Antwort von Manfred Lütz

Warum kann man als Atheist nicht den Stand der Forschung zur Kenntnis nehmen

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Manfred Lütz (2009)
Manfred Lütz (2009)

Nachdem sich im Humanistischen Pressedienst bereits Prof. Dr. Rolf D. Herzberg sowie auch Dr. Josef Breinbauer über das aktuelle Buch von Manfred Lütz, "Der Skandal der Skandale", geäußert haben, nimmt nun auch der Autor selbst dazu Stellung.

Deutsche Atheisten geben sich gewöhnlich einen wissenschaftlichen Anstrich, berufen sich auf den kritischen Rationalismus, aber offenbar ist es dann im konkreten Fall damit nicht immer weit her.

Im Mittelalter war es bei den so genannten Disputationes üblich, dass man zuerst die Argumente der anderen Seiten so überzeugend wie möglich zusammenfassen musste und erst dann kam die Antwort: "respondeo …". Die Reaktionen von Atheisten auf mein Buch "Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums" liegen zumeist weit unter diesem Niveau. Wenn ich mal von primitiven atheistischen Hassmails absehe, so glänzt da die hessische Sektion der Giordano-Bruno-Stiftung mit einem Paket von 100 Kotzschalen aus Pappe, die man mir ins Krankenhaus schickte. Es scheint da eine atheistische Stammtischatmosphäre zu herrschen, wo man so etwas wahnsinnig witzig findet und sich auf die Schenkel schlägt. Ehrlich gesagt war ich eher traurig, wie tief das intellektuelle Niveau des Atheismus offenbar seit Friedrich Nietzsche gesunken ist. Ich habe daraufhin Herrn Schmidt-Salomon eine ernsthafte intellektuell redliche Diskussion mit vier Kritikern bei einer seiner Atheisten-Versammlungen vorgeschlagen, darauf aber noch keine definitive Antwort. An polemischen Schlagabtäuschen bin ich nicht interessiert.

Nun haben beim Humanistischen Pressedienst zwei Herren zumindest in einem respektvollen Ton Stellung genommen, worauf ich wenigstens kurz reagieren möchte.

Im Vorwort meines Buches habe ich präzise erläutert, um welches Projekt es sich dabei handelt. Man kann aus meiner Sicht eine Kriminalgeschichte des Christentums schreiben, man kann also aus 2000 Jahren Christentumsgeschichte alles Kriminelle, was Christen verbrochen haben, aufschreiben, wie Karlheinz Deschner das mit Akribie getan hat. Man kann genauso umgekehrt alle Lichtgestalten des Christentums aus 2000 Jahren aufmarschieren lassen, wie das in mancher Apologie gemacht wurde, auch das ist legitim. Beides aber wollte ich nicht. Ich wollte den Stand der heutigen Forschung zu den so genannten Skandalen der Christentumsgeschichte darstellen. Dazu habe ich das wissenschaftlich unumstrittene Werk "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert" des international renommierten Kirchenhistorikers Arnold Angenendt Satz für Satz durchgearbeitet, Textteile übernommen und neu gegliedert, so dass das für ein breiteres Publikum lesbar ist. Alle zahllosen Zitate von internationalen Forschern sind bei Angenendt verifizierbar. Dabei haben Arnold Angenendt und seine Mitarbeiterinnen mich unterstützt. Ich habe dann zusätzlich noch einige Kapitel, so über Missbrauch, hinzugefügt, da ich mich selber damit auch wissenschaftlich befasst habe und das bei den Skandalen nicht auslassen wollte. Ich habe das Buch dann von 4 führenden Historikern lesen lassen, damit auch wirklich alles stimmt. Damit das Buch ein breiteres Publikum erreichen konnte, musste es unter 300 Seiten bleiben.

Es gibt einige Fehlschlüsse, denen Atheisten mitunter unterliegen: Ja, ich bin bekennender katholischer Christ, aber ich bin durch meine Bücher finanziell von der Kirche völlig unabhängig, kritisiere die reale Kirche mitunter, wie 2013 in meinem Entweltlichungsbuch, und die Kommentare zu meinem jetzigen Buch von katholischen Medien sind zumeist eher persönlich verletzend. Warum soll gerade ich als Katholik eigentlich die Kirche und ihre Geschichte rosiger darstellen als sie ist und war? Ich würde mich ja so vor allem selber belügen. Warum sollte ich das? Wenn ich Müllermilch zu verkaufen hätte, könnte es ja noch Sinn machen, etwas zu schummeln, damit die Leute das Zeug kaufen. Aber warum soll ich als Katholik durch Geschichtsfälschungen Leute zu einem Glauben bringen, der auf Lügen aufgebaut ist, das ist doch komplett unlogisch.

