Horst Junginger, Professor für Religionskritik, kritisiert Karlheinz Deschners Ansicht, die katholische Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen und stuft diese Meinung als "wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben" ein. Man sähe an diesem Beispiel aber auch, wie notwendig es sei, "seine Quellen kritisch zu hinterfragen und den Stellenwert der darauf aufbauenden Interpretation an diese Prüfung zu koppeln".
Nun, wenden wir uns den Quellen und den historisch-wissenschaftlich, wenngleich gerne unterdrückten Belegen zu, die für die "unsinnige Auffassung" von der Verfälschung des Christentums durch den Katholizismus grundlegend sind. Lassen wir aus Zeitgründen weg, dass die katholische Kirche nicht im Jahre 1 entstand, sondern am 28. Februar 380, als der römische Kaiser Theodosius in seinem Erlass Cunctos populos und in weiteren Erlassen alle nicht-katholischen Varianten für wahrhaft toll und wahnsinnig erklärt, den heidnischen Staatskult verbietet und die Nichtbefolgung der Erlasse mit harten Strafen bis zur Todesstrafe bedroht.
Lassen wir dies und den Codex Justinianus nebst sechzig anti-jüdischen, anti-heidnischen und anti-häretischen Erlassen weg, die wahrhaftig kein Beleg für die urchristliche "Feindesliebe" sind. Beachten wir nicht, dass im Jahre 385 in Trier die ersten Todesurteile gegen häretische Bischöfe exekutiert werden, die an ein Ur-Christentum glauben wollten, aber nicht an die katholische Kirche. Beachten wir die anti-christliche Rechtfertigung der Gewalt durch Augustinus nicht: "Wenn deshalb die Kirche (…) jene in ihren Schoß einzutreten zwingt, die sie auf den Wegen und an den Hecken findet, das heißt unter den Schismen und Häresien, so sollen sich jene nicht beklagen, dass man sie gezwungen hat."1 Wenig später schreibt Gregor I.: "Wenn ihr feststellt, dass sie (die Nichtkatholiken) nicht gewillt sind, ihr Verhalten zu ändern, so befehlen wir, dass ihr sie mit größtem Eifer verfolgt. Sind sie unfrei, so züchtigt sie mit Prügeln und Folter, um sie zur Besserung zu zwingen. Sind sie aber freie Menschen, so sollen sie durch strengste Kerkerhaft zur Einsicht gebracht werden, (…) damit jene, die sich weigern, die Worte der Erlösung anzunehmen, welche sie aus den Gefahren des Todes erretten können, durch körperliche Qual dem erwünschten gesunden Glauben zugeführt werden."2
Wenden wir uns den Geistesgrößen zu, die nach Auffassung von Horst Junginger "wissenschaftlich unsinnig" argumentieren und "historisch vollkommen daneben" liegen: Heinrich Heine erzählt in seiner Geschichte der Religion und Philosophie, "was das Christentum ist und wie es römischer Katholizismus geworden" sei3 und wiederholt damit Luthers Thesen, dass der institutionelle Katholizismus nicht das eigentliche Christentum widerspiegele. Eine Religion, schreibt Max Weber, die den Ungläubigen und Ketzern nur die Wahl zwischen Konversion und ausgerottet werden lässt4 und die grausamste Instrumente zur Folterung und Tötung nicht genehmer Glaubensrichtungen erfindet, kann unmöglich mit der Religion der Nächstenliebe identisch sein.5 Friedrich Nietzsche spricht vom Sterbebett des Christentums (Morgenröthe) und erklärt kurz und bündig, das Christentum Jesu sei "unter die Mörder gefallen". Und selbst theologisch argumentierende Kirchenkritiker (Erich Seeberg, Peter Meinhold, Ernst Benz) meinen einen Verfallsprozess des Christentums zu sehen. Erich Kästner meint, der liebe Gott sei aus der Kirche ausgetreten, und auch Goethe, wahrlich kein Atheist, drückt seine Abneigung gegenüber der Kirche und dem "Marterholz" unverblümt aus: "Dem Mittelpunkte des Katholizismus mich nähernd (…) trat mir so lebhaft vor die Seele, dass vom ursprünglichen Christentum alle Spur verloschen ist; ja, wenn ich mir es in seiner Reinheit vergegenwärtige, so wie wir es in der Apostelgeschichte sehen, so mußte mir schaudern, was nun auf jenen gemütlichen Anfängen ein unförmliches, ja barockes Heidentum lastet."6
Deutlich und unmissverständlich wird der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski (1821–1881), der den Abstand der katholischen Kirche zum Ursprünglichen in seiner Novelle Die Brüder Karamasow beschreibt: Der Großinquisitor, oberster Glaubenshüter der Kirche, macht Jesus, der auf die Erde zurückgekehrt ist, klar, dass man ihn nicht mehr brauche: "Wir haben deine Tat verbessert, und sie auf das Wunder, auf das Geheimnis und auf die Autorität gegründet. Und die Menschen freuten sich, dass sie wieder wie eine Herde geleitet wurden. (…) Warum bist du denn jetzt gekommen, uns zu stören? (…) Wir sind schon seit langer Zeit nicht mehr mit dir im Bunde."
