Kommentar

Die katholische Kirche und der Missbrauch

Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen, Missbrauch in der katholischen Kirche in Australien und nun Kinderpornografie auf einem Dienstrechner im Büro des Bistums Limburg. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg machen die aktuellen Enthüllungen wütend.

Es hört einfach nicht auf.

Als im vergangenen Jahr der Rechtsanwalt Ulrich Weber seine Recherchen zum bereits 2010 aufgedeckten Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen vorstellte, war das Entsetzen groß. Weber sprach von einem "System der Angst", in dem Kinder und Jugendliche systematisch körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Nach achtmonatiger Recherche ging er davon aus, dass etwa jedes dritte Mitglied der rund 2.100 Mitglieder des katholischen Knabenchors zwischen 1953 und 1992 Missbrauchserfahrungen machen musste. Wesentliche höhere Zahlen als jene, die das Bistum Regensburg aufgrund eigener Recherchen veröffentlicht hatte.

Vor wenigen Tagen dann der Bericht einer staatlichen Untersuchungskommission aus Australien: Sieben Prozent der katholischen Priester in Australien sollen sich danach zwischen 1950 und 2010 des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht haben. Missbrauch fand laut der Untersuchungskommission zwar auch in anderen Institutionen statt – vor allem in religiösen – doch die katholische Kirche führt die Statistik an.

Kaum ist aufgrund dieser Missbrauchszahlen wieder mal die Diskussion über die Frage aufgeflammt, ob die katholische Kirche vielleicht ein strukturelles Problem haben könnte, da berichtet die Nassauische Neue Presse, dass der Büroleiter und Referent des amtierenden Bischofs von Limburg auf seinem Dienst-PC kinderpornografisches Material gespeichert habe. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, da man sich im Bistum Limburg gerade ein wenig von der goldenen Badewanne und den sonstigen Prassereien des Vorgänger-Bischofs Tebartz-van-Elst zu erholen hoffte. Freilich gilt für den Büroleiter noch die Unschuldsvermutung – vielleicht ist ein Kollege für das Material verantwortlich oder möglicherweise ist der Theologe und Domdiakon nur mit der Maus ausgerutscht und hat so ungewollt einen Kinderporno-Download aus dem Darknet gestartet – jedoch scheinen sich insgesamt die Hinweise zu verdichten, dass eine berufliche Karriere in der katholischen Kirche für Menschen mit pädophilen Neigungen äußerst attraktiv ist.

Nun wird uns Ungläubigen oft unterstellt, dass wir solche Enthüllungen mit Schadenfreude betrachten. Weil sie dem Image der Kirche schaden und die Kirchenaustrittszahlen ankurbeln. Ich weiß nicht, ob ich nur für mich spreche, wenn ich sage, dass ich auch bei gründlichster Erforschung meines Gewissens nicht ein Quäntchen Schadenfreunde in mir finde. Nur Müdigkeit über die immer gleichen Enthüllungen, Traurigkeit für die Opfer, die ihr Leben lang durch solche Erfahrungen traumatisiert sind – und vor allem Wut.

Wut über die Heuchelei der Kirche. Ja, ich glaube, das ist es, was ich an der ganzen Sache am Schlimmsten finde. Immer wieder das offizielle Beteuern der Betroffenheit und der Scham über die Missbrauchsfälle durch Kirchenfunktionäre - denen ich übrigens eine persönliche Betroffenheit ebenso wenig per se absprechen möchte, wie vielen einfachen Katholiken, denen ich ihr Entsetzen über die Geschehnisse in der eigenen Kirche tatsächlich abnehme. Jedoch zeigte sich seit dem Aufdecken der ersten Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche immer wieder, dass viele Fälle kirchenintern bekannt waren und dass man die Täter trotzdem mit Kindern weiterarbeiten ließ. Es zeigte sich ein jahrzehntelanges System der Vertuschung und des Kleinredens. Heute wird seitens der katholischen Kirche immer wieder der Wille zur umfassenden Aufklärung der Missbrauchsfälle bekundet. Aber angesichts der Untersuchung von Rechtsanwalt Weber in der Causa Domspatzen, der wesentlich höhere Missbrauchsraten ermittelte als das Bistum Regensburg, und angesichts der Aufkündigung der Zusammenarbeit mit dem Kriminologen Pfeiffer bei der Aufklärung des kirchlichen Missbrauchsskandals in ganz Deutschland, wirkt dieser Wille zur Aufklärung eher wie eine Scheinaufklärwilligkeit.

Es ist kein unbekanntes Phänomen. Die fulminante Diskrepanz von schönem Reden und weitaus weniger schönem Tun prägt auch meine – zum Glück missbrauchsfreien - persönlichen Erfahrungen mit der katholischen Kirche in vielfältiger Weise. Und ich scheine mit dieser Erfahrung nicht allein zu sein. Nicht zufällig dürfte Heinrich Heines Wort vom öffentlichen Wasser predigen, während heimlich Wein getrunken wird, Einzug in den allgemeinen Sprachschatz gefunden haben.

Dass es die Kirche dennoch schafft, ihr Image als moralische Instanz in Politik und Gesellschaft zu behaupten, ist immer wieder erstaunlich. Skandale wie die oben beschriebenen werden wahrscheinlich auf Dauer dazu beitragen, dieses Bild zu ändern. Aber trotzdem kann ich mich einfach nicht dazu durchringen, auf die Enthüllung des nächsten Missbrauchsskandals zu hoffen.