Atheisten machen es sich intellektuell zu einfach, wenn Sie einfach ad personam gehen, anstatt rational zu argumentieren. Das "Argument", "was ist denn von Lütz anderes zu erwarten", ist intellektuell, vorsichtig gesagt, ziemlich schlicht. Einige merken wohl gar nicht, wie klein sie sich selber machen, wenn sie beim Gegner eines Disputs "Gehirnlähmung" unterstellen (Leserbriefe zu Herzberg) und deswegen müssten sie sich mit seinen Argumenten gar nicht auseinandersetzen und das Buch, das sie mit Verve kritisieren, gar nicht lesen. In Bert Brechts "Leben des Galilei" weigern sich die Inquisitoren, überhaupt durch das Fernrohr zu schauen, und so schreibt im Internet ein atheistischer Eiferer, normalerweise würde er Bücher erst kritisieren, wenn er sie gelesen habe, beim Buch von Lütz würde er es jetzt aber mal anders machen. Offenbar brauchen wir dringend eine Entmythologisierung des Atheismus. Wenn man durch schlichte wissenschaftliche Aufklärung solche Mythen entlarvt, reagieren aber Atheisten heute offensichtlich genauso aggressiv wie Christen im 18. Jahrhundert, denen man sagte, den heiligen Christophorus habe es nie gegeben.

Gerne liest man auch, dass Atheisten sich per se für intelligenter halten als Gläubige und schon deswegen meinen, Recht zu haben. Dieses "Argument" ist nicht sehr intelligent. Denn selbst wenn alle Gläubigen dumm und nur ein Gläubiger intelligent wäre, müsste man die intelligenten Argumente dieses einen intelligent widerlegen. Christen, die alle Atheisten entweder für blöd oder für moralisch verdorben halten, sind genauso auf dem Holzweg wie Atheisten, die Christen intellektuell oder moralisch unterschätzen.

Jetzt kurz zunächst zu Herrn Herzberg. Da kann ich mich zunächst nur für den angenehm respektvollen Ton bedanken. Die Kritik geht aber von vorneherein ganz an meinem Buch vorbei, denn sie fragt sofort danach, wie ich zu den Dogmen der Kirche stehe. Das ist aber überhaupt nicht Thema des Buches. Es geht nicht um die Dogmen (darüber mein Buch "Gott"), sondern um die Geschichte des Christentums. Es wäre so ähnlich, wenn ich eine Geschichte des Deutschen Fußballbundes vorlegen würde und man kritisieren würde, dass ich die Fußballregeln nicht zum Thema machte, nicht kritisierte, dass nur 11 und nicht 12 Spieler pro Mannschaft auf dem Feld stehen, dass man immer tun müsse, was der Schiedsrichter sagt und Handspiel verboten sei. Ich habe in meinem Buch nur die geschichtlichen Fakten zur Entstehung und Wirkung der Dogmen mitgeteilt. Deswegen "keine Empörung, kein Spott, nicht einmal ein Zweifel" an den Dogmen, weil das eben für eine seriöse historische Darstellung schlicht das Thema verfehlt hätte. Es gibt aber jedenfalls absichtlich auch keine "Sympathie oder freundliche Billigung" in dem Buch. Herzberg sagt richtig, dass ich nichts "anprangere", tatsächlich ist es keine Kriminalgeschichte, die gibt es ja schon, warum soll ich da noch eine schreiben? Herzberg weist mir historisch keinen einzigen Fehler nach. Allerdings ist er ja auch kein Fachhistoriker.

Das ist aber Herr Breinbauer. Auch dessen Kritik geht aber leider an meinem Buch vorbei. Er bemängelt im Ergebnis vor allem, dass ich keine Kriminalgeschichte des Christentums geschrieben habe und erwähnt, was ich alles "nicht erwähnt" habe, was bei mir "unter den Tisch fällt" und was mir "keinen Federstrich wert" sei. Das ist aber kein seriöses Argument gegen das Buch, denn wenn man auf 286 Seiten alle so genannten Skandale der Christentumsgeschichte abhandeln will, dann muss man natürlich ganz viel nicht erwähnen. Auf die Kritik, "Warum haben Sie das und das nicht erwähnt?", kann ich nur immer wieder antworten: "Weil da auf 286 Seiten kein Platz war." Die Kritikmethode vieler atheistischer Kommentare beschränkt sich darauf, Versatzstücke aus Deschner in meinem Buch zu vermissen. Das aber kann das Buch nicht wirklich treffen. Da ich selber kein Fachhistoriker bin, habe ich die Auswahl der Skandale weitgehend aus "Toleranz und Gewalt" übernommen, denn man braucht ja tiefere historische Fachkenntnis, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Natürlich kann ich immer irgendwelche irrsinnigen Zitate von Christen und auch von Kirchenleuten finden, dass Abt Petrus Venerabilis von Cluny Schreckliches über Juden sagt, erwähne ich, dass Abt Odo von Cluny ebenso Abwegiges über Frauen sagt, erwähnt Breinbauer. Historisch entscheidend ist, ob diese Zitate für diese Zeit oder auch diesen Menschen typisch waren mit entsprechenden historischen Folgen. Es reicht also wissenschaftlich nicht, wenn man als Jäger und Sammler durch die Christentumsgeschichte stapft und nur nach Zitaten sucht, die zu den eigenen Vorurteilen passen. Das gilt natürlich zugegebenermaßen nicht bloß für vorurteilsvolle Atheisten, sondern auch für vorurteilsvolle Christen.

