Notizen aus Polen

Privatstadt Warschau

Am 10. Juli fand in Warschau die 87. monatliche Trauerkundgebung für die Opfer der Flugzeugkatastrophe bei Smoleńsk statt. Da bei der 86. Kundgebung die Gegner dieses politischen Theaters den Weg der Prozession des Anhängers Kaczyńskis mit einem Sitzstreik blockierten, diesmal wurde die ganze Strecke von der Kathedrale in Altstadt bis zum Präsidentenpalast abgesperrt.

Die eisernen Schranken und 2.300 Polizisten schützten den Führer und seine Mitläufer vor dem Volk. Jemand hatte an die Absperrung ein handgemachtes Plakat befestigt: "Das ist die Grenze des PiS-Landes". Die Absperrung wurde in der Nacht davor errichtet und sogar das Bürgermeisteramt wusste nichts davon. Die Fahrer und die Passagiere der Stadtbusse standen ahnungslos vor den Barrieren und die Stadtverwaltung musste ad hock die Umleitungen organisieren.

Foto: © Małgorzata Bursztynowicz
Foto: © Małgorzata Bursztynowicz

Das in vielen Tausenden (wesentlich mehr als die Smoleńsk-Religion-Anhänger) erschienene Volk unter der Leitung der Gruppe "Bürger der Republik" hat diesmal eine ganz andere Taktik verwendet: Die Protestkundgebung wurde auf dem Schlossplatz, neben der abgegrenzten Strecke, veranstaltet. Denn seit April gilt das neue Versammlungsgesetzt, das den Begriff der "zyklischen Veranstaltungen" einführt. Damit können die Anhänger der Regierungspartei PiS ihre monatlichen Treffen drei Jahre im Voraus beantragen und das Gesetz verbietet jede Gegendemonstrationen in einem Umkreis von 100 Metern. Wir waren also illegal. Aber wir waren so zahlreich, dass sogar die zweieinhalb tausend Polizisten nicht im Stande waren, uns zu verjagen. Sie versuchten das auch nicht. Einige Minuten vor Erscheinen der Prozession sagte der Leiter der Bürger: "Jetzt zeigen wir dem Kaczyński unsere Rücken und verlassen den Platz, lassen wir den Führer mit seinen Polizisten alleine." Unterwegs zum Denkmal des unbekannten Soldaten haben viele Leute die Polizeiwagen mit weißen Rosen (dem Symbol unseres Widerstandes) geschmückt.

Nicht alle verließen den Platz. Einige standen vor den Barrieren und skandierten Oppositionsparolen. In Fernsehen wurde eine Dame gezeigt, die von den Polizisten ausgewiesen wurde, weil sie "Lech Wałęsa" skandierte. Eine andere Dame im Rollstuhl wollte sich dem Umzug der Kaczyńskis Anhänger anschließen. Sie wurde aber von einigen frommen Frauen verjagt, weil sie eine weiße Rose trug.

Foto: © Małgorzata Bursztynowicz
Foto: © Małgorzata Bursztynowicz

Beim Besuch des US-Präsidenten Trump vor einigen Tagen war die Stadt komplett abgesperrt. Vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands, wo der Gast seine Hauptrede an das polnische Volk hielt, wurde für das Publikum eine Tribüne gebaut. Der Eintritt wurde jedoch nur sorgsam ausgewählten PiS Anhängern gestattet, die mit den Sonderbussen aus vielen Städten Polens hingebracht wurden.

Sie jubelten lautstark dem Redner zu, der vor Stolz fast platzte. Nirgends, auch in seiner Heimat und nicht in Hamburg, wohin er aus Warschau flog, hat er solch einen Applaus bekommen.

Es jedoch auch Risse in der perfekt vorbereiteten Veranstaltung. Auf Verlangen der amerikanischen Botschaft waren auch die Oppositionsführer und Lech Wałęsa anwesend. (Übrigens hat Trump Wałęsa bei seiner Rede erwähnt.) Wenn die für die Regierung unerwünschten Gäste zu ihren Plätzen gingen, hat das Publikum (wie gesagt: sorgsam ausgewählt!) geschrien "Diebe, Diebe, Diebe ….!!" und zum Wałęsa: "Bolek, Bolek, Bolek ..!!". Dazu muss man wissen, dass die kommunistische Sicherheitspolizei seinerzeit versuchte, Wałęsa für sich zu gewinnen und ihm den Decknamen "Bolek" gab. Ein Gericht hat schon längst Wałęsa von dem Verdacht der Mitarbeit mit den kommunistischen Geheimdiensten befreit, aber Kaczyński hat das nicht anerkannt und seit Jahren versucht er, die Legende von Lech Wałęsa zu vernichten.