Hinweise zu einem paradoxen Rechtsinstitut

Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts?

Im Zusammenhang mit der Verleihung der Körperschaftsrechte an den Berlin-Brandenburgischen Landesverband des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD BB) stellt sich die Frage, was der Status als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" (K.d.ö.R.) juristisch bedeutet. Für den hpd hat Dr. Gerhard Czermak eine Einführung verfasst.

Rechtliche Grundlagen

Der Körperschaftsstatus wird garantiert in Art. 137 V der Weimarer Reichsverfassung (WRV) in Verbindung mit Art. 140 GG: "Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten …". Wegen Art. 137 VII WRV/140 GG gilt die – reichlich unklare und daher sehr umstrittene – Vorschrift auch für Weltanschauungsgemeinschaften. Aus Art. 137 V WRV ergibt sich, dass die großen christlichen Kirchen 1919 automatisch den Körperschaftsstatus behielten, während alle anderen ihn bei den damals wie heute nach Art. 137 VIII WRV allein zuständigen Ländern erst beantragen mussten. Die Anerkennungsvoraussetzungen (Mitgliederzahl, Gewähr der Dauer) sind nirgendwo gesetzlich geregelt, die Länderpraxis der Anerkennung ist meist großzügig.

Das BVerfG hat 2000 genau die Gesichtspunkte erläutert, die bei der Frage der Gewähr der Dauer zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt nur die ungeschriebene Verfassungsforderung nach Rechtstreue. Eine besondere Staatsnähe wird heute nicht mehr verlangt. Eine Gemeinwohldienlichkeit kann nicht gefordert werden, zumal es dafür keine tragfähigen Kriterien gibt. Unbezweifelbar ist vor allem, dass der Körperschaftsstatus mit demjenigen der weltlich-rechtlichen Körperschaften wie Gemeinden, Handwerkskammern usw. nicht vergleichbar ist. Diese unterliegen voll dem staatlichen Recht, das diesen Körperschaften auch eine eigene staatsgleiche Rechtsetzungsbefugnis einräumen kann. Die körperschaftlichen Religionsgemeinschaften sind dem Staat hingegen nicht eingegliedert und verwalten sich selbst, auch durch eine eigene interne Rechtsordnung. Ansonsten bedeutet der besondere Status nur, dass er grundsätzlich dem Öffentlichen Recht zugeordnet ist. Dieses hat aber keinen höheren Rang als das sonstige staatliche Recht, etwa Zivil- und Strafrecht.

Zur Rechtspraxis und Lehre

Die ganz herrschende Rechtsmeinung (h. M.) ordnet den Religionskörperschaften öffentlich-rechtliche Befugnisse zu. In der Verfassung ist aber nur das Recht der Erhebung der Mitgliedsbeiträge unter Zuhilfenahme staatlichen Zwangs geregelt (Art. 137 VI WRV, "Kirchensteuer"). Außerhalb der vom BVerfG aufgestellten Regeln ist alles umstritten. Meist spricht man den Religionskörperschaften neben dem Besteuerungsrecht folgende öffentlich-rechtlichen Befugnisse zu: Dienstherrenfähigkeit mit Disziplinargewalt, Widmungsbefugnis (Recht, Gegenstände als sakral zu widmen und damit dem normalen Rechtsverkehr zu entziehen), Parochialrecht (Recht, die Mitgliedschaft automatisch nach dem örtlichen internen Recht zu bestimmen; "Möbelwagenkonversion"), öffentliche Friedhöfe zu betreiben, Konkursunfähigkeit. Der Wortlaut des GG (Art. 137 V WRV/ 140 GG) gibt dazu nichts her.

Das innerstaatliche Recht in Bund und Ländern knüpft in zahllosen Gesetzen an den Körperschaftsstatus Sonderregelungen an, die sich nicht aus dem GG ergeben und als "Privilegienbündel" bezeichnet werden. Es geht um Regelungen zu Beurkundungen, Datenübermittlung, Rechtsverkehr, Sozialwesen, Amtshaftung, Dienstbefreiung, Drittsenderecht, Rundfunkräte, Gebührenermäßigungen und – auch faktische – Vergünstigungen aller Art (herausragend: Kirchentagsfinanzierung). In großem Umfang werden finanzielle Zuschüsse mit dem Körperschaftsstatus verbunden.