Indem Breinbauer mich unpräzise widergibt, deckt er nur scheinbare Widersprüche auf. Natürlich habe ich nicht behauptet, dass Christen im ersten Jahrtausend überhaupt nie gewalttätig gegeneinander vorgegangen sind, das wäre doch völlig gaga. Die Forschung weist aber darauf hin, dass es bis zum Jahr 1022 außer dem speziellen Fall des Priszillian im Jahre 385 keine kirchliche Tötung von Glaubensabweichlern gab. Und das heißt natürlich auch nicht, dass es nicht dennoch leider auch zwischen Christen auch zwischen Kirchenleuten aus allen möglichen anderen Gründen Mord und Totschlag gegeben hat.

Ich habe mich in meinem Buch bemüht, den Stand der Forschung zu den Skandalen der Christentumsgeschichte darzustellen, Herr Breinbauer weist mir immerhin keinen einzigen Fehler dabei nach. Das hätte ich gar nicht zu hoffen gewagt, denn auf 286 Seiten mag einem doch einmal eine Ungenauigkeit unterlaufen. Herr Breinbauer hat allerdings eine andere Meinung über die Christentumsgeschichte, hätte auch eine andere Auswahl getroffen, das ist legitim und auch selbstverständlich.

Im seriösen Journalismus unterscheidet man zwischen Information und Kommentar. Ich habe manche engagierten Meinungsbücher geschrieben, zum Beispiel gegen die ganzen unsinnigen Glücksratgeber. In diesem Buch aber habe ich mich nach bestem Wissen und Gewissen um seriöse Information bemüht, vor allem für Atheisten und deswegen habe ich das Buch auch mehrheitlich von Atheisten vorstellen lassen: Gregor Gysi, Günter Wallraff, Rolf Dobelli, Konrad Paul Liessmann. Allerdings bin ich ansonsten von der Reaktion von Atheisten auch im Humanistischen Pressedienst intellektuell doch ein wenig enttäuscht. Das alles wirkt auf mich oft etwas sektenartig, man ist ganz unter sich und findet abweichende Meinungen entweder lächerlich, böswillig oder geistesgestört. Es ist schon unfreiwillig komisch, wenn die Giordano Bruno Stiftung und der Bund der Konfessionslosen unter dem Motto "Für eine vernünftige Streitkultur" beim Katholikentag keinen einzigen Referenten einlädt, mit dem man vernünftig streiten könnte, es sind alles rechtgläubige Atheisten. Man fühlt sich dann als elitäre Gruppe von Supergescheiten, die als einzige den Durchblick hat. Das gab es schon oft und ist bei Licht besehen nicht elitär, sondern eher kleingeistig. Offenbar gibt es auch so etwas wie einen fundamentalistischen Atheismus, womit ich allerdings ausdrücklich weder Herrn Herzberg noch Herrn Breinbauer meine.

Warum kann man als Atheist nicht einfach mal den Stand der Forschung zur Christentumsgeschichte zur Kenntnis nehmen. Denn selbst wenn das alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen wäre, was ich im Buch eben gar nicht behaupte, wäre das aus meiner Sicht doch noch lange kein Grund, Christ zu werden.

Wie die hpd-Redaktion erfuhr, hat gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon inzwischen eine Diskussion zwischen Manfred Lütz und dem Historiker Rolf Bergmeier (gbs-Beirat) vorgeschlagen. Mit den "Kotzschalen", die Manfred Lütz nach eigener Angabe zugeschickt wurden, hatten die Verantwortlichen der Giordano-Bruno-Stiftung selbstverständlich nichts zu tun. Es ist bislang auch völlig unklar, ob derjenige, der seine Kritik an Lütz auf so drastische Weise ausdrückte, tatsächlich zu den rund 9.000 Fördermitgliedern der Stiftung gehört.