Hamed Abdel-Samad in Chemnitz

"Ich muss keinen Respekt vor der Angst derer haben, die keinen Respekt vor der Menschenwürde haben!"

Nutzt Angela Merkel die Flüchtlingskrise aus, um Deutschland zu zerstören? Bei einem Vortrag in Chemnitz wurde der Islamkritiker und Politologe Hamed Abdel-Samad mit dieser Behauptung konfrontiert. In einem Bericht schildert er die Situation.

Ein Vortrag in Chemnitz: Es ging um mein Buch mit Mouhanad Khorchide über eine Reform des Islam. Nach dem Vortrag wurden die meisten Fragen jedoch zum Thema Integration von Flüchtlingen gestellt. Ich sagte, dass man nicht alle Flüchtlinge in einen Topf werfen darf, denn viele Flüchtlinge mögen dieses Land und werden sich bald gut integrieren, andere dagegen bringen kulturelle, ideologische und persönliche Probleme mit, die ihre Integration erschweren werden. 

Eine Dame stand auf und behauptete, Frau Merkel sei eine Verräterin, die die Flüchtlingskrise ausnutzt, um Deutschland zu zerstören. Fast die Hälfte im Saal hat stark applaudiert. Ich stand auf (bis dahin saß ich am Tisch) und sagte: Ich bin mit der Politik von Frau Merkel in vielen Punkten nicht einverstanden, aber als Politikwissenschaftler und als Demokrat kann ich diese Behauptung nicht stehen lassen. Wer Teil des Diskurses seien will, muss mit Argumenten und Vorschlägen kommen, statt alle Politiker als Verräter und alle Medien als Lügenpresse zu verleumden. Wer außerhalb des Humanismus und der demokratischen Grundordnung argumentiert, wer nur Verschwörungstheorien als Argumente mitbringt, schießt sich selbst aus dem Diskurs heraus und darf sich nicht beschweren, dass er nicht ernstgenommen wird. 

Auch da applaudierte nicht nur die zweite Hälfte, sondern die meisten im Saal. Einige verließen denn Saal als Protest, während ich geredet habe. Ich habe sie einzeln mit "Auf Wiedersehen" verabschiedet. Ein älterer Herr kam zu mir nach dem Ende des Vortrags und schrie mich wütend an: "Sie sollten lieber im Herzen Deutsch bleiben, sonst schicken wir euch alle wieder nach Hause!" Darüber konnte ich nur lachen. Andere haben sich für sein Benehmen bei mir entschuldigt. Einer sagte "Die Menschen haben Angst, dass die Politiker die Kontrolle über die Lage verlieren!" Ich antwortete: "Ich muss keinen Respekt vor der Angst derer haben, die keinen Respekt vor der Menschenwürde haben!" 

Und dennoch gab es am Ende etwas Versöhnliches: Eine Dame, die vorne saß und bei beiden Statements applaudiert hatte, kam auf mich zu und sagte: "Danke für Ihr Schlusswort. Das war mir wichtiger als der ganze Vortrag. Wir haben selten die Möglichkeit, über solche Themen sachlich zu diskutieren, deshalb bin ich froh, dass Sie nach Chemnitz gekommen sind!"