Kritik

Ein erheblicher Teil dieser Vergünstigungen ist mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz des GG (Art. 3 I) nicht oder kaum zu rechtfertigen, was nur selten problematisiert wird und einer umfangreichen kritischen Einzelprüfung bedürfte. Die Verschiedenbehandlung von K. d. ö. R. und privatrechtlichen Religionsgemeinschaften (die einem modifizierbaren Vereinsrecht unterliegen) dürfte regelmäßig nicht zu rechtfertigen sein. Denn sie haben denselben verfassungsmäßigen Grundstatus: alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können sich auf die Religionsfreiheit (Art. 4 I, II GG) berufen, allen steht das Selbstverwaltungsrecht (Art. 137 III WRV) zu, alle können grds. Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht abhalten. Auch kann man nicht die zivilrechtlichen Religionsgemeinschaften im Gegensatz zu den Körperschaften vom Betreiben eigener Friedhöfe einfach ausschließen. Es sind sowohl große zivilrechtliche als auch recht kleine und relativ unbedeutende körperschaftliche Religionsgemeinschaften, was einer Ungleichbehandlung regelmäßig entgegenstehen dürfte.

Neuerdings wurde der Körperschaftsstatus in einer etwa 700-seitigen Monographie kritisch untersucht. Verfassungsrechtlich ist demnach das nach 1949 entstandene Verständnis des Art. 137 V WRV nicht zu rechtfertigen. Mit dem Körperschaftsstatus verband die Weimarer Nationalversammlung nämlich eindeutig keine inhaltlichen Garantien. Der völlig ungeklärte Begriff diente nur dem Zweck, als Anknüpfungspunkt für die Kirchensteuer zu dienen und zu vermeiden, dass die Kirchen auf die gleiche Ebene wie etwa Sportvereine gestellt werden. Die inhaltliche Ausgestaltung sollte durch Art. 137 VIII WRV durch die Landesgesetzgebung erfolgen. Zu Unrecht hat man daher die meisten heute etablierten konkreten Körperschaftsrechte zu verfassungsunmittelbaren Garantien umgedeutet.  

Motivation, den Körperschaftsstatus nach Art. 137 V WRV/140 GG zu beantragen

Die meisten privaten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften beantragen den Sonderstatus nicht, weil sie "Kirchensteuer" erheben wollen. Alle für die Religionsausübung und Verwaltung notwendigen Befugnisse haben sie ohnehin schon. Staatlichen Weltanschauungsunterricht dürfen sie schon bisher erteilen. Es gibt im Wesentlichen folgende Motive zur Anerkennung nach Art. 137 V WRV:

  1. Man will einen Ansehensvorteil erreichen, weil der öffentlich-rechtliche Status in der Öffentlichkeit und Teilen der Verwaltung rein tatsächlich (wenn auch rechtlich nicht begründet) mit besonderer Seriosität, Zuverlässigkeit und Würdigkeit verbunden wird.
  2. Man will dieselben, oft verfassungsrechtlich zweifelhaften oder klar verfassungswidrigen Privilegien haben wie insbesondere die Kirchen, anstatt auf ihre Abschaffung oder Reduzierung zu pochen.
  3. Man will Diskriminierungen vermeiden und erhofft sich in den Gemeinden und der öffentlichen Verwaltung ein gewisses Entgegenkommen bzw. neutrales Verhalten.
  4. Es ist eine praktische Frage, ob man eine Ansehenssteigerung für nötig und wahrscheinlich hält und eine Gewissensfrage, ob man auch fragwürdige Vergünstigungen in Anspruch nehmen will.

Abschließend kann man feststellen, dass der Status der K. d. ö. R. auch nach h. M. aus Gründen der Religionsfreiheit nicht erforderlich ist. Seine Abschaffung würde zahllose Probleme beseitigen. In diesem Zusammenhang müsste das Recht der Religionsgemeinschaften aber generell neu geregelt werden.


Rechtsprechungshinweise:

BVerfGE 83, 341 (Bahá’í), 1991; dazu ausf. https://weltanschauungsrecht.de/2-BvR-263-86

BVerfGE 102, 370 (Zeugen-Jehova-Urteil), 2000; dazu ausf. https://weltanschauungsrecht.de/2-BvR-1500-97