Die Philosophin Eva Meijer über "Die Sprachen der Tiere"

Das Tier, das politische Wesen

Aristoteles hätte gestaunt darüber, wohin der von ihm erfundene Syllogismus führen kann. Wer sprechen kann, ist ein Subjekt, wie die Philosophen sagen, juristisch gesprochen, eine Person. Subjekte oder Personen haben Rechte. Tiere sprechen. Also haben Tiere Rechte. Indem sie auf diesem Weg die Rechte der Tiere begründet, vermeidet die niederländischen Philosophin in ihrem Buch "Die Sprachen der Tiere" elegant die Rekursion auf Ethik und Moral.

Tiere kommunizieren nicht nur, sie sprechen. Sie tun das nicht nur mit Lauten, sondern auch mit Farben und Bewegungen. Sie tun dies mit einer Grammatik. Die sagt etwas über Subjekt und Eigenschaften aus, des Sprechers oder dessen, worüber kommuniziert wird, und verortet dies in Zeit und Raum, meint die Tierrechtlerin Eva Meijer. Die Biene beim Schwänzeln etwa oder selbst die Oktopusse, die gleichzeitig auf der einen Seite ihres Körpers mittels Körperfarbe um eine Partnerin werben, auf der anderen Seite sich mit einer Tarnfarbe vor einem Konkurrenten verstecken.

Tiere sprechen nicht nur mit ihren Artgenossen, sondern über die Speziesgrenzen hinaus. Sie sprechen mit uns. Haustiere haben eine außerordentliche Fähigkeit entwickelt, uns zu verstehen. Unsere Gesichter zu lesen etwa. Deshalb stehen wir ihnen gegenüber im wörtlichen Sinne in der Verantwortung. Wir müssen neu darüber nachdenken, wie wir mit Tieren umgehen, meint die junge niederländische Philosophin in ihrem ersten ins Deutsche übersetzen Buch "Die Sprachen der Tiere".

Der amerikanische Linguist Noam Chomsky, dessen Einfluss immens war und ist, hatte die These aufgestellt, dass eben jenes unumstößliche Merkmal Mensch und Tier voneinander unterscheidet: die Fähigkeit des Menschen zu sprechen. Er wollte damit auf das Recht auf Würde des Menschen pochen, in einem Jahrhundert, in dem diese so oft mit Füßen getreten wurde. Sprechen heißt, eine Grammatik benutzen, meinte er. Und die Möglichkeit, eine Aussage zu erweitern, indem zusätzliche Informationen in eine lineare Grundstruktur eingebaut werden. Die Aussage. "Das Mädchen betrachtet den Mond" kann zu "Das blonde Mädchen betrachtet den halb von Wolken verdeckten Vollmond" werden. Die Rekursion macht den großen Unterschied – oder nicht?

Eva Meijer ist Tierrechtlerin, und sie will die Rechte der Tiere über den Nachweis der Fähigkeit der Tiere zu sprechen begründen. Sie trägt eine Fülle von neuesten und allerneuesten Forschungsergebnissen zusammen und Klassiker aus der Zeit, als Schimpansen noch wie Kinder aufgezogen wurden und unter Menschen lebten.

So rührt immer noch eine Anekdote aus jener Zeit über eine erstaunliche Antwort, die die berühmte Schimpansin Washoe – ja, man muss sagen: ausdachte. Ihre Pflegerin hatte sich einst einmal harsch ihr gegenüber verhalten, Washoe war beleidigt, bis die Pflegerin ihr in der von ihr erlernten Taubstummensprache erklärte, dass sie gerade eine Fehlgeburt gehabt habe. Washoes Antwort: das Zeichen für Weinen. Dabei weinen Schimpansen selbst nicht!

Oder der Gorilla Michael, der ebenfalls in Zeichensprache seinen Pfleger mitteilte, dass seine Mutter bei der Gefangennahme vor vielen Jahren getötet worden war. An der Fähigkeit, vergangene Erlebnisse in sein Bewusstsein zu integrieren, fehlte es ihm gewiss nicht. Er hatte eine Biografie und wusste es.

