Kommentar

Wird die Demokratie eine Geisel des Terrors?

BERLIN. (hpd) Mit dem Verbot der Pegida-Kundgebung am gestrigen Abend in Dresden stellen sich Fragen nach der Erpressbarkeit der Demokratie; Fragen danach, wie eine offene Gesellschaft mit Terrordrohungen umzugehen hat. Und es stellt sich die Frage, weshalb alle Veranstaltungen abgesagt werden, wenn nur eine bedroht zu sein scheint.

Es ist in diesem Falle unerheblich, ob es sich bei den von den Pegida-Demonstranten verbreiteten Parolen zum Teil selbst um demokratiefeindliche handelt. Es soll auch keine Rolle spielen, dass es sich bei Pegida nicht nur um einen “Treffpunkt für verärgerte Bürger [handelt], sondern auch eine magische Anziehungskraft auf Fremdenfeinde, verbohrte Islamhasser und menschenverachtende Dummköpfe ausübt”, wie die Huffington Post anhand von Kommentare auf den Mord an einem Asylbewerber aufzeigt.

Diese Diskussionen und Debatten, die häufig nicht nur mit dem Florett, sondern auch mit groben Keulen geführt werden, gehören zu einer offenen Gesellschaft. Das Grundgesetz deckt auch, dass “eine nur wenig trennscharfe Mischung aus strammen Konservatismus und extrem rechten Gedankengut” [1] auf Dresdens Straßen marschiert. Das von jedem Demokraten zu verteidigende Recht auf Meinungsfreiheit bedeutet vor allem auch, dass man andere Meinungen auch tolerieren muss.

Es ist kein Zufall, dass die Meinungsfreiheit im Artikel 5 und die Versammlungsfreiheit im Artikel 8 des Grundgesetzes stehen. Sie gehören zu den Grundrechten in Deutschland. Und so führte es auch bei Politikern aller Parteien zu “Unbehagen”, dass die Demonstration der Pegida abgesagt wurde. Der Ministerpräsident Sachsens, Tillich, sagte jedoch, dass der “Schutz der Demonstrationsteilnehmer und anderer Menschen bei der Entscheidung überwog”, das Demonstrationsrecht einzuschränken.

Weshalb in diesem Zuge auch alle Gegenveranstaltungen verboten wurden, konnte Tillich in einem ARD-Interview nicht aufklären. Allerdings, so die Tagesschau, hat dieser Umstand auch Innenminister anderer Bundesländer alarmiert. Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat laut SHZ an der Entscheidung, alle Demonstrationen unter freiem Himmel zu verbieten, ebenfalls “erhebliche Zweifel” angemeldet: “Die Hinweise auf geplante Anschläge müssten schon sehr konkret sein, um ein solches Verbot zu rechtfertigen.”

Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll erklärte dazu bereits am Sonntagabend: “Wir gehen in der Bewertung der aktuellen Lage nicht mehr nur von einer abstrakten Gefahr, sondern von einer konkreten aus.” Danach lägen Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen vor, dass Attentäter dazu aufgerufen worden seien, sich unter die Protestierenden zu mischen, “um zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der Pegida-Demonstrationen zu begehen.”

Die Pegida-Organisatoren gaben gestern Vormittag eine erste Pressekonferenz. Spiegel-Online titelt: “Pegida gibt Lügenpressekonferenz” und schreibt, dass der Pegida-Chef Lutz Bachmann, gegen den die Morddrohungen ausgesprochen worden sind, die zum Verbot aller Versammlungen führten, trotz Terrordrohungen weitermachen will. “Das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wollen wir uns nicht nehmen lassen”, sagte Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel.

Die Angst vor der Angst

Terroristen sind meist mehr daran interessiert, Angst und Schrecken anzudrohen als Terrorakte zu verüben. Mit dieser perfiden Methode könnte es ihnen tatsächlich auch gelingen, die Demokratie in Deutschland nachhaltig zu beschädigen. “Sie erhoffen sich dadurch Solidarisierungseffekte und Zulauf von Muslimen, die von Terror eigentlich nichts wissen wollen, sich angesichts einer ”Schuld-ist-der-Islam“-Rhetorik aber zunehmend ausgegrenzt fühlen”, schreibt Ulrich Kraetzer bei der Morgenpost.

Doch geht dieses Kalkül auf? Es hat den Anschein, als wäre es so. Denn das Verbot einer Demonstration ist genau die Art von Einschränkung von demokratischen Rechten, die durch die Terroristen erreicht werden soll.

Der oben zitierte Ulrich Kraetzer gibt Entwarnung: “Auf Dauer darf sich ein Staat seine Entscheidungen zwar selbstredend nicht von Extremisten diktieren lassen. Wir sollten uns aber nicht einreden lassen, dass unsere Freiheit wegen eines für einen einzigen Tag verhängten Demonstrationsverbotes bedroht ist. Wachsamkeit und Vorsicht sind also richtig. Alarmismus ist fehl am Platz.” Das sieht Reinhard Veser von der FAZ etwas anders: “es ist zu befürchten, dass Sicherheitskräfte und Behörden auch in Zukunft immer wieder vor der schweren Entscheidung stehen werden, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und konkrete Sicherheitsbedenken gegeneinander abzuwägen.”

Deshalb ist es - neben der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ideen von Pegida - sehr notwendig, dass es eine Debatte auch über unsere Grundrechte geben muss. Ein erster Schritt dafür wird sein müssen, dass die sächsische Polizei alle Informationen offenlegt, die sie zu der Entscheidung veranlasst haben, alle Demonstrationen in Dresden zu verbieten. Die Allgemeinheit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie konkret die Anschlagspläne gegen die Pegida-Demonstration waren oder sind.

“Wir müssen die terroristische Bedrohung aushalten. Dass nun mal so eben das Demonstrationsrecht ausgesetzt wird – und sei es auch nur für einen Tag – kommt einem Offenbarungseid gleich.”[2] Einem Offenbarungseid, der den Terroristen das Gefühl gibt, die Demokratie in Geiselhaft nehmen zu können.

Simon Urban benennt in der ZEIT ein Mittel, um den Staat und die Demokratie vor Erpressungen durch Religiöse zu verhindern: “Es gibt aber meiner Ansicht nach noch ein weiteres Mittel, um den Weihnachtslieder singenden Verteidigern des Abendlandes und den Kämpfern für islamische Feiertage, islamischen Religionsunterricht und geschlechtergetrennten Sportunterricht gleichermaßen den Wind aus den Segeln zu nehmen: die strikte Verbannung jedweder Religion ins Privatleben und die überfällige Etablierung eines rigorosen Laizismus, der alle Glaubensgemeinschaften in Deutschland gleichstellt. Und zwar indem er Katholiken, Protestanten und Muslimen gleichermaßen jede finanzielle Zuwendung von Seiten des Staates, jede Übernahme staatlicher Aufgaben sowie sämtliche rechtlichen Sonderstellungen verweigert. Und der jeden Anspruch von Bischöfen und Imamen, sich über reine Kirchenarbeit hinaus in das öffentliche Leben eines säkularen Landes einzumischen, entschieden zurückweist.” [3]