Erst vor Kurzem flackerte Spielbergs Verfilmung von Roald Dahls Kinderbuch BFG-Big Friendly Giant über die Kinoleinwände. Ein Buch, das der berühmte britische Autor seiner Tochter Olivia gewidmet hat. Mit sieben Jahren starb sie an den Folgen einer Masernerkrankung. Ein Erlebnis, das Dahl zu einem bedeutenden öffentlichen Fürsprecher für Impfungen machte – und zu einem großen Zweifler an der Existenz Gottes. Heute wäre Roald Dahl 100 Jahre alt geworden.
"Olivia, meine älteste Tochter, bekam Masern, als sie sieben Jahre alt war. Während die Krankheit ihren üblichen Verlauf nahm, las ich ihr oft am Bett vor und war nicht sonderlich besorgt. Eines Morgens, als sie bereits auf dem Wege der Besserung war, saß ich an ihrem Bett und zeigte ihr wie man aus bunten Pfeifenreinigern kleine Tiere basteln kann. Aber als sie es selbst versuchte, stellte ich fest, dass ihre Finger und ihr Kopf nicht zusammenarbeiteten und dass sie nichts tun konnte.
"Geht es dir gut?", fragte ich sie.
"Ich bin so müde", sagte sie.
Eine Stunde später war sie bewusstlos. Zwölf Stunden später tot."
Dahls Tochter Olivia starb an einer bekannten Spätfolge der Masern, der so genannten Masernenzephalitis – einer Entzündung des Gehirns, hervorgerufen durch Masernviren. Sie tritt bei etwa einem von 1000 mit Masern infizierten Kindern auf.
Olivias Tod erschütterte Dahl zutiefst und ließ ihn für den Rest seines Lebens an der Existenz Gottes zweifeln.
Bereits in seiner Kindheit waren Dahl erste Zweifel an Gott und der Religion gekommen. Zweifel, die vor allem durch die Männer Gottes ausgelöst wurden, die Liebe und Vergebung predigten und dennoch Schüler für minimale Vergehen brutal verprügelten. Besonders sein damaliger Schulleiter, Geoffrey Fisher, brachte Dahl diesbezüglich ins Grübeln.
"Predigten sie das eine und praktizierten etwas ganz anderes, diese Männer Gottes? (…) All das war es, denke ich, was dazu führte, dass ich begann zu zweifeln, an der Religion und sogar an Gott", schreibt Dahl hierzu in seiner Nicht-Autobiographie: Boy. "Wenn diese Person einer von Gottes auserwählten Handelsvertretern auf Erden war, dann musste an dem ganzen Geschäft etwas ziemlich falsch sein."
Dennoch suchte Dahl nach dem Tod seiner Tochter im Winter 1962 das Gespräch mit genau jenem fragwürdigen Handelsvertreter Gottes, der ihn in seiner Kindheit dazu gebracht hatte, an Gott zu zweifeln. Fisher war vom Schulleiter zum Bischof aufgestiegen und 1945 sogar zum Erzbischof von Canterbury ernannt worden. Sechzehn Jahre lang war er Primas der Church of England – unter anderem krönte er vor den Fernsehkameras der Welt Elisabeth II. zur Königin von England. Wenn sich also jemand mit Gott und dem Glauben auskannte, dann wohl er, dachte sich Dahl.
Das seelsorgerische Gespräch mit dem inzwischen pensionierten Oberhaupt der anglikanischen Kirche führte jedoch dazu, dass sich Dahls Zweifel an Gott weiter vergrößerten. Dahl erklärte seinen jüngeren Töchtern erstaunlich offen, wie es ihm während dieses Gesprächs erging und veröffentlichte die ganze Geschichte später im Magazin Redbook unter dem Titel Was ich Ophelia und Lucy über Gott sagte. Dahl verstörte vor allem, dass der hohe Mann der Kirche sich vollkommen sicher war, dass Olivia jetzt im Paradies sei – während er mit ebenso großer Sicherheit wusste, dass der Hund der Familie Dahl, Olivias geliebter Rowley, niemals dorthin käme.
"Ich wollte ihn fragen, wie er so absolut sicher sein kann, dass andere Geschöpfe nicht dieselbe Behandlung erfahren wie wir, aber der Ausdruck des Missfallens, der sich um seinen Mund gelegt hatte, hielt mich davon ab. Ich saß da und fragte mich, ob dieser große und berühmte Mann der Kirche wirklich wusste, was er da sagte und ob er überhaupt irgendetwas über Gott und den Himmel wusste, und falls er es nicht tat, wer auf der Welt es täte? Und von diesem Moment an, meine Lieblinge, fürchte ich, dass ich begann mich zu fragen, ob es wirklich einen Gott gibt oder nicht."