Und die neuesten Ergebnisse? Nordamerikanische Schwanzmeisen entpuppen sich als Sprachkünstler. Ihr "Chick-a-dee"-Ruf, was unserem "Zi-zi-bä" der Kohlmeise entspricht, erweist sich als die grammatikalische Grundstruktur aus vier Komponenten von Flöten bis "Bellen", die ihrerseits wieder variabel kombiniert werden können. Dazu kommt ein Gurgeln, das aus dreizehn verschiedenen Tönen besteht, die ähnlich den Buchstaben zu Mustern geordnet werden können, so dass 84 verschiedene Gurgelarten möglich sind. Die Laute begleiten wie beim Menschen Gesten mit Schwanz und Flügeln. All dies wird jeweils bestimmten Umständen angepasst. Dafür ist die Sprache der Meisen ein offenes System, das neue Kombinationsmöglichkeiten zulässt.

Aristoteles nannte den Menschen das politische Wesen. Politik wird mittels Sprache gemacht. Also können Tiere niemals Verfechter ihrer Rechte sein, versteht sich daraus von selbst. Politische Akteure ihrer eigenen Gesellschaften sind aber selbst die Edelhirsche, die erst dann ihren Gang durch ihr Revier beginnen, wenn 62 Prozent der anwesenden Tiere aufgestanden sind, wissen wir heute. Auch Büffel stehen nicht einfach auf, um die Beine zu strecken. Sie stimmen ab, indem sie Richtungen anzeigen, wo es langgehen soll, während wir denken, dass es um wohlige Frühgymnastik geht.

Schon seit geraumer Zeit hat sich eine Methodenkritik etabliert, die fordert, die Subjektivität der Tiere bei der Untersuchung ihrer Sprachen und Gesellschaften einzubeziehen. Es ist ein bisschen so wie mit der Quantentheorie. Hier ist es nicht der Beobachter, der das Experiment beeinflusst, sondern die Beobachteten bestimmen das Ergebnis zum Teil mit. Seit Donna Haraway gilt nicht mehr nur, Tiere möglichst unbemerkt zu beobachten. Barbara Smuts fand bei den verhaltenskundlichen Untersuchungen mit Pavianen heraus, dass diese nur glückten, wenn sie sich den Pavianen bemerkbar machte, sie sich gegenseitig ausgiebig begrüßten und sie als Teil der Herde akzeptiert wurde.

Sprachspiele ereignen sich innerhalb eines Tuns, und bloße Sprache gibt es nicht, wissen wir seit Wittgenstein. Er hat uns aber auch den Satz hinterlassen: "Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir ihn nicht verstehen." Gleich nach dem Satz freilich: "Ein Mensch kann für den anderen ein Rätsel sein." Damals hatte das Denken vom Anderen Konjunktur – heute ist das anders. Auf die Tiere bezogen: Ein Gorilla hat mit den Menschen sicherlich mehr Ähnlichkeit als mit einer Seegurke. Dem wird heute jeder zustimmen. Grenzen sind gefallen. Andere gilt es noch zu überwinden, durch unser Tun.

Eva Meijer plädiert dafür, sich auf gemeinsame Sprachspiele einzulassen. Da haben die Tiere schon längst den Anfang gemacht. Hunde bellen, was sie nur tun, um sich uns verständlich zu machen. Katzen miauen uns zuliebe, wenn sie uns als ausgewachsene Tiere um die Beine streichen. Wobei die Frage offen bleibt, ob Hund und Katz sich selbst domestiziert haben, was heute die favorisierte Ansicht ist, oder ob sie gar uns domestiziert haben – sie mit Nahrung zu versorgen oder mit ihnen Gassi zu gehen. Fazit: Nicht nur Menschen sind politische Wesen, auch Tiere. Deshalb sollte die Politik sie mit einbeziehen. Die Stadtplanung zum Beispiel, die Landschaftsplanung, aber vor allem die Agrarpolitik.

Ein erfrischender Grundton durchzieht das Werk der jungen Frau, die auch Songwriterin ist und schon einen Roman geschrieben hat.

Eva Meijer: "Die Sprachen der Tiere", aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher. Mit Collagen von Paulina Altmann, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018, 174 S., 28,00 Euro