Mohamed Mkhaïtir wurde am 2. Januar 2014 festgenommen. Er hatte in einem Blogeintrag die Zusammenhänge zwischen Sklaverei, dem Kastensystem und dem Islam in Worte gefasst. Daraufhin wurde er zum Tod durch ein Erschießungskommando verurteilt. Binnen drei Tagen trat er jedoch von seinen Äußerungen zurück. In diesem Fall sah die islamische Gesetzgebung bislang die Umwandlung der Todesstrafe in eine Haftstrafe vor. Am 9. November 2017 wurde Mkhaïtir deshalb von einem Berufungsgericht zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre und 11 Monate in Haft gesessen hatte, ordnete das Berufungsgericht seine sofortige Freilassung an. Ungeachtet dessen hielt die mauretanische Regierung Mohamed Mkhaïtir für ein weiteres Jahr und acht Monate in Gefangenschaft. Insgesamt verbrachte er fünfeinhalb Jahre im Gefängnis – und das überwiegend in Isolationshaft. Er büßte für eine Tat, die ihm bei geltenden Menschenrechtsstandards nicht einmal hätte angelastet werden dürfen. Nach seiner Freilassung wurde er außer Landes gebracht, auch weil die Gefahr bestand, einer Lynchjustiz zum Opfer zu fallen.

Am 15.4.2019 fordert der mauretanische Abgeordnete Mohamed Bouya Cheikh Mohamed Vadel die Verurteilung von Yahya Ekhou. Screenshot vom mauretanischen Fernsehen, YouTube, 2019

Vergangenes Jahr forderte der mauretanische Abgeordnete Mohamed Bouya Cheikh Mohamed Vadel die Verurteilung von Yahya Ekhou. (Screenshot: Mauretanisches Fernsehen via YouTube, 2019)

Dieselben islamistischen Gruppen und Politiker, die noch immer zum Tod von Mohamed Mkhaïtir aufrufen, fordern auch die Hinrichtung von Yahya Ekhou. In dem verlinkten Video vom 16. April 2019 spricht der mauretanische Abgeordnete Mohamed Bouya Cheikh Mohamed Vadel vor dem mauretanischen Parlament über den Schaden, den Yahya Ekhou mit seinen Blogeinträgen dem Land und der Religion zugefügt habe. Insbesondere da es sich bei Mauretanien um eine islamische Republik handele, fordert Vadel die Auslieferung und Verurteilung von Yahya Ekhou. Das Apostasie- und Blasphemiegesetz (Artikel 306 des mauretanischen Strafrechts) sieht die Hinrichtung von Menschen vor, die den Islam verlassen, ihn beleidigen oder infrage stellen. Das Strafmaß wird ohne Aussicht auf Milderung verhängt. Nach mauretanischem Recht bedeutet die Verurteilung, die Mohamed Vadel fordert, für Yahya Ekhou den Tod.

Auslöser für diese erneute Verfolgungswelle war ein Blogeintrag von Yahya Ekhou am 28. Februar letzten Jahres. Am Vortag hatte er angesichts eines Zugunglücks in Kairo mit 25 Toten und dutzenden Schwerverletzten in den sozialen Medien gefragt, wie ein allmächtiger Gott Derartiges zulassen kann. Entweder müsse Gott böse sein oder eben nicht allmächtig. Bereits einen Tag später forderten islamistische Aktivisten und Bürger über Facebook und WhatsApp die Hinrichtung von Yahya Ekhou. Die mauretanische Nachrichtenseite elilami.info berichtete am 1. März. Noch am selben Tag kam es nach den Freitagsgebeten zu organisierten Demonstrationen.

Am 1. März 2019 fordern Bürger vor der großen Saudischen Moschee in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott die Verhaftung und die Hinrichtung von Yahya Ekhou. "Exekution für den Schänder Ekhou", heißt es unter anderem rechts auf den Plakaten. Urheber: fanatische Islamisten

Am 1. März 2019 forderten Bürger vor der großen Saudischen Moschee in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott die Verhaftung und Hinrichtung von Yahya Ekhou. "Exekution für den Schänder Ekhou", heißt es unter anderem rechts auf den Plakaten. Urheber: fanatische Islamisten

Mauretanische Menschenrechtsgruppen wie das Liberale Netzwerk von Yahya Ekhou oder AREM bedienen sich einer gewaltfreien Sprache. Sie alle werden durch die islamistische Gesetzgebung drangsaliert. Zu den Leidtragenden gehört auch Biram Dah Abeid. Seine Gruppe nennt sich IRA (Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolutioniste en Mauritanie). Die Organisation engagiert sich im Land gegen die praktizierte Sklaverei, die gleichsam mit Mitteln des islamischen Rechts verteidigt wird.

