Neujahrsansprache der Kanzlerin – überraschend humanistisch

Im Internet ist schon vor der Ausstrahlung eine schriftliche Fassung der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin aufgetaucht. Hier gibt sich die Kanzlerin überraschend humanistisch: Sie lobt die Öffnung der Ehe für alle, mahnt vor einer sich ausbreitenden Wissenschaftsfeindlichkeit und stellt sogar die Aufhebung der Kirchenprivilegien in Aussicht. Ob es sich tatsächlich um die Worte der Kanzlerin handelt, ist jedoch fraglich. Zweifler vermuten, dass es sich um eine dreiste Fälschung von zwei hpd-Autoren handelt.

Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger,

hinter uns liegt ein Jahr tiefgreifender Veränderungen. Es war ein Jahr, das viele Höhen und Tiefen für uns bereithielt. Gemeinsam mit Ihnen will ich einiges Revue passieren lassen und einen Blick in die Zukunft werfen. Ich möchte damit beginnen, an einen meiner persönlichen Lichtblicke des vergangenen Jahres zu erinnern: Die Öffnung der Ehe für alle, die 2017 im Bundestag beschlossen wurde, war ein wichtiger Schritt in Richtung einer offeneren Gesellschaft und ein Triumph für die Liebe. Ich selbst habe, wie Sie sicher wissen, noch im Juni mit "Nein" votiert. Das sehe ich heute durchaus anders. Nachdem ich in den vergangenen Monaten mein Gewissen befragt habe, musste ich einsehen, dass es schlicht kein gutes Argument gegen diese längst überfällige politische Entscheidung gibt.

Doch wir haben 2017 auch Entwicklungen erlebt, die mich sehr besorgt stimmen. Wir mussten mit ansehen, wie weltweit eine "Politik der alternativen Fakten" um sich greift und die Freiheit der Wissenschaft und das Streben nach Wahrheit ernsthaft bedroht. In den Vereinigten Staaten fördert Präsident Trump ein Klima der Ablehnung gegenüber wissenschaftlich fundierten Fakten. Er leugnet öffentlich den menschenverursachten Klimawandel und beruft sich auf wissenschaftlich längst widerlegte Thesen von Impfgegnern. In der Türkei wurde derweil die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen für Schulen gestrichen und durch kreationistische Inhalte ersetzt. Und auch in Deutschland sind gefährliche Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit auf dem Vormarsch. Angesichts dieser Entwicklungen möchte ich allen danken, die sich 2017 am weltweiten "March for Science" beteiligt haben. Wie die vielen Menschen, die auch in Deutschland für die Freiheit der Wissenschaft auf die Straße gegangen sind, bin auch ich der Ansicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind.

Am 24. September haben Sie ein neues Parlament gewählt. Mit der AfD ist nun eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen, die eine rückwärtsgewandte und gewissenlose Politik betreibt. Vielleicht ging es Ihnen ähnlich wie mir und Sie waren an diesem Tag der Wahl traurig und entmutigt. Umso wichtiger ist es, dass wir uns nun der Prinzipien einer offenen Gesellschaft bewusst werden und diese verteidigen. Lasst uns im neuen Jahr gemeinsam – jeder nach seinen Möglichkeiten – für Freiheit, für Gleichheit, für Individualität, Rationalität und Säkularität einstehen. Lasst uns gemeinsam verhindern, dass die rhetorischen Grenzüberschreitungen der Rechtspopulisten noch mehr Hass und Ausgrenzung schüren. Ebenso entschieden sollten wir gegen den politischen Islam Stellung beziehen, der die zivilisatorischen Errungenschaften der Aufklärung ablehnt und bekämpft. Deutlicher als zuvor müssen wir klarstellen, dass religiöser Fanatismus keinen Platz in unserer Gesellschaft findet. Denn nur mit einem klaren Bekenntnis zum säkularen Rechtsstaat und den Menschenrechten kann ein freiheitliches und friedliches Leben in einer transkulturellen Gesellschaft gelingen.

Auch außenpolitisch sollten wir uns unmissverständlich für die universelle Geltung der Menschenrechte einsetzen. Im Iran versammeln sich derzeit tausende Menschen, um gegen das totalitäre Mullah-Regime zu protestieren und ihren Unmut über die politischen Zustände zu artikulieren. Wir stehen auf der Seite dieser mutigen Menschen, die Unterdrückung und Gewalt nicht mehr hinnehmen. Unsere Solidarität gilt allen, die sich von den Ketten des Gottesstaates befreien wollen. 

»Ich habe mir vorgenommen, mich künftig stärker für eine konsequentere Trennung von Staat und Kirche einzusetzen.«

Der Silvesterabend ist für viele Menschen traditionell der Zeitpunkt, an dem man seine guten Vorsätze für das neue Jahr fasst und mit Freunden und Familie teilt. Auch ich möchte Ihnen heute meine Vorhaben für das kommende Jahr mitteilen. Es mag Sie überraschen, aber ich habe mir vorgenommen, mich künftig stärker für eine konsequentere Trennung von Staat und Kirche einzusetzen: Die Aufhebung von Kirchenprivilegien, eine Änderung des gängigen Besteuerungrechts von Kirchen und die Ersetzung des konfessionellen Religionsunterrichts an deutschen Schulen durch einen allgemeinverbindlichen Ethikunterricht sind politische Projekte, die mir sehr am Herzen liegen. Mir ist klar, dass solche Vorhaben auf Unmut und Gegenwehr der Kirchenvertreter stoßen, aber ich habe verstanden, wie viele Menschen in Deutschland meine Ansichten teilen. Noch einen guten Vorsatz für das neue Jahr möchte ich mit Ihnen teilen: Mich hat der Fall um die Gießener Ärztin Kristina Hänel in den vergangenen Wochen sehr bewegt. Weil sie ein medizinisches Informationsangebot zum Thema Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung gestellt hatte, wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt. Dass es diesen Paragrafen aus der Nazi-Zeit überhaupt noch gibt, finde ich einfach skandalös. Ich möchte Ihnen deshalb versprechen, mich dafür einzusetzen, dass dieser Paragraf aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.

Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger,

an dieser Stelle habe ich Ihnen in den vergangenen Jahren stets Gottes Segen gewünscht. Mit Blick auf die wachsende Anzahl von Nicht-Gläubigen, von Atheisten, Agnostikern, Konfessionsfreien und Freidenkern will ich diesmal auf diese Formulierung verzichten. Stattdessen wünsche ich Ihnen und Ihren Liebsten, frei nach Platon, alles Wahre, Schöne und Gute für das neue Jahr!