Im bayerischen Neuburg an der Donau hat eine junge Frau auf dem Grab ihrer Großeltern Tomaten angepflanzt, weil diese zu Lebzeiten Tomaten liebten. Eine CSU-Stadträtin ist darüber so empört, dass sie nun jeglichen Anbau von Gemüse auf den städtischen Friedhöfen untersagen lassen will.
Der Skandal um das bayerische Tomaten-Grab ist mehr als nur eine amüsante Provinzposse, er trägt eine tiefe Wahrheit in sich: Als Dünger ist der Mensch nicht gesellschaftsfähig. Im Gegenteil: Zu einer der natürlichsten Sachen der Welt – Tod und Zerfall – herrscht in der Gesellschaft ein geradezu neurotisches Verhältnis. Die Vorstellung, dass verwesende menschliche Körper als Dünger für Tomaten dienen, scheint vielen Menschen ein Graus zu sein. Auch konventionellere Grabpflanzen beziehen ihre Nährstoffe zwar aus derselben Quelle, aber diese Pflanzen isst man eben nicht. Eine Tomate, die mit Hilfe des großelterlichen Düngers heranreift, jedoch … nein, das ist ekelig und grenzt schon fast an Kannibalismus.
Die Sache mit der Düngerwerdung ist ein Aspekt des Menschseins, den so mancher lieber gänzlich verdrängen möchte. Auf Friedhöfen jedenfalls ist das D-Wort verpönt, wenn man von den ehemals Lebenden spricht. Stattdessen sind anständige Bürger bemüht, die Gräber ihrer Verwandten recht ordentlich und hübsch zu pflegen. Laub und Unkraut haben dort nichts zu suchen, selbst vertrocknete Blüten gelten als Ärgernis. Ich selbst habe nie nachvollziehen können, wie Diskussionen über die richtige Grabpflege ganze Familien entzweien konnten, bloß weil zur Unzeit ein paar Laubblätter an der falschen Stelle lagen. Schließlich ist der Zweck eines Friedhofs doch einzig und allein die Verwesung. Aus welchem vernünftigen Grund sollen sich also zu den verwesenden Körpern in zwei Metern Tiefe nicht auch ein paar verwesende Blätter an der Erdoberfläche gesellen?
Nun, genau hier liegt des Pudels Kern. Auf Teufel komm raus möchte man mit glänzenden Marmorplatten und geputzten Grabflächen davon ablenken, was dort unten geschieht. Es ist das Prinzip "Bärchenwurst": Wer möchte beim Verzehr eines Stücks Wurst schon daran denken, dass das Tier, an dessen Knochen die Ingredienzien ursprünglich wuchsen, gewaltsam zu Tode kam? Dass ihm Kot und Eingeweide aus dem noch dampfenden Leib geschnitten wurden, ehe Sehnen und Knorpel und alles, was sich aufgrund seiner Unansehnlichkeit nicht an der Fleischtheke verkaufen lässt, in einen großen Häcksler wanderte, um als Fleischwurst wiederaufzuerstehen? Mit einem lachenden Bärchengesicht darauf, denn so lässt sich das alles viel leichter verdrängen. Einen ähnlichen Zweck erfüllen glänzende Marmorplatten und lachende Engelchen auf einem Grab.
Zugegeben, es ist kein sonderlich angenehmer Gedanke, was da unten mit dem Körper eines geliebten Menschen passiert. Und die Vorstellung, dass dasselbe dereinst auch mit dem eigenen Körper geschehen wird, mag manch einer als beunruhigend empfinden: Die Innereien von Bakterien zersetzt, das Fleisch von Maden und Würmern gefressen und als Dünger wieder ausgeschieden, während die Hohlräume unter den abgenagten Knochen vielleicht ein paar Wühlmäusen als Spielplatz dienen.
Es ist unser aller Schicksal, einmal Dünger zu werden. Von Anbeginn der Vegetation auf Erden entstand fruchtbarer Boden aus verwesender organischer Materie. Was im Gartenbaumarkt als Humus verkauft wird, enthält daher letztlich ebenso Anteile von toten Menschen, wie die Tomaten auf dem Neuburger Friedhof. Nur dass die Toten im Humusbeutel schon ein bisschen länger tot sind.
Soll das etwa bedeuten, dass auch die Tomaten im Supermarkt …? Ganz genau. Aber wie bringt man das bloß schonend der CSU-Stadträtin von Neuburg bei?