Viele große Geister haben so gedacht. Ebenso viele haben unter der Gehirnwäsche einer tausendjährigen Tradition und unter dem Federkleid frommer Sprüche Christentum und Katholizismus gleichgesetzt. Haben eine ursprüngliche Idee nicht begriffen und "Äußerlichkeiten für die Hauptsache gehalten" (Heine). Haben gutgläubig ursprüngliches Christentum und Katholizismus gleichgesetzt, obwohl schon ein Laie mit geringem Aufwand die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Lukas- und Matthäus-Evangelien einerseits und dem Handeln der katholischen Kirche erkennen kann.
Der Nationalökonom Max Wirth schreibt dazu Ende des 19. Jahrhunderts, als die Kirche noch bemerkenswert unbefangen kritisiert werden konnte: "In demselben Maße, in welchem sich von jetzt an die (kirchliche) Hierarchie emporgipfelte und in der unumschränkten Gewalt des Papstes sich ausspitzte, in demselben Maße entfernte sich die Kirche von der reinen Christuslehre. (…) So wie die Kirche in ihrer äußeren Organisation von dem reinen Christentum sich entfernte, ebenso wurde ihr auch dessen Kern, die Moral, Nebensache."7 Der Religionswissenschaftler Carl Schneider ergänzt: "Die brutale, kompromisslose Grausamkeit der Christen, und zwar ihrer geistigen Führer (…) gegen Nichtchristen, Häretiker, Juden, selbständig Denkende, habe in der gesamten antiken Religionsgeschichte keine Parallele."8 Eine "Deformation zu einem totalitären Herrschaftsgebilde" sei es, meint Emil Brunner, Professor für Systematische und Praktische Theologie an der Universität Zürich, "wo jeder Schritt vorwärts in Wirklichkeit ein Schritt von der Wahrheit weg" sei.9 "Da haben wir es also", kommentiert Nietzsche in einer beispiellosen Philippika, "eine kirchliche Ordnung mit Priesterschaft, Theologie, Kultus, Sakrament; kurz, alles das, was Jesus von Nazareth bekämpft hatte."
Kirchenhistoriker meinen, die Schandtaten müssten an den "Wertmaßstäben ihrer Zeit" gemessen werden. Da haben sie recht. Aber: Die damaligen Wertmaßstäbe wurden von der katholischen Kirche und nicht von den Kaisern gesetzt. Die Kirche bestimmte, was gut und schlecht war, was gedacht werden durfte, ob Sex am Freitag erlaubt war und wie die Strafen für Abweichungen auszusehen hätten. Es war der Katholizismus, der dem Mittelalter ein Wertesystem überstülpte, dem sich alle, vom Köhler bis zu Kaiser, unterwarfen.
Der Kirchenhistoriker Harm Klueting will dennoch kein Verschulden der Kirche sehen. Er bastelt sich eine eigene Wirklichkeit zusammen und erklärt in unüberbietbarer Borniertheit: "Man komme mir nicht mit Religionskriegen, Schwertmission, Judenmassaker, Ketzerverfolgung oder Hexenverbrennung. Das alles ist mir als Historiker bestens vertraut. (…) Das sind antichristliche Verunstaltungen des Christlichen."10 Da hat er recht: Die katholische Praxis ist eine antichristliche Verunstaltung des Christlichen.
siehe dazu auch:
- Erste Professur für Religionskritik in Leipzig – Religionskritik mit "heiterer Gelassenheit"?
