Donna Haraway - "Wenn Spezies sich begegnen"

Wie Andersartigkeit entsteht

Am Anfang des Manifests steht die Schilderung eines Kusses. Eine Überschreitung nicht der Normen, sondern der Speziesgrenzen. Denn Ms. Cayenne Pepper, welche die Autorin mit ihrer Schlabberzunge beglückt, ist eine Australische Hirtenhündin. Donna Haraway fragt in ihrem "Manifest für Gefährten", das auf Amerikanisch "The Companion Species Manifesto. Dog, Men and Significant Otherness" heißt, nach Art und Andersartigkeit und deren Entstehen entlang von Geschichten und Geschichte.

Die Feministin plädiert für eine Überwindung der Speziesgrenzen analog der der Geschlechtergrenzen. Mit unseren Haustieren leben wir längst in einer Mischwelt, auch gegenseitiger Abhängigkeit ähnlich wie mit unseren die körperlichen Defizite ausgleichenden Technologien. Das schreibt Haraway mit viel Elan und feinsinniger Beobachtungsgabe.

Es geht ihr um Tiere, die ohne den Menschen nie entstanden wären und die unsere Menschheitsgeschichte verändert haben. Dabei ist die Mensch-Hund-Beziehung die gewöhnlichste, die man sich denken kann. Die einzige ist sie nicht. Aber exemplarisch für eine "Naturkultur". Donna Haraway fragt: "(1) Wie können wir durch das Entstehen von Hund-Mensch-Beziehungen eine Ethik und Politik lernen, die signifikante Andersartigkeit gedeihen lässt? (2) Wie können Geschichten über Hund-Mensch-Beziehungen endlich davon überzeugen, dass Geschichte und historisches Wissen in Naturkulturen von Bedeutung ist?" Donna Haraway brachte mit diesem 2003 in Amerika erschienenen schmalen Band, der im Herbst auf Deutsch herauskam, seinerzeit dort die Human Animal Studies in Gang.

Bei Donna Haraway ist das Tier noch nicht Mitbürger wie bei Will Kymlicka in seinem Buch "Zoopolis", sondern Gefährte. Sie verhandelt die Beziehungen zwischen den einzelnen Individuen auf der intimen, privaten Ebene, auf der Bedeutungen erst entstehen können, welche die Andersartigkeit charakterisieren, aus der wiederum Politik, die ihr gerecht werden will, erst werden kann.

Cover

Haraway will deutlich machen, wie jede Begegnung zwischen Mensch und Tier eine Grenzüberschreitung ist, weil sie einen Austausch in Gang bringt. Immer da, wo Berührung ist. Bis hin zu den Viren und Bakterien. Sie wandern natürlich ungehemmt beim Zungenkuss, was im Mund über den Speichel zu neuen DNA-Kombinationen in den Mitochondrien von Hund und Mensch selbst jenseits der sexuellen Fortpflanzung führt. Die Philosophin, für die dies ein klarer Fall von Metaplasmus ist, bringt dies feuchte Geschehen auf den Begriff: "In meiner Verwendung bedeutet Metaplasmus die Umgestaltung von hündischer und menschlicher Leibhaftigkeit, die Umformung der Codes des Lebens (DNA) in der Geschichte der Bezugnahme dieser beiden Spezies der Gefährtinnen".

"Determinismus ist bestenfalls ein Wort für beschränkte ökologische Entwicklungskapazitäten", formuliert Haraway mit der ihr eigenen Wortgewandtheit, für die man ihr schier alles abnehmen möchte und mit der die Übersetzerin aber nicht immer mitkommt. Die Gene stecken nur den Rahmen ab eines Werdens, in dem alles stetig sich verändernder Austausch ist.

Natur und Kultur, Tatsache und Fiktion durchdringen einander. „Tatsächlich“ ist immer nur die Vergangenheit. Die Gegenwart ist immer noch im Werden, im Entstehen und daher nicht festgeschrieben. Dies geschieht in gegenseitiger Bedingtheit. Aus dem Zusammenleben wird ein Zusammenwachsen. Man denke an die Wölfe, die einst begannen, in der Nähe der menschlichen Abfälle zu leben. Und an die Menschen, die das Spurenlesen und Riechen fortan den Hunden überlassen konnten und stattdessen "das Maul frei" für das Sprechen hatten.

Donna Haraway erzählt Geschichten. Von Arbeitshunden, den Pyrenäenhunden, die früher Schafsherden vor Wölfen und Bären schützten und heute in den USA vor Coyoten. Von den Australischen Hütehunden, die das Hüten schließlich in den Genen hatten. Von Ökonomien, in denen Hunde ein Faktor sind und in denen doch Hundeliebe weniger eine Rolle spielt als Respekt und Vertrauen in der Zusammenarbeit. Und Aufmerksamkeit. "Geschichten von Herdenschutzhunden, die Mutterschafe bei der Geburt unterstützen und das Neugeborene sauberlecken, veranschaulichen die Fähigkeit der Hunde, sich mit den Schützlingen zu verbinden."

Und Donna Haraway erforscht das Schicksal der Straßenhunde aus Puerto Rico, die in die USA importiert werden, um sie vor der Armut zu bewahren. Ausgewählt danach, jung und gesund zu sein, werden sie trotzdem sofort sterilisiert. Eine Praktik, die an die Zeiten gemahnt, als die Pille zunächst an Puerto-Ricanerinnen ausprobiert wurde. Ein Fall von Kolonialismus und Sexismus also, aufs Neue mit historischen Parallelen.

Im Spiel wird die Hegemonie der heterosexuellen Reproduktion gebrochen. Und damit schließt Haraways Manifest ebenso spielerisch. Mit der Schilderung, wie die betagte, sterilisierte Ms. Cayenne Pepper mit dem Pyrenäenhundwelpen Willem tobt und dabei ein eindeutig lustvoll erotisches Bewegungsrepertoire an den Tag legt.

Donna Haraway: "Das Manifest der Gefährten. Wenn Spezies sich begegnen – Hunde, Menschen und signifikante Andersartigkeit", aus dem Englischen übertragen von Jennifer Sofia Theodor, mit einem Nachwort von Fahim Amir, Merve Verlag Berlin 2016, 128 S., 15 Euro