Hintergrund: 1981 war Mauretanien das letzte Land weltweit, das die Sklaverei auf dem Papier für beendet erklärte. 2007 wurde sie unter Strafe gestellt. Anzeigen wurden jedoch nicht verfolgt. Erstmals wurde ein Sklavenhalter im Dezember 2010 verurteilt – zu neun Tagen Haft.

In Mauretanien gehören 40 Prozent der Bevölkerung der Sklavenkaste ("Haratin") an. 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind andere Schwarzafrikaner. Ihnen stehen Araber gegenüber, die sich über Generationen mit den nordafrikanischen Berberstämmen vermischt haben. Sie werden als weiße Mauren ("Bidhan") bezeichnet. Seit Jahrhunderten haben sie die schwarzafrikanische Bevölkerung mehr oder weniger verdrängt oder versklavt. Die weißen Mauren machen zwar nur 30 Prozent der Bevölkerung aus, stellen aber 90 Prozent der politischen, kulturellen und geistigen Elite. Die Wenigsten haben ein Interesse an dem Statusverlust ihrer Kaste, geschweige denn an einer (finanziellen) Wiedergutmachung gegenüber ihren ehemaligen Sklaven.

Der IRA-Aktivist Biram Dah Abeid verbrannte im Jahr 2012 islamistische Lehrbücher, welche die Sklaverei als gottgewollt verteidigen. Auch er (ein gläubiger Muslim) wurde darauf zum Apostaten erklärt, der den Tod verdiene. Gegenüber den Sklaven wirkt das Druckmittel der Apostasie ebenfalls. Mindestens 90.000 Menschen sollen in Mauretanien noch heute als Sklaven leben. Sie haben keinen Zugang zu einer säkularen Bildung. An die Stelle dessen tritt das Religiöse. Hier lässt sich rechtfertigen, dass eine Abkehr von der Sklaverei einer Abkehr vom Islam gleichkomme. So wird die Religion mit all ihren drakonischen Strafen zu einem effektiven Mittel der Unterdrückung.

Biram Dah Abeid 2013. Der Träger des UN-Menschenrechtspreises wurde oft verhaftet. Insgesamt verbrachte er mehrere Jahre aufgrund seines Engagements im Gefängnis. Foto von Flickr/Frontline Defenders| Lizenz: CC BY-NC 2.0

Biram Dah Abeid 2013. Der Träger des UN-Menschenrechtspreises wurde oft verhaftet. Insgesamt verbrachte er mehrere Jahre aufgrund seines Engagements im Gefängnis. (Foto: Flickr/Frontline Defenders| Lizenz: CC BY-NC 2.0)

Viele Sklaven kennen nichts anderes, als im Besitz ihrer Herren zu stehen. Die Haratin existieren quasi ohne Herkunft, ohne Geschichte. Identität wird schon auf Familienebene zerstört. Sklavinnen dürfen nicht heiraten. Vaterschaft existiert nicht, denn Sklavenkinder gehören ihren Herren. Gerade die Mädchen werden verschenkt, verkauft oder dienen ihren Besitzern zum Sex. Kinder, die aus diesen Beziehungen hervorgehen, bleiben ebenfalls entrechtet.

Im Jahr 2014 zeigte sich das besonders drastisch. Biram Dah Abeid hatte ein 15-jähriges Mädchen mit Namen Mbeirika Mint M'bareck aus der Leibeigenschaft befreit. Vor Gericht sagte sie aus, dass sie ihr Sklavenhalter vergewaltigt habe. Der Täter wurde jedoch nicht wesentlich belangt. Das Gericht konnte allerdings sehen, dass das Mädchen hochschwanger war. So sah sich die 15-Jährige, die als Sklavin vergewaltigt worden war, nun der eigenen Hinrichtung gegenüber; denn Mbeirika Mint M'bareck wurde wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr angeklagt. Nach islamischem Recht steht darauf der Tod durch Steinigung. Die Anklage wurde später fallengelassen, wie CNN berichtete.

Zusammenschlüssen wie IRA, AREM oder dem Netzwerk der Liberalen in Mauretanien ist gemein, dass sie die vermeintlich angeborenen stereotypen Selbstverständnisse eines islamisierten Stammes- und Kastensystems aufbrechen wollen. Doch die Aktivisten werden kriminalisiert. Yahya Ekhou fürchtet um sein Leben. Mohamed El Moctar und Mohamed Abdarahmane Hadad sitzen seit Februar in Haft. Sie sind die jüngsten Zeugen dieser Willkür.

Am 25. Juni drückte der US-Kongress in einem Brief seine Besorgnis über die Menschenrechtslage in Mauretanien aus. Die Trump-Regierung versagt dem Land unilaterale Hilfe. Europa ist gefordert, Menschen zu schützen und für die freiheitlichen Grundwerte einzustehen.

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