19 Kommentare
Kommentare
nihil jie am Permanenter Link
Klar... aber gegen Leib und Blut Christi bei der Kommunion ist nichts ein zu wenden. Auch wenn es dabei um reinen Symbolismus geht, wird dabei der kannibalische Aspekt hochgradig gefeiert.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Diese Wandlung ist bei der katholischen Kirche eben NICHT symbolisch sondern als tatsächlich behauptet - siehe Transsubstantiation.
Letztlich zeugt der Versuch die Wahl der Pflanzen auf dem Grab zu beschränken von einer engstirnigen übergriffigen Grundhaltung, welche die Freiheit Aller die nicht genau so sind wie man selbst begrenzen will.
Ich meine, dass sich diese Überzeugung, selbst im Besitz der richtigen Ansicht zu sein zusammen mit dem Verlangen dass diese Allen verbindlich sein soll, mit dem Begriff Narzissmus ganz gut fassen läßt. Zu entscheiden ob dieser schon pathologisches Ausmaß annimmt ist letztlich Sache eines Psychiaters.
Martin Weidner am Permanenter Link
Dass ein Friedhof eine Ordnung hast, die nicht alles auf dem Grab erlaubt (was auf alle Friedhöfe in Deutschland zutrifft), halte ich für angemessen. Muss ich jetzt zum Psychiater?
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
Wesentlich nachvollziehbarer erscheinen mir dazu die gedanken von Theodor Kramer (1897-1958):
An einem schönen Herbsttag möcht ich sterben,
der schon ein wenig rauh und frostig ist,
vor unserm alten Haus daheim im herben
Geruch von Unkraut und von Rankenmist.
Den Hauch der schwarzen Schalen möcht ich schlürfen,
die von den Nüssen fallen, und den Pflug
die morschen Stoppeln stürzen sehen dürfen
ins fette Erdreich bis zum letzten Bug.
Dann könnt ich leichter glauben, daß das gleiche
Gesetz, nach dem der Fechsung morscher Rest
den Boden wieder düngt, auch mir das Gleiche
gewährt und mich nicht ganz vergehen läßt.
Paul am Permanenter Link
"Fleischtomate" ist wohl das Stichwort, eventuell transportieren die kleinen biologischen Helferlein die "Fleischreste" aus 2m Tiefe nach oben, direkt in die "Tomate".
Vermutlich könnte die CSU Tante nicht mal eine logische Erklärung für ihre Bedenken bringen, sondern einfach und simpel : "Das macht man einfach nicht", Konventionen eben.
Martin Weidner am Permanenter Link
Man lese das Gedicht von Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland...
Und den biblischen Satz: Staub bist du und zu Staub wirst du werden - drastischer kann man es kaum ausdrücken.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Das setzen einer Tomatenpflanze hat nicht das geringste mit Geringschätzung, Würdelosigkeit zu tun.
Martin Weidner am Permanenter Link
Wie Sie im ersten Satz meines Kommentars bemerken können, ist meine Meinung zum Thema nicht stringent. Dass Friedhöfe kein Nutzland sein sollen, halte ich für eine sinnvolle Friedhofsordnung.
Jörg am Permanenter Link
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen wenn da nicht die Inschrift auf dem Torbogen am Eingang zum Stadtgottesackers (merke ..ackers!) in Halle /Saale (ältester Friedhof der Stadt) wäre.
Sie lautet:
Aufblühen und Staub werden ist das ewige Gesetz der Natur
Hoffet auf Morgenrot im Totental
Hier die Saat - dort die Ernte!
Martin Weidner am Permanenter Link
Die Inschrift beruht auf einem Gleichnis, bei dem Menschen mit Samenkörnern verglichen werden, die auch ich die Erde gelegt werden, aus dem dann eine neue Pflanze wächst.
pavlovic am Permanenter Link
Frau Wakonigg schreibt: "Wer möchte beim Verzehr eines Stücks Wurst schon daran denken, dass das Tier, an dessen Knochen die Ingredienzien ursprünglich wuchsen, gewaltsam zu Tode kam?" - Ich kann nicht nachv
Claudia am Permanenter Link
"Ich kann nicht nachvollziehen dass Zuchttiere gewaltsam zu Tode kommen, werden diese fachgerecht geschlachtet, mit einem möglichen Minimum an Gewalteinwirkung".
Wie bitte?
