Jette Anders schrieb eine kleine Kulturgeschichte der Spatzen

Sie können nicht mit und nicht ohne einander

Angesichts der Spatzen ging selbst den Heiligen die Geduld aus. Der Ordensgründer Dominikus soll solch ein Vögelchen lebendig gerupft haben, weil es die Aufmerksamkeit von seiner Predigt ablenkte. Selbst Franz von Assisi, der bekanntlich zu den Vögeln sprach, fand sie nur noch "lästig". Martin Luther schrieb, er sei ein "arger und schädlicher Vogel". Solches erfährt man in Jette Anders Buch "Allerweltsvogel. Eine kleine Kulturgeschichte der Spatzen".

Wie Regime mit ihren Spatzen umgehen, sagt viel über sie selbst aus. 1958 ordnete angesichts drohender Hungersnot Mao Tse-Tung an, die Spatzen, die zu Nahrungskonkurrenten für die Menschen geworden waren, auszurotten. Über Tage sollten die Menschen in Stadt und Land sie mit Trommeln und Tröten davon abgehalten, zu fressen oder sich an ihren angestammten Schlafplätzen niederzulassen, bis die Sperlinge erschöpft vom Himmel fielen. Dies geschah derart effizient, dass diese Vögel im Reich der Mitte praktisch ausstarben. Infolgedessen vermehrte sich das Ungeziefer auf den Feldern bedrohlich. Die Ernteverluste waren groß, und neue Spatzen wurden aus dem Ausland akquiriert und eingebürgert.

Dergleichen ereignete sich, wenn auch weniger totalitaristisch, auch schon früher in der Menschheitsgeschichte. Louis XIV. und Friedrich I. hatten bereits Fangprämien gegen Spatzen ausgesetzt, weil sie angeblich die Ernten schmälerten. In den USA, Brasilien und Chile, ja sogar in Kenia wurden dagegen im 19. Jahrhundert Spatzen als Schädlingsbekämpfer eingeführt - und entwickelten sich auch in den USA als Getreideesser zur Konkurrenz der Menschen. Die Regierung setzte Prämien gegen sie aus. Doch wurde die Spatzenjagd jenseits des Atlantiks dann doch nicht viel mehr als eine Freizeitbeschäftigung für Kinder.

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Häufig verdrängten die importierten Spatzen aber auch nur heimische Insektenfresser wie den Ammerfink in Argentinien. Gegen die Spinner, zu deren Dezimierung sie dienen sollten, richteten sie dagegen dort wenig aus. Anderenorts wurden sie schließlich selbst wieder zur Rarität, wie die Galapagosspatzen, von denen es nur noch zehn Exemplare gibt.

Selbst zur Kriegsführung wurden Spatzen eingesetzt. Als lebende Fackeln setzten sie im Mittelalter im Auftrag der Fürstin Olga die Stadt Iskorot in Brand. Man hatte ihnen glimmende Tücher an die Füße gebunden.

Spatzen brauchen die Nähe der Menschen. Als der Mensch kaum noch Pferde nutzte, führte das zum ersten Mal zu einem Einbruch der Spatzenpopulation. Als während des Zweiten Weltkriegs und bis 1952 Helgoland zur militärischen Sperrzone wurde, gab es auch keine Spatzen auf der roten Insel. Gewaltig vermehren sie sich nur dort, wo es große Monokulturen gibt. Neuerdings machen ihnen Bestandteile des bleifreien Benzins, Benzol und Methyl-Tertiär-Buthl-Äther (MTBE), zu schaffen. Und sie finden an unseren Stahl- und Glasfassaden immer weniger Nistplätze.

Schade, denn schaut man ihnen zu, haben sie wirklich noble Züge.

Ein Spatz wird, wenn er auf eine Nahrungsquelle stößt, seine Schwarmgenossen rufen, ehe er beginnt zu fressen. - Es sei denn, es ist so wenig, dass es nur für einen reicht. Spatzen leben streng monogam (was nicht heißt, dass alle Eier eines Geleges vom selben Spatzenhähnchen sind) und es sammeln sich friedlich bis zu 50.000 Individuen an gemeinsamen Schlafsammelplätzen, wie man in der Nähe von Kairo zählen konnte.

Entgegen ihres Rufs erwiesen sich sich gelegentlich durchaus als musikalisch. Es wurde beobachtet, wie ein Spatzentrüppchen Kieselsteine von einem Dach auf eine Klapptür und den Zementboden daneben warf und - die Köpfchen schief haltend - gespannt den Klängen lauschten. Andere Spatzen pochten immer wieder mit dem Schnabel gegen Isolatoren aus Porzellan und "erzeugten damit minutenlang Serien von klingenden Tönen", schreibt Jette Anders.

Vincent van Gogh und Franz Marc haben Spatzen gemalt – tote Spatzen. Chiffren für die Vergänglichkeit des Lebens. Clemens von Brentano hat ihnen ein Gedicht gewidmet und Gisela von Arnim ein Märchen. Einen geradezu höflichen Umgang pflegte im 17. Jahrhundert der japanische Dichter Bashô: Der Haiku-Künstler dichtete:

Die Bremse auf der Blüte
Friss sie nicht!
Freund Spatz.

Jette Anders: "Allerweltsvogel. Eine kleine Kulturgeschichte der Spatzen.", Vergangenheits Verlag Berlin 2017, ISBN 978-3864082214, 14,99 Euro