Vergelt’s Gott – oder: Möglicher Sozialversicherungsbetrug im Erzbistum Freiburg

Der Tatbestand – soweit bekannt: Vermutlich seit 1999, sicher aber seit 2003 wurden in der Erzdiözese Freiburg Sozialversicherungsbeiträge in zweistelliger Millionenhöhe (die Rede ist von 60 Millionen Euro) nicht abgeführt. Festgestellt wurde das im Mai durch die Deutsche Rentenversicherung, die sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerte, denn ihr war bei turnusmäßigen Prüfungen über Jahre nichts aufgefallen.

Das Bistum ging am 25. Oktober 2017 damit an die Öffentlichkeit. Aufgrund der zu erwartenden saftigen Säumniszuschläge bildet die Erzdiözese eine Rücklage von 160 Millionen Euro. Möglicherweise bestehe auch ein "steuerlicher Korrekturbedarf". Die Staatsanwaltschaft "beobachtet" den Fall. Betroffen sind geringfügig Beschäftigte, also Mesnerinnen, Gärtner, Organisten, Putzfrauen. (Der hier und im Folgenden als "Presseerklärung" zitierte Text ist unter erzbistum-freiburg.de zu finden)

Die mediale Würdigung: Selbstverständlich hat keine Vorverurteilung stattzufinden. Aber es fällt auf, wie die Pressestelle des Bistums die Linie vorgibt und die Medien folgen. So wird fast durchweg die Bezeichnung des Vorgangs als "Unstimmigkeiten" übernommen, nur ausnahmsweise ist von "Unregelmäßigkeiten" die Rede. Die kirchliche Deutung, das Ganze sei die bedauerliche Folge einer "komplizierten" oder "unübersichtlichen" Verwaltungsstruktur wird nicht hinterfragt. Höchstens von "Schlamperei" ist die Rede. Ein Leser stellte fest: "Würde es sich um eine Gebäudereinigungsfirma oder um einen Schlachthof handeln, dann wäre die Ausdrucksweise um einiges anders."

Jörg Vins, "SWR-Kirchenexperte" antwortet am 26.10. auf die Frage nach dem möglichen Imageschaden:

"Natürlich gibt es jetzt sicher Leute, die von den Kreuzzügen über die Hexenverbrennung über den Missbrauchsskandal bis zum Bischof von Limburg, der eine goldene Badewanne angeblich hatte, bis zu dieser Geschichte eine Linie ziehen… Aber es handelt sich nicht um eine kriminelle Geschichte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht… Wer sowieso einen Rochus auf die Kirche hat, der wird das weiter negativ kommentieren und konnotieren…"

Darf ich trotzdem was dazu sagen? Nachdem ich mich zwar kirchenexpertenmäßig geoutet fühle als eine, die einen "Rochus auf die Kirche" hat, traue ich mich kaum mehr, das zu sagen, was ich sagen möchte. (Zur Ergänzung: Ich habe auch einen Rochus auf die Autofirmen, die den Dieselskandal – pardon, die Diesel-Unstimmigkeiten – zu verantworten haben und ebenso auf jene, die mit Cum-Ex-Geschäften Steuerverkürzung betreiben.)

Gebe ich bei Google "Berechnung Sozialversicherungsbeträge Minijob" ein, erhalte ich "ungefähr 423.000 Ergebnisse (0,61 Sekunden)". Darunter etliche Beitragsrechner, die selbst ich zu handhaben wüsste. Es wird entschuldigend argumentiert: "Zwischen die Hauptabteilung Finanzen im Ordinariat und die einzelnen Gemeinden schieben sich nämlich 23 Verrechnungs- sowie drei Geschäftsstellen für die Kirchengemeinden der drei Großstädte Freiburg, Karlsruhe und Mannheim mit mehr als 400 Mitarbeitern, die sich mit Finanzen und Personalthemen befassen" (So unübersichtlich ist die Verwaltungsstruktur der Erzdiözese Freiburg, Badische Zeitung, 25.10.17). Das kann man allerdings ganz anders interpretieren: 400 Mitarbeiter + Hauptabteilung Finanzen + Gemeinden sollen in weit mehr als einem Jahrzehnt nichts bemerkt haben? Wer’s glaubt, wird selig.

Die Erfahrung lehrt: "Unübersichtlichkeit" im finanziellen Bereich, in der Buchhaltung führt dazu, dass mal zu viel, mal zu wenig bezahlt, berechnet oder abgezogen wird. Aber es ist ausgeschlossen, dass der Fehler "zufällig" immer in dieselbe Richtung geht. Da steckt System dahinter. Eine Bestätigung für diese These findet sich in der Presseerklärung des Erzbistums: "Für den Bereich der geringfügig Beschäftigten gab es 1999 und 2003 Gesetzesänderungen, die u.a. das Führen von Sammellohnkonten eingeschränkt hat. Diese Änderungen wurden in einigen Verrechnungsstellen nicht konsequent umgesetzt bzw. durchgesetzt."