Das Herbeiführen des Todes ist das absolute Maximum an Gewalteinwirkung. Mehr Gewalt geht nicht.
pavlovic am Permanenter Link
Liebe Claudia, ich erläutere Ihnen dass mal anhand völlig normaler Zustände in Gefängnissen weltweit: Man kann Menschen so hinrichten dass sie nicht zuviel leiden oder aber sie lange quälen und foltern, es gibt also s
Gabriel am Permanenter Link
pavlovic schreibt: "Dort wo die Tiere mit CO2 begast werden nehmen diese den Tod genauso wenig wahr, wie jede Nacht wenn sie sich schlafen legen." - Das stimmt so leider nicht.
http://www.swr.de/odysso/besser-schlachten-neue-methode-kann-schreckliche-tierquaelerei-deutlich-vermindern/-/id=1046894/did=13451574/nid=1046894/9x755v/index.html
Deshalb setzen sich Tierschützer auch für das Verbot der CO2-Betäubung ein:
http://www.peta.de/leidvolle-gasbetaeubung#.V91eWq16jXt
Und selbst, wenn sich die Betäubungs- und Schlachtbedingungen ändern sollten: die Nutztierhaltung in Deutschland ist zu ca. 99 % eine Intensivtierhaltung, die bei den Tieren zahlreiche Erkrankungen verursacht und die mit brutalen Praktiken verbunden ist, wie z.B. dem betäubungslosen Kupieren der Schwänze von Ferkeln, der betäubungslosen Kastration männlicher Ferkel und dem betäubungslosen Abschleifen der Eckzähne der Schweine. Andere Tierarten in der Landwirtschaft werden ähnlich behandelt (hier wieder bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen).
Rainer Bolz am Permanenter Link
Wenn die Stadträtin ihr Ansinnen durchsetzen kann, gibt es ein paar Wutbürger mehr.
Ja haben die sonst keine weiteren Probleme im Ländle.
Rüdiger Weida am Permanenter Link
Na, die Stadträtin hat wohl nicht viel Ahnung von Gemüse.
Keins wächst so tief, dass die Wurzeln bis in den Sarg reichen. Es wird auch kein Kompost aus den Leichen. Es sei denn, man bedient sich einer neuen Methode aus den USA, bei denen die extra kompostiert werden.
Nach abgeschlossenem Vorgang, ca. ein halbes Jahr, kann man den Ahnen dann zu Hause auf´s Gemüsebeet streuen. Sehr umweltfreundliche Alternative.
Claudia am Permanenter Link
Die Idee ist großartig: ich werde auf dem Grab meiner verstorbenen Mama Pimpernelle, Rosmarin, Thymian und vielleicht ein wenig Zitronenmelisse anpflanzen. Mag sein, auch eine Reihe Radieschen.
Kay Krause am Permanenter Link
Diese Stadträtin in Neuburg an der Donau ist mir wohlbekannt. Es ist nicht das erstemal, dass sie meint, mit Hilfe von konservativen Auswüchsen die Richtigkeit ihrer CSU- Mitgliedschaft beweisen zu müssen.
Tomaten auf dem Friedhof. Eine Wunderbare Idee. Warum bin ich darauf nicht schon selbst gekommen?!
Und hier noch ein paar gereimte Zeilen, gewidmet speziell der Neuburger Stadträtin:
KOSTENRECHNUNG
Wenn ein Mensch, dem wir recht oft begegnet,
nun endlich mal das Zeitlich' segnet,
dann tragen wir ihn aus der guten Stube,
und legen ihn in eine kalte Grube.
Zwei Jahre zahl'n wir dann die Trauerfeier
in Raten ab beim Bankhaus Meier.
Wenn der Homo in der Grube tief
zu Humus wird (wenn also alles gut verlief),
dann wäre das Gelegenheit
(mit Eingedenk der Trauerzeit),
die Grabeskosten zu erstatten,
von denen wir so reichlich hatten.
Man bietet an im Internet
den Humus aus dem Grabesbett.
Schickt ihn - gut verpackt und wenn bestellt,
an Schrebergärtner gegen Scheck und Geld.
So war des Homos Leben lebens-
wert und nicht vergebens.
Und sucht man für den Dünger einen Namen:
wie wär's denn mit "Post-Humus"? Amen!
Wolfgang am Permanenter Link
Besser Tomaten auf dem Grabe als Tomaten auf den Augen! Aber bitte nur rote!