- Replik auf einen hpd-Artikel – "In nach wie vor heiterer Gelassenheit"
- Augustinus, Epistulae 93,5/185,24. ↩︎
- Gregor I., Brief 9. Gregor dürfte sich auf Augustinus (Brief 93,5) berufen haben. ↩︎
- H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1834, 1. Buch. ↩︎
- Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Gesamtausgabe, Teilband 2 „Religiöse Gemeinschaften, 2001, S. 230. ↩︎
- Der Begriff "Religion der Nächstenliebe" ist nur anwendbar, wenn die gelebten Lukas- und Matthäus-Evangelien im Mittelpunkt stehen. Vor allem das Alte Testament mit seinen Auswüchsen bis hin zur Ertränkung der gesamten Lebenswelt trägt nicht zum Begriff der Nächstenliebe bei. ↩︎
- Aus Goethes Tagebüchern, in denen er seine "Italienische Reise" dokumentierte. Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber der katholischen Kirche, stand bei Goethe der Grundgedanke der religiösen Toleranz im Vordergrund, sichtbar am West-östlichen Diwan, mit dem er Brücken zum Islam baute. Kirchenkritiker sind eben nicht zwangsläufig Religionsgegner. ↩︎
- M. Wirth, Deutsche Geschichte im Zeitalter germanischer Staatenbildung, 1862, S. 179-180. ↩︎
- C. Schneider, Geistesgeschichte des antiken Christentums, Bd. II, 1954, S. 333. ↩︎
- E. Brunner, Dogmatik 1964, S. 77. ↩︎
- H. Klueting, Das christliche Gegenmodell, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2011, S. 36. ↩︎
24 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Aus meiner Sicht geschah der entscheidende Wendepunkt 380 u.Z. Nach 70 u.Z. entstand durch die Zerstörung des 2.
Daher wandte sich dieses Urchristentum an Unterprivilegierte, an Sklaven, Arme und Bettler. Dort fand es Zulauf und Verbreitung. Hier mag man die sozialen oder karitativen Wurzeln des Christentums erkennen. Eine Religion für Bettler und sozial Ausgegrenzte, für solche, für die Krieg keine zu überlebende Option war.
Nach 380 u.Z., als diese Ideologie an die Macht kam, änderte sich alles. Der Klerus blähte sich zum Geldhamster auf, während Jesus als Kirchenmaus verarmte. Dieser Bruch mit dem Christentum führte zu einer völlig neuen Religion: dem Katholizismus.
Motive, die ab dem Jahr 70 u.Z. aus älteren Überlieferungen kompiliert wurden und das Urchristentum bildeten, wurden nun noch symbolhafter begriffen und völlig ihres ursprünglichen Zwecks beraubt.
Der löbliche Ansatz, den Opfern des römischen Imperiums selbstlos zu helfen, wandelte sich in den Anspruch des römischen Imperiums, das Volk auszurauben. Die einstigen selbstlosen Helden mutierten zu Symbolen des Rechts auf Ausbeutung derer, denen die Helden geholfen haben sollen.
Für mich ist der Katholizismus sogar antichristlich. Kurioser Weise hat dieses Urchristentum, das in Jesus nur einen Propheten sah, im Islam am originalgetreusten überlebt. Auch dort gehört spenden an Arme zu den Tugenden, zu den Säulen des Islams. Und Jesus durfte Mensch bleiben.
Wäre dieser ursprünglich arianische Ableger des Christentums durch die harte Schule der Aufklärung gegangen, stünde er besser da als die Katholiken, die heute nur deswegen erträglich sind, weil sie die Aufklärung in die Knie gezwungen hat.
Warum nur achtet "Gott" so wenig darauf, dass die Menschen in seinem Namen nicht laufend Blödsinn treiben...
Klaus D. Lubjuhn am Permanenter Link
"Säulen des Islams"... und heute???
