Am heutigen Donnerstag (17. Mai 2018) feiert der gemeinnützig tätige Verein "DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben" den zwanzigsten Jahrestag seiner Gründung. In den zwanzig Jahren seines Bestehens verzeichnete der Verein bedeutende Erfolge im Hinblick auf die Wahlfreiheit und Selbstbestimmung im Leben und am Lebensende.
Am Anfang stand die Suizidversuchsprävention
Am 16. Mai 1998 fand im Zürcher Kongresshaus eine Generalversammlung von Exit (Deutsche Schweiz) statt. Der damalige Geschäftsführer von Exit, Peter Holenstein, hatte dem Vorstand beantragt, Exit solle sich auch für die Verringerung der Zahl der Suizide und Suizidversuche einsetzen. Mit dem Ziel, Holenstein abzuwählen, organisierten Kreise des Vorstandes, dass etwa 300 Exit-Mitglieder zusätzlich zu jener Generalversammlung anreisten. Peter Holenstein wurde niedergeschrien und sein Mitkämpfer Ludwig A. Minelli hatte als juristischer Berater des Geschäftsführers von Exit keine Möglichkeit, sich in der Versammlung zu äußern. Der Vorschlag ging im Getöse unter und Holenstein wurde abgewählt.
Die kleine, unterlegene Gruppe von Visionären entschied, am Konzept der Suizidversuchsprävention festzuhalten und dieses unter den gegebenen Umständen in einen neuen Verein einzubringen. Über Nacht verfasste Ludwig A. Minelli die Statuten, und am Sonntag, dem 17. Mai 1998, wurde der Verein "DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben" gegründet. Einen Tag später war er bereits operativ.
Seither haben andere Organisationen das DIGNITAS-Konzept der Suizidversuchsprävention kopiert. Die Suizidversuchsprävention ist heute anerkannter Teil der Tätigkeit von Suizidhilfe-Organisationen, genauso wie Beratung zu Palliativmedizin, Patientenverfügung, usw.
In der Publikation "Nationale Strategie Palliative Care 2013–2015" hält das Bundesamt für Gesundheit mit Verweis auf den Bericht "Palliative Care, Suizidprävention und organisierte Suizidhilfe" der Schweizer Regierung vom Juni 2011 fest, dass: "… heute in der Gesellschaft in erster Linie Suizidhilfeorganisationen als Möglichkeit zur Wahrung der Selbstbestimmung am Lebensende wahrgenommen werden." DIGNITAS ist der Wegbereiter dieser Entwicklung.
Meilensteine
Einen bedeutenden Erfolg verzeichnete DIGNITAS am 3. November 2006: In einem Rechtsfall eines DIGNITAS-Mitglieds bestätigte das Bundesgericht in Lausanne, was Ludwig A. Minelli bereits Jahre früher in einem Aufsatz in der juristischen Fachzeitschrift Allgemeine Juristische Praxis AJP publiziert hatte: Das Bundesgericht anerkannte das Recht eines Menschen, Art und Zeitpunkt der Beendigung seines eigenen Lebens zu bestimmen, als europäisch garantiertes Grundrecht und gewahrte grundsätzlich psychisch Kranken denselben Anspruch wie allen anderen Menschen. Der Fall ging weiter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher diesen Kernsatz am 20. Januar 2011 bestätigte. Damit hat DIGNITAS erwirkt, dass die Freiheit und das Recht über sein eigenes Lebensende zu entscheiden, zum ersten Mal als Menschenrecht anerkannt wurden.
Am 15. Mai 2011 feierte DIGNITAS einen Doppelsieg in der Kantonal-Zürcherischen Volksabstimmung: Die Zürcher Stimmberechtigten bestätigten mit fast 85 % bzw. mit mehr als 78 % sowohl die Tätigkeit im Bereich der Suizidhilfe als auch das Bestreben, diese Dienstleistung auch Menschen zur Verfügung zu stellen, die jenseits der Schweizer Grenzen leben.