Trotz dieser Feststellung wird versucht, die Verantwortung noch eins weiter nach unten durchzureichen. Nach bekannter Methode: eine Handvoll eigenmächtige Ingenieure hat die Schummelsoftware eingebaut – höheren Orts war man ahnungslos! In der Presseerklärung wird darauf verwiesen: "Die Besorgung der Vermögensangelegenheiten der Kirchengemeinde obliegt dem Pfarrgemeinderat, dem Stiftungsrat und dem Pfarrer der Seelsorgeeinheit als Vorsitzendem des Stiftungsrates." Ich glaube schon, dass die erzbischöfliche Presseerklärung umgesetzt wird: "Der Schaden im Einzelfall kann noch nicht genau beziffert werden. Er wird auf jeden Fall von der Erzdiözese getragen werden." Dass man die Gemeinden finanziell nicht im Regen stehen lässt, hat aber nichts mit Schuldanerkenntnis zu tun.

Zu dieser Strategie passt auch die – soweit ich sehe – bislang einzige personelle Konsequenz: Der oberste Finanzmensch, der Diözesanökonom Himmelsbach, wurde zwar "von seinen Aufgaben entbunden", aber keineswegs in einstweiligen Ruhestand versetzt, sondern zum Direktor der Diözesanstelle für Umwelt, Energie und Arbeitsschutz(!) ernannt.

Der schon zitierte SWR-Kirchenexperte Jörg Vins lobt den Umgang der Erzdiözese mit den "Unstimmigkeiten" in den höchsten Tönen als "tadellos, weil sie in die Offensive geht… sie macht einen guten Job". Nun ja, nun je. Sowas lernt man inzwischen in Seminaren zur Öffentlichkeitsarbeit und so fehlt auch beim Erzbischof nicht der Standardsatz "Wir nehmen dieses Problem sehr ernst und fühlen uns betroffen." Ich habe trotzdem was zu mäkeln. "Dass den Sozialkassen wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist, bedauern wir sehr, wir werden diesen wieder gut machen", sagt der Erzbischof. Ja, was denn sonst? Das ist nicht ins sein Belieben gestellt, sondern dafür werden Rentenversicherung und Finanzbehörde sorgen! So wahr mir der Rechtsstaat helfe! "Amen", füge ich mit leichtem Zweifel hinzu.

Von den in anderer Hinsicht "betroffenen" Menschen ist in der Erklärung des Erzbischofs mit keinem Wort die Rede. Dies ist mehr als eine Stilfrage. Es könnte sein, dass sie tatsächlich zu kurz kommen. Denn dass sich die Rentenversicherung mit entsprechenden Strafzahlungen schadlos hält, ist das eine. Aber wie steht es mit den Renten der einzelnen Menschen? Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Roßbach, scheint im Falle der Erzdiözese nicht von zehn Jahren – das wäre m.W. die übliche Verjährungsfrist – auszugehen, sondern nur von vier: "Es werde bei jedem Beschäftigten genau nachgehalten, wie hoch war sein Verdienst und wie hoch wäre die Beitragszahlung gewesen und das Ganze gehe dann vier Jahre zurück… hier gehe es ja darum, dass der Betreffende genau diese Beiträge auf seinem Konto gutgeschrieben bekomme." (Quelle)
Man darf gespannt sein.

160 Millionen Euro Rückstellung – das schafft (laut Presseerklärung) die Erzdiözese locker: "Dadurch, dass wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet, – wie bekannt – von der guten Konjunkturlage profitiert und Überschüsse gewinnbringend angelegt haben, müssen keine Einsparungen gemacht werden". Da sind wir aber erleichtert!

Zum Schluss ein Artikel aus der ZEIT vom 7.1.2013, auf den ich bei meinen Recherchen stieß. "Arbeitgeber hinterziehen so viele Sozialversicherungsbeiträge wie nie", ist die Überschrift. Damals handelte es sich um die Summe von 432 Millionen Euro bei mehreren zehntausend kontrollierten Betrieben. (Das lässt die 60 Millionen Euro des Erzbistums nochmals anders aussehen.) "Immer öfter versuchen sich Arbeitgeber ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen", sagte die Vorsitzende des Bundesvorstands der Rentenversicherung, Annelie Buntenbach. Sozialversicherungsbeiträge nicht zu zahlen, sei "zutiefst unsozial und der Versuch, für höheren Profit die sozialen Risiken allein auf dem Rücken der Arbeitnehmer abzuladen". Das sei "kein Kavaliersdelikt", sondern müsse kontrolliert und entsprechend geahndet werden.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch? Nämlich die Aufforderung, dass man sich bei Fehlverhalten im kirchlichen Raum genau derselben klaren Sprache befleißige. Was gar nicht geht (ach was, es geht natürlich doch, wie man an diesem und in so vielen andern Fällen sieht!): Einen hohen moralischen Anspruch haben und andere zu belehren, wie die Kirchen es tun – und dann einen großzügigen Rabatt bei eigenem Fehlverhalten zu bekommen.