Think twice
Hans Trutnau am Permanenter Link
Also ist da so etwas wie eine 'reine Christuslehre', lieber Rolf?
Meine Ethik speist sich seitdem aus evolutionärem Humanismus.
Martin Mair am Permanenter Link
Hannah Arendt hat einen Aufsatz über die Veränderung des Zeitbegriffes, des Geschichtsbegriffes durch die Verschmelzung des Christentums mit dem Römertum beschrieben ... heißt ja auch römisch-katholische Kirche!
Ottokar am Permanenter Link
Im letzten Satz möchte ich einmal einhaken.
Er sagt nämlich, dass die Christen eigentlich besser sind als ihr Ruf und ihr Ruf eigentlich von der katholischen Kirche geschädigt wurde.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Meine Rede!
Roland Weber am Permanenter Link
Historisch gab es weder einen jüdischen und noch einen römischen Freilassungsanspruch und auch keine Vollmacht eines Hohepriesters für einen Paulus irgendwen im Ausland (Damaskus!) festzunehmen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Man sollte in diesem Zusammenhang beachten, dass schon Paulus das Christentum ganz stark in Richtung Staatsreligion verändert hat.
Roland Weber am Permanenter Link
Hallo Roland,
Roland Weber
Roland Fakler am Permanenter Link
@Roland Weber Lieber Roland,
bitte um genauere Angaben. „Roland Weber Garten Parks“, kann’s wohl nicht sein?
Roland Weber am Permanenter Link
Hallo, über Ihre Bücher will ich mich gerne informieren. Von mir können Sie: 1. "Denken statt glauben - Wie das Christentum wirklich entstanden ist", und 2.
Roland Fakler am Permanenter Link
@Roland Weber Lieber Herr Weber, in ihren Büchern entwickeln sie eine interessante These, aber dem widersprechen die Briefe von Paulus und die apokryphen Evangelien.
Wir können aber auf meiner Facebookseite gerne diskutieren: https://www.facebook.com/roland.fakler oder per E-Mail rolandfakler@gmx.de
Soviel ich weiß, hat Herr Kammermeier das Buch gelesen und teilt ihre Ansichten. Wäre noch besser, wenn er darüber einen Bericht für den HPD schreiben und wir dann diskutieren könnten. Ich bin da eher skeptisch. Warum sollte der Rebell Jesus nicht gelebt haben? Natürlich kamen die Wunder und die Vergöttlichung, vor allem die Sinnfindung für seinen sinnlosen Tod durch Paulus viel später. In meinem Buch habe ich mich mit vielen Biografien und einem Dutzend Jesusbiografien beschäftigt, unter anderem von Barth D. Ehrman, The historical Jesus; Deschner; Murphy, Catherine M. The historical Jesus; …Das alles wäre für mich aber nicht unbedingt überzeugend, am überzeugendsten ist für mich die Tatsache, dass hier die Geschichte eines realen Mannes erzählt wird, der nicht unfehlbar ist, der Angst hatte und der das typische Tauziehen ausgelöst hat, das man nur bei realen Persönlichkeiten findet. Davon handelt mein Buch: „Von Verfolgern und Verfolgten“. Hinter den Evangelien erkennt man einen Mann, der von sich sehr überzeugt war, der sich wohl für den lange erwarteten Messias gehalten hat, der dadurch auch ein Tauziehen ausgelöst hat. Wer sich groß macht, wird erniedrigt. Er hat sich durch seine Kritik am jüdischen Establishment die Feindschaft des Hohen Priesters zugezogen und durch seinen Anspruch „König der Juden“ zu sein, die Feindschaft der Römer. Das ist eine sehr überzeugende Geschichte. Bestätigt werden die Örtlichkeiten dieser Geschichte im neuesten Spiegelartikel Nr. 14/31.3.2018
Herzliche Grüße Roland Fakler
Roland Weber am Permanenter Link
Lieber Herr Fakler,
Ihre Bücher werde ich lesen. Ich habe dabei schon gesehen, dass Sie an einen historischen Jesus und Paulus glauben. Aber das tun ja die allermeisten Christentumskritiker.
