Der Kultur- und Politikwissenschaftler David Ranan legt mit seinem Buch "Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?" eine Auswertung von 70 Interviews mit höher gebildeten Muslimen zum Thema vor. Auch wenn immer wieder reflexionswürdige Anmerkungen gemacht werden, neigt der Autor doch häufig zu etwas vorschnellen kritischen Verallgemeinerungen.
"Antisemitismus unter Muslimen" gehört zu den sehr emotional diskutierten Themen. Dies hängt nicht selten mit ideologisch-politischen Implikationen zusammen, welche die gemeinte Judenfeindschaft dramatisieren, vereinseitigen oder verharmlosen. An breiterer Forschung fehlt es dazu. Es existieren nur wenige quantitative Studien, dafür aber mehr qualitative Untersuchungen, welche aber von ihrer Anlage her keine Repräsentativität beanspruchen können.
Der Kultur- und Politikwissenschaftler David Ranan, gegenwärtig Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, hat eine weitere Studie in diesem Sinne vorgelegt. Sein Buch "Muslimischer Antisemitismus – Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?" präsentiert die Auswertung von 70 Interviews mit Muslimen. Er will darin deren Blickrichtung auf die Juden, Israel und den Nahost-Konflikt dokumentieren und kommentieren: "Mein Ziel war es, Erkenntnisse über das Denken, die Meinungen, eventuell auch Vorurteile der Interviewpartner über Juden zu gewinnen" (S. 88).
Zunächst geht der Autor aber auf die Definitionsproblematik ein und beklagt das Fehlen eines allgemeinen Konsenses über das Antisemitismus-Verständnis. Die Defizite an den kursierenden Begriffsbestimmungen führt er auf das Engagement von Lobbygruppen zurück, welche dabei ihre konkreten Interessen artikulierten und Israel-Kritik diskreditierten. Dem folgen kritische Betrachtungen zu einigen Umfragen zum Antisemitismus, auch jeweils bezogen auf einige genutzte Items zum israelfeindlichen Komplex einschlägiger Vorurteile. Danach erläutert Ranan seine eigene Untersuchungsmethode, wozu auch die Auswahl der Interviewpartner zählt. Diese entsprechen nicht dem Durchschnitt der Muslime, handelt es sich doch um Graduierte und Universitätsstudenten. Welche Auffassung sie von angeblicher "jüdischer Macht" haben und was diese für das Bild vom Nahost-Konflikt bedeuten, veranschaulicht Ranan dann anhand von zahlreichen längeren Auszügen aus den Gesprächen, wo in den Formulierungen einschlägige Vorurteile deutlich werden.
Bilanzierend konstatiert er: "Die von mir geführten Interviews (…) zeigten, a. ein Repertoire von Stereotypen, Vorurteilen und Verschwörungstheorien; b. dass bei den Interviewpartnern, auch wenn sie gläubig waren, der Koran keine Rolle für die Meinung über Juden spielte; c. wie zentral der Nahost-Konflikt für die Meinungen über und die Einstellungen zu Juden ist; d. wie verbreitet die Verwechslung der Begriffe Jude, Zionist und Israeli ist" (S. 200f.). Meist würde es sich nicht um getarnten Antisemitismus handeln, wenn Muslime anders als einige Nichtmuslime negativ über Israel oder die Zionisten sprächen. Bezogen auf die Frage nach der Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden im Untertitel heißt es, der muslimische Antisemitismus sei keine solche, aber sehr wohl unangenehm. "Doch könnte die Art", so Ranan, "in der man den Nahost-Konflikt wie auch sporadische antijüdische Eruptionen manipuliert, dazu führen, dass daraus tatsächlich eine Gefahr entsteht" (S. 209). Man solle nicht den Antisemitismus als Schreckgespenst an die Wand malen.
Die dokumentierten Aussagen, die eben von formal höher Gebildeten stammen, machen aber durchaus die Existenz von stark entwickelten antisemitischen Vorurteilen deutlich. Mitunter passen daher die Bewertung und die Zitate nicht immer zusammen. Bei der Einschätzung des Gefahrenpotentials bleibt Ranan auch sehr allgemein und lässt sich alle möglichen Optionen offen. Es gibt indessen eine Fülle von bedenklichen Vorfällen, welche auch die Ängste in den jüdischen Gemeinden nachvollziehbar machen. Der Autor formuliert häufig sehr kritisch, aber auch verallgemeinernd. So werden die Defizite bei Begriffsbestimmungen auf Interessen von Lobbygruppen zurückgeführt, was sicherlich teilweise zutreffen mag, aber so pauschal sicherlich zu einfach zugespitzt ist. Der Autor bringt darüber hinaus eine interessante Kritik an manchen Studien, neigt aber auch hier wieder zu schnellen Verallgemeinerungen. Gern hätte man mehr von seinen Argumenten dazu gelesen. Insofern vermittelt das Buch bzw. die Studie einen eher ambivalenten Eindruck. Manche Kritik macht aber Reflexionen nötig.
David Ranan, Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?, Bonn 2018 (J.H.W. Dietz-Verlag), 222 S. ISBN 978-3-8012-0524-9, 19,90 Euro
3 Kommentare
Kommentare
Peter Müller am Permanenter Link
Als nächstes bitte den jüdischen Antiarabismus untersuchen. Da gibt es auch sehr viel aufzuarbeiten und man sollte doch immer beide Seiten der Medallie sehen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Als nächstes bitte den jüdischen Antiarabismus untersuchen."
Das ist in jedem Fall nicht verkehrt. Wobei auch die Araber Semiten sind. Letztendlich ist der ganze Nahost-Konflikt ein innerfamiliärer Streit, der ohne monotheistische Religion nicht stattfände. Denn die ist das einzige Kriterium, das die Semiten in der Region unterscheidbar macht...
Thomas Baader am Permanenter Link
Jüdischer Antiarabismus? Ernsthaft?