Kommentar zu Bildung und Leistungsdruck

Neoliberale Politik ist Gift für die Gesellschaft

Am Anfang dieses Jahres gab es eine öffentliche Debatte über die Probleme von Schülerlotsen, deren Aufgabe es ist, für die Sicherheit ihrer jüngeren Mitschüler zu sorgen. An einigen Schulen mussten sie ihren Dienst einstellen, weil sie vor der Schule von rücksichtslosen Autofahrern gefährdet wurden. Die SchulleiterInnen fürchteten um die körperliche Unversehrtheit ihrer Schülerinnen und Schüler. Kurz vor acht Uhr fahren viele Eltern ihre Kinder zu Schule, bremsen vor dem Schultor und setzen ihre Kinder ab, um dann zur Arbeit oder anderen Verpflichtungen zu hetzen.

Einige Tage später folgte eine Diskussion über gesunde Ernährung. Obwohl für fast die Hälfte der Deutschen gesundes Essen in der Prioritätenliste ganz oben steht, ernähren sie sich vorwiegend von Fertigprodukten. Sie essen zu viel Fett, Salz und Zucker, und Erkrankungen wie Fettsucht oder Stoffwechselstörungen nehmen zu. Auf die Frage, wie dieser Widerspruch zu erklären sei, gaben die meisten zu Protokoll, es fehle ihnen an Zeit und Ruhe, um eine gesunde Mahlzeit selbst zuzubereiten.

Obwohl aus ganz unterschiedlichen Bereichen zeigen die beiden Beispiel, unter welchem Zeitdruck die Menschen agieren müssen. Doch damit nicht genug: Auf der Arbeit wird der volle Einsatz verlangt. Jedes Quäntchen Energie und Zeit wird ausgequetscht um maximale Profite zu erzielen. Konkurrenz und Leistungsdenken vergiften die zwischenmenschlichen Beziehungen. Permanente Verfügbarkeit gilt als selbstverständlich. Menschen, die unter prekären Verhältnissen leben müssen, haben oft noch einen zweiten Job, um sich über Wasser zu halten. Es liegt auf der Hand, dass dies den Druck deutlich erhöht.

Frauen und vor allem Mütter haben zusätzlich das Problem, Arbeit, Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bringen. Das vielbeschworene Multitasking ist allenfalls eine freundliche Umschreibung eines Alltags in Hetze und Stress. Auch während der Freizeit darf nicht gerastet werden. Es geht darum, sich für das Berufsleben fit zu machen, Körper und Psyche zu stählen, um die Anforderungen zu bestehen, die der Chef gestellt hat. Selbst Kinder müssen in den Schulen erleben, wie sie auf Leistung getrimmt werden und Ziele wie Emanzipation, Mündigkeit und musische Bildung auf der Strecke bleiben.

In dem Tatort aus Wien, der Mitte Januar ausgestrahlt wurde, droht der Student David Frank seine Eltern und sich selbst umzubringen, weil der über die Selbsttötung seiner Geliebten verzweifelt ist. Er will mit seiner Tat die "Wahrheit" ans Licht bringen, dass die StudentInnen bei minimalen Zukunftsperspektiven einem maximalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Menschen seien in etwas Schreckliches geraten ohne Hoffnung daraus zu entkommen. Auf die Frage des Tatort-Kommissars Krassnitzer, warum die StudentInnen so einen Druck hätten, antwortet seine Tochter, ebenfalls Studentin, sinngemäß: "Wir schlucken Amphetamine aus Vernunft, um die Prüfungen zu bestehen, wir sind die Pflichterfüller-Generation". Und die erfolgreichen Eltern des Studenten David Frank haben ihm als Erfolgsrezept auf den Weg mitgegeben: "Es geht nicht darum, wer Du bist, sondern was Du bist!"

Was ist das Schreckliche, aus dem es kein Entrinnen gibt? Letzten Endes resultieren viele gesellschaftlichen Probleme aus dem vorherrschenden neoliberalen Dogma, das Politik und Wirtschaft dominiert, und das die Profite der Banken und großen Konzerne zum alleinigen Maßstab erhebt. Neoliberales Denken durchtränkt mit seiner Ideologie alle Bereiche der Gesellschaft. Wie süßes Gift verseucht es Arbeitswelt und zwischenmenschliche Beziehungen. Man muss sich nur die Zentralen der Banken und Konzerne anschauen, um zu erkennen, welcher Gott dort angebetet wird.

"Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht. (…) Aus Marktwirtschaft soll Marktgesellschaft werden. Das ist der neue Imperialismus. Er erobert nicht mehr Gebiete, sondern macht sich auf, Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein Besatzungsregime verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt die Zentralen der inneren Steuerung des Menschen." (Norbert Blüm, 2006, S.81)

Der Spruch "Jeder ist seines Glückes Schmied" wird auf diese Weise zu einem verengten und kurzsichtigen Leistungsdenken pervertiert. Unter dem Vorwand der Globalisierung, die eh nicht zu verhindern sei, und die ein vernünftiger Mensch nur bejahen könne, werden Banken und Konzerne hofiert, Sozialleistungen zusammengestrichen und kommunale Aufgaben und Investitionen auf die lange Bank geschoben.

Soll die Wirtschaft den Menschen dienen oder sind sie lediglich jederzeit austauschbare Rädchen im großen Getriebe? Anders gefragt: Soll man dafür arbeiten, dass die oberen Zehntausend noch mehr Vermögen anhäufen, als sie eh schon haben, während viele mit jedem Euro rechnen müssen?

Doch man kann dem "Schrecklichen" entkommen! Längst haben Menschen angefangen die Gegenwehr zu organisieren, sei es gegen ihre Vertreibung als Mieter in angesagten Stadtteilen oder gegen den Ausverkauf ihrer Interessen in internationalen Handelsverträgen wie CETA oder TTIP. Es fehlt eine nationale auf das Parlament orientierte Strategie um eine glaubwürdige Alternative zu dem neoliberalen Dogma zu entwickeln. Vielleicht ist die rotrotgrüne Koalition in Berlin ein erster Hoffnungsschimmer.