Umso sicherer war sich Dahl hingegen, dass gegen die Krankheit, an der seine Tochter starb, etwas unternommen werden muss. Dahl wurde zu einem bekannten Fürsprecher für Impfungen gegen Kinderkrankheiten, insbesondere gegen Masern. Denn die einzige einhundertprozentig wirksame Methode, die noch heute teilweise tödlichen Folgen einer Masernerkrankung zu bekämpfen, ist, Masern gar nicht erst nicht zu bekommen.
"Meiner Meinung nach setzen Eltern, die sich weigern ihre Kinder impfen zu lassen, das Leben dieser Kinder auf Spiel", schrieb Dahl 1986.
"Weil so viele Eltern sich weigern – sei es aus Sturheit, Unwissenheit oder Angst – die Impfung ihrer Kinder zu erlauben, haben wir hier in Großbritannien noch immer 100.000 Masern-Fälle jedes Jahr. Mehr als 10.000 von ihnen werden unter Spätfolgen der einen oder anderen Art leiden. (…) Rund 20 von ihnen werden sterben. (…) Und was sind die Risiken einer Impfung? Sie sind beinahe nicht existent. (…) In einem Bezirk mit ungefähr 300.000 Einwohnern wird es alle 250 Jahre nur ein Kind geben, das bei einer Masernimpfung ernsthafte Nebenwirkungen entwickelt. (…) Ich denke, die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind an einer Tafel Schokolade erstickt, ist größer, als dass es ernsthaft an einer Masern-Impfung erkrankt."
Seine eigene Tochter Olivia hatte Dahl nur deshalb nicht impfen lassen, weil in den 1960er Jahren noch keine sicheren Impfstoffe gegen Masern existierten.
"Ich habe Olivia zwei meiner Bücher gewidmet. Das erste war James and the Giant Peach (deutscher Titel: James und der Riesenpfirsich - DW) als sie noch lebte. Das zweite war The BFG (deutscher Titel: Sophiechen und der Riese - DW), das ich ihrem Andenken widmete, nachdem sie an den Masern gestorben war. Sie werden ihren Namen am Anfang dieser beiden Bücher lesen. Und ich weiß, wie glücklich sie wäre, wenn sie nur wissen könnte, dass ihr Tod dazu beigetragen hat, eine Menge Krankheit und Tod bei anderen Kindern zu verhindern."
6 Kommentare
Kommentare
Rainer Bolz am Permanenter Link
Die gleichen Erkenntnisse hatte Charles Darwin.
Die schlimmste Tragödie seines Lebens bestätigte die Richtigkeit seiner Gedanken. Das verlorene Kind erweist ihm wie eine Kronzeugin, seiner Theorie einen Letzten Dienst: Kein Glaube steht ihm mehr im Weg. Sowenig Gott ihn erhört hat, so wenig muss er nun auf Gott Rücksicht nehmen.
In wenigen Jahren wird er die größtmögliche Rache an seinem "Schöpfer" nehmen. Er wird ihn zur Erschaffung der Kreaturen für überflüssig erklären.
Klaus Bernd am Permanenter Link
>>", fürchte ich, dass ich begann mich zu fragen, ob es wirklich einen Gott gibt oder nicht."<<
Fürchtet Euch nicht !
Horst Herrmann am Permanenter Link
Die weit verbreiteten Bittgebete, meist die letzte Verbindung mit Gott, sind bequeme Bettelei und weder menschenwürdig noch Gott angemessen.
Jo am Permanenter Link
Äh ja, nur woher sollte man dann wissen, was Gott "angemessen" ist, wenn es ihn gäbe?
Horst Herrmann am Permanenter Link
Es geht nicht um die Frage, wie es wäre, wenn es Gott nicht gäbe. Es geht um die Fehler, die Dahl gemacht hat, stellvertretend für sehr viele Gläubige. Ich fasse nochmals zusammen: 1.
Kay Krause am Permanenter Link
Es ist schon eine verrückte Welt, in der wir leben: der (die)eine findet durch eine Krankheit den Weg zum imaginären Gott, der (die) andere erkennt durch Krankheit odar gar den Tod, dass es neben diesem einen von viel
Ich mußte keinen der vorgenannten Wege gehen, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Ich bin bereits frei geboren. Habt Dank, liebe Eltern!