Ein weiterer bedeutender Erfolg für DIGNITAS war der Entscheid des deutschen Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, welches am 2. März 2017 einer Klage im Prinzip stattgegeben hat, welche verlangte, Schwerstkranken in Deutschland dürfe der Zugang zu einem wirksamen Mittel zum Zwecke der selbstbestimmten, eigenen Leidens- und Lebensbeendigung nicht verwehrt werden. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat dabei auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen anerkannt, selber zu entscheiden, wann und wie er sterben will. DIGNITAS arbeitete viele Jahre an diesem Fall und durchbrach damit die bevormundende und menschenrechtswidrige Mauer, welche 2015 von der deutschen Politik errichtet wurde.1
Internationale und nationale Rechtsfortentwicklung
International und national erreicht DIGNITAS immer mehr Anerkennung. Schon 2004 empfing DIGNITAS eine Delegation des britischen House of Lords, die dem "Select Committee on Assisted Dying for the Terminally Ill Bill" angehörten, um die Erfahrungen von DIGNITAS im Hinblick auf eine Legalisierung der Suizidhilfe in Großbritannien zu nutzen. Vertreter von Kommissionen aus Kanada, Australien und weiteren Ländern folgten. DIGNITAS beteiligt sich national und international an Vernehmlassungen zu Gesetzesprojekten, parlamentarischen Debatten, Vorbereitung von Gerichtsfällen, usw.
Der jüngste Erfolg unter der Mitwirkung von DIGNITAS ist die Zustimmung des Parlaments von Victoria, Australien, zur "Voluntary Assisted Dying Bill". Zuvor legalisierte Kanada die Suizidhilfe, nachdem sich DIGNITAS an einem Präzedenzfall beteiligte, durch den der kanadische Supreme Court das strafrechtliche Verbot der Suizidhilfe für verfassungswidrig erklärte.
DIGNITAS ist die Speerspitze der Bewegung, welche sich dafür einsetzt, dass eines Tages niemand mehr aus dem Ausland in die Schweiz zu einer Freitodbegleitung reisen muss. Das Ziel von DIGNITAS: überflüssig werden.
Bereit für die nächsten zwanzig Jahre
DIGNITAS blickt auf zwanzig erfolgreiche Jahre zurück, in denen der Verein viel mehr erreicht hat, als man am 17. Mai 1998 zu träumen wagte. Experten aus Politik, Recht und Medizin, Studenten und Forschende, und weitere mehr, nutzen die Erfahrungen und das Fachwissen von DIGNITAS. DIGNITAS ist weltweit mit Organisationen vernetzt, welche ähnliche Ziele verfolgen und sich für echte Lebensqualität bis zuletzt einsetzen.
Die Vereinsleitung und die über zwanzig Teilzeitmitarbeitenden sowie externe unterstützende Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen fuhren den Verein in die Zukunft. Kreativität, Engagement und ein immenses gesellschaftspolitisches, juristisches und medizinisches Know-how machen DIGNITAS zu einer einzigartigen Organisation und erlauben ihr, Ziele zu erreichen, die auch andere Organisationen nutzen können.
"DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben" dankt allen Vereinsmitgliedern, Unterstützern, Mitarbeitenden und Mitdenkenden für die Treue und die Kraft, die sie dem Verein verleihen, den Gedanken von echter Wahlfreiheit und Selbstbestimmung, verbunden mit Eigenverantwortung, im Leben und am Lebensende international umzusetzen. DIGNITAS dankt auch seinen Gegnern, die den Verein immer wieder herausgefordert haben, auch wenn sie manchmal mit fragwürdigen Mitteln versuchten, DIGNITAS lahmzulegen: DIGNITAS ist durch jeden ihrer Angriffe größer und stärker geworden.
- Leider hält sich das "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte" (BfArM) nicht an die Entscheidung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichtes. ↩︎
1 Kommentar
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die Ignoranz des BfArM ist unerträglich.
Der Vortrag von L.A. Minelli vor 3 Jahren am Stiftungssitz der gbs in Oberwesel war mir persönlich ein Meilenstein.