Peter Henkel fordert "Schluss mit Luther"

Die Schattenseiten des Reformators

Der Journalist Peter Henkel blickt in seinem Buch "Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen" auf die Schattenseiten des Reformators. Allein schon als Gegengewicht zur Luther-Jubelliteratur im Jahr 2017 verdient das Buch Interesse, das aber bei den theologischen Aspekten mitunter etwas unklar und unsortiert wirkt und leider auch quellenmäßig die Zitate nicht nachweist.

2017 ist bereits früh als großes Reformationsjubiläum vorbereitet worden. Martin Luther wurde in Form von Büchern und Konferenzen thematisiert. Doch an einer kritischen Betrachtung mangelte es dabei. Selbst ansonsten als dafür bekannte Autoren wie etwa Horst Hermann oder Willi Winkler legten eher apologetische Buchveröffentlichungen vor. An Darstellungen, welche die Schattenseiten des Reformators in den Vordergrund stellten, mangelte es. Als eine solche Betrachtung versteht sich – dezidiert schon im Titel erkennbar – der Band "Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen". Autor ist Peter Henkel, der früher jahrzehntelang Journalist bei der "Frankfurter Rundschau" war. Er möchte erklärtermaßen dem allgemeinen Jubel eine kritische Sicht entgegen stellen. Denn, dass der Reformator zum Beispiel die Verbrennung von Synagogen gefordert hat, ist nur wenigen Protestanten bekannt. Auch über seine formalen Anhänger hinaus fehlt es meist an kritischem Wissen. Diese Lücke will Henkel mit seiner distanzierteren Betrachtung schließen.

Sein Buch gliedert sich in elf Kapitel mit zwei Exkursen: Zunächst geht es darin um Luthers Konflikte mit der damaligen Kirche und dem seinerzeitigen Papst. Danach fragt der Autor, inwieweit die behaupteten Anstöße in Richtung der Moderne durch den Reformator eher unbeabsichtigt erfolgten. Er macht auch immer wieder auf Widersprüche aufmerksam: "Wenn Rettung oder Verdammnis von allem Anfang feststeht durch unveränderlichen göttlichen Beschluss, dann will das nicht passen zu der Geschichte von einem Kampf zwischen Gott und Satan um den Sitz auf dem Reittier" (S. 67). Besondere Aufmerksamkeit wird auch Luthers "Satanologie" gewidmet, neigte er doch dazu, alles Abgelehnte irgendwie mit dem Teufel in Verbindung zu bringen. In den beiden erwähnten Exkursen geht es um das Misstrauen gegenüber der Vernunft und die Strafandrohungen gegen Anders- und Nicht-Gläubige. Und dann behandelt Henkel auch die vielen Feindbilder Luthers, wozu etwa auch Erasmus von Rotterdam gehörte, der ihm als eine zu würgende Wanze galt.

Danach geht es um die besonders negative Judenfeindschaft des Reformators. Deutlich macht sie der Autor an vielen einschlägigen Zitaten, wobei zutreffend hervorgehoben wird: Diese zielte "nicht auf jüdische Theologie, sondern auf eine angebliche jüdische Natur" (S. 131). Hier wie an anderen Stellen kritisiert der Verfasser die Neigung, durch den Hinweis auf den historischen Kontext oder ähnlich Verwerfliches das negative Bild über Luther zu schönen. Anschließend thematisiert er erneut die Einstellung zu dem damaligen Papst und kommt dann zu einem weiteren besonders dunklen Punkt im Wirken des Reformators: Dabei geht es um die Forderung nach einer grundsätzlichen Unterwerfung unter die Obrigkeit und die Aufrufe an die Fürsten zum Mord an den rebellischen Bauern: "Mit seinen erfolgreichen Aufrufen zum mitleidlosen Töten hat er die Verrohung im Denken und Fühlen, im Sprechen und Handeln Vorschub geleistet" (S. 157). Und dann geht es um Luthers negatives Frauenbild, seine psychischen Erkrankungen und das Schlüsselerlebnis mit dem Blitzeinschlag.

In der Gesamtschau zeichnet Henkel demnach ein sehr kritisches Bild des Reformators. Angesichts der allgemeinen Bejubelungsliteratur ist das Buch allein schon um der inhaltlichen Alternative willen beachtenswert. Der Autor ergeht sich dabei nicht in hämischen Kommentaren, sondern belegt seine begründete Kritik mit vielen Zitaten. Ärgerlich, ja eigentlich unverzeihlich ist dabei, dass er die dafür nötigen Belegstellen nicht nennt. Henkel bekennt sich im Schlusswort zum Atheismus, meint dabei aber, dass seine "Luther-Kritik … nicht vorrangig auf Gottesleugnung" (S. 191) basiere. Dem kann zugestimmt werden, reichen doch allein Bekenntnisse zu Menschenrechten oder Vernunft als Motive aus. Mitunter wirken die Einwände des Autors aber auch etwas unklar und unsortiert. Besser wäre es gewesen, mit Eindeutigkeit und Zuspitzung zu arbeiten. Das ist bei den Ausführungen zur Judenfeindschaft und dem Obrigkeitsdenken der Fall. An anderen Stellen, insbesondere bei denen zu theologischen Aspekten, fehlt es daran etwas. Es kann aber auch am Thema liegen.

Peter Henkel, Schluss mit Luther. Von den Irrwegen eines Radikalen, Baden-Baden 2017 (Tectum-Verlag), 198 S., ISBN 978-3-8288-3958-8, 18,95 Euro