Mit besten Grüßen
Roland Weber
Roland Fakler am Permanenter Link
@ Roland Weber
Lieber Herr Weber,
Ich werde ihr Buch noch lesen! Vorher noch folgende Anmerkungen:
Roland Weber am Permanenter Link
Hallo Herr Weber,
Ihr "Von Verfolgern .." habe ich jetzt fast zur Hälfte gelesen und will dieses auch gerne rezensieren. Auch Ihnen sind einige Merkwürdigkeiten aufgefallen (Gottesreich kommt doch nicht; Paulus zitiert nie Jesus direkt etc.), für die ich zumindest ganz plausible Erklärungen anbieten kann. Man muss nur einmal alles konsequent "durchdenken". Wie oben erwähnt: Nie gab es einen "Freilassungsanspruch" und damit auch keine "jüdische Schuld". Nie gab es eine Vollmacht für einen Paulus, irgendwen in Damaskus festzunehmen. Schon diese beiden vollkommen unhistorischen Beispiele "offenbaren" für einen mutig Weiter-Denkenden, "dass da etwas ganz und gar nicht stimmt!"
Alfred Farkas am Permanenter Link
Ohne Sorgfalt
Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, daß Rolf Bergmeier äußerst nachlässig schreibt (Rechtschreibung, Grammatik, Stil), daß seine Bücher überaus schlampig redigiert sind (Korrektorat, Lektorat). Den Vogel schossen Autor und Verlag (Tectum) mit dem Buch "Karl der Große - Korrektur eines Mythos" ab. Es strotzt nur so von Fehlern (erste Auflage)!
Wenn ein Schriftsteller seiner (formellen) Sorgfaltspflicht nicht nachkommt, wenn ein Verlag sein Handwerk nicht versteht ... Mehr Inkompetenz (um nicht zu sagen: Dilettantismus) im Hinblick auf das Verlegen eines Buches ist kaum vorstellbar.
Auch Bergmeiers "Replik auf die Replik von Horst Junginger" (der Dativ ist dem Genitiv sein Feind?) fällt ungepflegt aus. So folgt einem "einerseits" kein "anderseits/andererseits", Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" wird als Novelle bezeichnet ... Warum? Weil das Wort "aus" fehlt. (Mit Novelle meinte Bergmeier - hoffentlich - die im Roman von Iwan verfaßte Legende vom Großinquisitor.)
All das ist umso ärgerlicher, als Bergmeier inhaltlich durchaus richtig, nicht falsch liegt. Zum einen verärgert die Hudelei ein aufgeschlossenes Lesepublikum (nicht zuletzt diejenigen Leser, die seine Bücher kaufen). Zum anderen bietet ein derart pfuscherhaftes Werk überflüssige Angriffsflächen. Hand aufs Herz: Man kann es Rezensenten nicht verdenken, wenn diese - ohne böse Absicht - von der Form auf den Inhalt schließen. Mit dem Gehudel verderben Sie Ihr Werk, Herr Bergmeier! Sie selbst!
Merke: Gelehrtheit spiegelt sich in Redlichkeit hinsichtlich des Inhalts (sine ira et studio) und Sorgsamkeit hinsichtlich der Formalitäten wider. Auch nur formaler Murks kann ein Werk verderben, zu einem Machwerk machen! Geben Sie bigotten Kritikern keinen Anlaß zur Ablenkung!
Gabriele Röwer am Permanenter Link
„Abfall des Katholizismus vom Christentum“?
Dank an Rolf Bergmeier und Bernd Kammermeier für die Abgrenzungen zwischen Kirche und Urchristentum (vgl. auch die von Karlheinz Deschner herausgegebene sehr instruktive Anthologie „Das Christentum im Urteil seiner Gegner", 1969/1972; gekürzte einbändige Ausgabe bei Hueber 1986).
Dennoch erinnere ich erneut (wie u.a. in https://hpd.de/artikel/religionskritik-heiterer-gelassenheit-15235) an Deschners Kritik schon der Grundlagen christlichen Glaubens in seiner epochalen Frühschrift von 1962 „Abermals krähte der Hahn" mit dem bezeichnenden Untertitel in späteren Auflagen (zuletzt Alibri 2013) „Eine Demaskierung des Christentums von den Evangelisten (!) bis zu den Faschisten".
Deschner übt also keineswegs, wie oft gegen den Verfasser der 10bändigen „Kriminalgeschichte des Christentums" (1986-2013) behauptet, Kritik nur an der Verkehrung urchristlicher Friedens- und Armuts-Ethik durch klerikale Potentaten seit Konstantin ins krasse Gegenteil, inbegriffen die Verfolgung von später zum Feigenblatt mutierenden Kritikern (der von Junginger zu Unrecht bei Deschner vermissten „guten Christen“).
Nicht minder wichtig war ihm zeitlebens die Demaskierung der Anfänge (!) christlichen Glaubens bereits im Neuen Testament, die Darlegung seiner Ursprünge durchweg im Synkretismus des Mittelmeerraumes – wie in jenem umfangreichen quellenbasierten Frühwerk von 1962, so auch später noch in „Der gefälschte Glaube – Eine kritische Betrachtung kirchlicher Lehren und ihrer historischen Hintergründe", 1988/1992, und in Bd. III der „Kriminalgeschichte des Christentums", 1990.
Die Ergebnisse historisch-kritischer Forschungen moderner Theologen beider Kirchen akribisch auswertend, ging es ihm darum nachzuweisen, dass „vom periphersten Brauch bis zum zentralsten Dogma“ nichts originär christlich ist, vielmehr durchweg Plagiat aus dem hellenistisch-jüdischen Umfeld, sogar das vermeintlich christliche Proprium der vom synoptischen Jesus verkündeten „Nächstenliebe“.
Denn selbst von einem, offenbar sozial aufrührerischen, Jesus wissen wir nur, Jahrzehnte nach dessen Tod, zudem keineswegs unisono und zunehmend verklärend, durch die Synoptiker, durch Johannes und Paulus. Wiederholt zitiert Deschner daher das Resümee aus Albert Schweitzers „Geschichte der Leben Jesu Forschung" (1913): „Es gibt nichts Negativeres als das Ergebnis der Leben-Jesu-Forschung. Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, das Gottesreich verkündete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert.“
So kommt Deschner zu dem Schluss: „Es gäbe wenige Gläubige auf der Welt, kennten sie ihre Glaubensgeschichte so gut wie ihr Glaubensbekenntnis." Selbst wenn also, so Deschner in der neuzeitlichen „Politik der Päpste" (Neuauflage 2013, S. 866), „dies Institut fast zweitausendjähriger Verbrechen eines Tages, aus welchen Gründen immer, Frieden nicht nur predigen, sondern praktizieren, wenn es dafür leiden, schrumpfen, machtlos würde – es bliebe verächtlich, weil es dogmatisch unwahr ist."
„Abfall des Katholizismus vom Christentum“?
So zweifelsfrei also ist, dass Katholizismus (in seiner jahrhundertelang vorherrschenden klerikal-machtpolitisch verankerten Form) und Ur-Christentum wenig bis nichts miteinander zu tun haben, so zweifelsfrei ist zugleich, dass auch die von uns geschätzten Ideale dieses Ur-Christentums (wie auch spätere dogmatische Fixierungen von einstigen Glaubensvorstellungen) samt und sonders nicht genuin christlichen Ursprungs sind.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Liebe Gabriele Röwer,
ich teile Ihre Ansicht in jedem Ihrer Buchstaben.
Die Ideale des Ur-Christentums können keinen christlichen Ursprung haben, weil es eben keinen christlichen Ursprung gibt. Das Christentum fügt sich nahtlos ohne wesentliche eigene Ideen in die Geschichte des Monotheismus seit dem 6. Jh. v.u.Z. ein - die Gedankenwelt des 1. Jh. schamlos ausbeutend.
In diesem Erbe liegen auch seine wesentlichen Stolpersteine, um in der Moderne anzukommen, weil eine moderne Rechtsordnung in einem säkularen Staat heute keine Ausgrenzung bestimmter Gesellschaftsteile mehr kennt. Doch genau dies ist die "Geschäftsidee" des Monotheismus.
Auch ein "Jesus" hat nicht alle Menschen erlöst (wenn ich dieser Fabel folgen mag), sondern nur die, die ihm folgen - bzw. denen folgen, die Jahrzehnte später das Ur-Christentum formuliert und festgezurrt haben. Das ist weder originell noch menschlich.
Ich persönlich denke, dass eine solidarische Hilfsaktion entstand, als sie entstehen musste: 70 u.Z. lag Jerusalem danieder, der Tempel vernichtet. Vereinzelte Messias versuchten später die Römer zu vertreiben (z.B. Simon Bar Kochba), erfolglos. Not und Leid waren also groß unter den Juden, die teilweise in die Diaspora gingen, dies als Strafe Gottes empfindend.
Selbstverständlich hatten in einer solch schwierigen Zeit alle die Zulauf, die Mitleid zeigten und Hilfe organisierten, die Entrechtete, Sklaven und Arme unterstützten. Da man in jener Zeit am erfolgreichsten war, wenn man seine Hilfe in ein ideologisches Mäntelchen hüllte - wobei dieser Grundsatz bis heute gültig ist, wenn auch die Ideologien andere Namen tragen -, konnte eine Art Ur-Christentum entstehen. Ätiologische Sagen wurden ex eventu erdichtet, als Pseudepigraphen formuliert, um einen göttlichen (damals unverzichtbaren!) Anspruch zu begründen.
Die, die also an das Erscheinen des von den Juden erwarteten Messias glaubten (unterstützt durch erfundene "Zeugnisse"), wurden Christen, die anderen blieben skeptisch und Juden.
In den folgenden Jahrzehnten wurden diesem Urbrei jede Menge Bausteine hinzugefügt, bis die Masse so interessant für die römische Oberschicht war, dass das Christentum zur Staatsreligion erhoben wurde. Schlagartig waren alle solidarischen Hilfsprogramm vergessen und es ging nur noch um Macht. Und diese Macht, gar die absolute Macht, korrumpierte das System absolut, ließ Verbrecher zur Führungselite aufsteigen und die Kriminalgeschichte nahm Fahrt auf.
Daher gilt es heute unter allen Umständen zu verhindern, dass der real existierende Katholizismus jemals wieder die Machtfülle des Mittelalters gewinnt. Als Privatglaube mag er weiter sein Unwesen treiben, aber nach und nach müssen wir ihm seine letzten Privilegien nehmen und schonungslos aufklären, wes Geistes Kind diese Ideologie ist. Dank Karlheinz Deschner haben wir heute hervorragendes Material dafür...
Roland Weber am Permanenter Link
Anerkennung - du kennst dich ja gut aus! Es fehlt nur noch der Schritt zur durchgängigen Römerfreundlichkeit in den Evangelien! Pilatus z.B.
A.S. am Permanenter Link
Am Ende läuft Religion doch immer darauf hinaus, dass die Menschen an Gott glauben sollen, auf das sie den Priestern gehorchen und sie auch noch gut bezahlen.
Der Rest ist Tarnung.
Wolfgang am Permanenter Link
Schwarze Tarnung! Alle Gläubige(Theologen, Politiker und andere Nichtwissende) basteln sich
Gerfried Pongratz am Permanenter Link
Noch ein Goethe:
"Glaubt nicht, dass ich fasele, dass ich dichte,
seht hin und findet mir andere Gestalt;
es ist die ganze Kirchengeschichte,
Mischmasch von Irrtum und Gewalt".
Kay Krause am Permanenter Link
Ich mach's mal kurz, obwohl es viel dazu zu sagen gibt:
Arthur Schnitzler: "Kirche hat auch das Gute, dass man jeden Augenblick fortgehen kann!"
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Religionskritik nach Junginger ist schlimmer als die von konservativen, nach rechtsgerückten Christen.
dabei heraus. Eher gefährlich. Bringen nach wie vor das Böckenförde-Diktum auf den Tisch: der Staat könne die Voraussetzungen für Demokratie nicht gewährleisten, er braucht dazu die Religion....
Selbst der Verfasser hat sich distanziert. Macht nichts. Die besten Fake-News-Verkünder sind nun mal die Kirchen. Sie verfügen über 2.000 Jahre Routine. Nicht drauf reinfallen! Schmidt-Salomon hält tapfer dagegen. Ihn unterstützen! Gruß Karin Resnikschek, Tübingen