Am Ende des Lebens: Selbstbestimmung statt Leidensideologie

"Mich bekommen Sie nicht, Herr Kardinal!"

BERLIN. (hpd) Anfang September hatte Kardinal Marx für die Katholische Bischofskonferenz deren bekannten Positionen gegen Sterbehilfe und gegen Selbstbestimmung am Ende des Lebens bekräftigt. Angekündigt ist eine Kampagne zur Unterstützung der Gröhe-Initiative, mit der organisierte Sterbehilfe rigoros kriminalisiert werden soll. Marx hatte die Betreuung Sterbender als eine katholische Angelegenheit deklariert und erklärt: "Gebt uns die Sterbenden … Wir kümmern uns."

Dass er damit nicht nur Religionsfreie brüskiert, sondern auch seine christlichen Geschwister in anderen Kirchen moralisch diskreditiert, wird ihm wohl nicht zu Bewusstsein gekommen sein. Aber diese katholische Überheblichkeit ist bekannt, versteht man sich dort doch als einzig "richtige" christliche Kirche.

Gut angekommen ist diese Überheblichkeit in der Gesellschaft nicht. Denn nur noch eine Minderheit folgt den Morallehren und Handlungsanweisungen der Bischöfe. Aber womöglich soll auch nur diese Minderheit mit derartigen Sprüchen bedient werden.

Kardinal Marx bleibt aus religionsfreien Kreisen nicht unwidersprochen. Aus Berlin liegt jetzt ein Brief an ihn vor, in dem Marx aufgefordert wird, Respekt aufzubringen für diejenigen in der Gesellschaft, die nicht seine, der katholischen Kirche Auffassung zu einem selbstbestimmten Ende des Lebens teilen. 

Die Katholiken hätten nicht das Recht, Menschen mit den Mitteln des Strafrechts zu nötigen, kirchlichen Lehren zu gehorchen. Kardinal Marx wird in dem Schreiben vorgehalten: "Statt ihrerseits Beihilfe zur weiteren Kriminalisierung der Hilfe für Sterbende zu leisten, sollte sich die Katholische Kirche als einer der größten Krankenhausträger in Deutschland besser darum kümmern, die Zuwendung gerade für alte und kranke Menschen in der Pflege und in den Krankenhäusern zu verbessern. Eine Kirche, die nicht hilft, sondern straft, stellt Dogmen über den Menschen."

Autor des Briefes ist Jürgen Roth (Berlin). Jürgen Roth ist Mitglied im Beirat der Humanistischen Union. Er zuvor war von 1984 bis 1996 im Vorstand der HU. Er ist Sprecher der Säkularen Grünen Berlin und Mitglied der grünen Vorstandskommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat."

 

Der hpd dokumentiert den Brief von Jürgen Roth an Kardinal Marx im Wortlaut:


Sehr geehrter Herr Kardinal,

Sie unterstützen die Position des Bundesgesundheitsministers, der praktisch jede Form der praktischen Hilfe für Sterbende kriminalisieren möchte, die sich nicht gemeinsam mit Angehörigen und Ärzten den kirchlichen Dogmen und dem weltlichen Segen der Bundesärztekammer unterwerfen. Sie lassen sich mit dem Satz zitieren: “Gebt uns die Sterbenden….Wir kümmern uns um sie.” (FAZ vom 5. September 2014). Es gehört aber nach meinem Verständnis untrennbar zur Würde des Menschen, gerade auch über den unvermeidlichen Prozess des Sterbens selbst bestimmen zu dürfen. Daher halte ich Ihnen meinen Anspruch auf Selbstbestimmung entgegen: Mich bekommen Sie nicht, Herr Kardinal!

Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, der die Geschicke der Welt lenkt und mein persönliches Schicksal bestimmt. Ich erwarte für meine Haltung den gleichen Respekt, den ich allen anderen Menschen entgegenbringe, die sich - im Rahmen der Achtung der Menschenwürde - zu einer Religion oder Weltanschauung bekennen.

Angesichts der wachsenden religiös-weltanschaulichen Vielfalt in Deutschland hat keine Kirche, Religion, Weltanschauung oder persönliche Überzeugung das Recht, für andere zu entscheiden und ihre Lehren für unfehlbar zu erklären. Ohne persönlichen Respekt vor der Haltung des Anderen kann das soziale Miteinander nicht funktionieren. Das setzt aber voraus, Bevormundungen zu unterlassen und jedem das Recht zuzugestehen, den eigenen Weg in Würde und Freiheit bis zum Lebensende zu gehen.

Ich maße mir nicht an, Christen, Muslimen, Angehörigen anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft oder nicht organisierten Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie leben und wie sie sterben wollen. Dieses Recht steht umgekehrt aber auch weder Päpsten noch anderen kirchliche Würdenträgern oder dem Staatsanwalt zu. Auch Ihr Mandat als Leiter einer Erzdiözese und Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz endet dort, wo Sie die Sphäre ihrer Glaubensgemeinschaft verlassen. Sie haben nicht das Recht, mit den Zwangsmitteln des Staates Menschen zu nötigen, Ihren kirchlichen Lehren zu gehorchen.

Ob sich die Katholikinnen und Katholiken diese Form der Bevormundung noch länger gefallen lassen, müssen sie in freier Selbstbestimmung entscheiden. Die wachsenden Austrittszahlen sind auch ein Indiz dafür, dass immer mehr Menschen von ihrem Recht Gebrauch machen, den Hierarchien der Kirche mit einem klaren NEIN Einhalt zu gebieten. Die Menschen im Land haben gewiss mehr Achtung vor einem früheren EKD-Vorsitzenden, dem das Schicksal seiner Frau wichtiger ist, als verkrustete Ge-und Verbote.

Das Strafrecht ist das schärfste Mittel des Staates, besonders schwere Verstöße gegen gesellschaftliche Normen zu bestrafen. Es darf nicht als Instrument missbraucht werden, Menschen unter der Vorherrschaft kirchlich geprägter Dogmen am Ende ihres Lebens von der Wahrnehmung ihrer letzten persönlichen Verantwortung auszuschließen. Ihre Haltung, Herr Kardinal, lässt unberücksichtigt, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Entmündigung im Prozess des Sterbens durch Kirche und Staat klipp und klar ablehnt.

Auch ich teile die Auffassung, dass der Staat dem Menschen in seiner letzen Lebensphase beistehen muss und den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen darf. Die Unterstützung der Palliativmedizin ist dabei ebenso notwendig, wie die bessere Ausstattung der Pflege. An diesen Punkten dürften unsere Auffassungen nicht auseinandergehen. Die Politik muss auch Vorsorge dagegen treffen, dass Menschen aus Armut und Einsamkeit unter dem Druck ihrer Umgebung entscheiden, ihr Leben zu beenden. Es wäre leichtfertig, diese Gefahr zu unterschätzen und ihr nicht mit aller Entschlossenheit zu begegnen. Jeder äußere Druck auf Menschen, ihrem Leben ein Ende zu machen, offenbart die gleiche Respektlosigkeit vor der Persönlichkeit, wie staatlicher Zwang, trotz Qualen oder der Gewissheit der Aussichtslosigkeit gegen den erklärten eigenen Willen weiterleben zu müssen. Hier stelle ich mir wie Hans Küng die Frage, ob das Verweigern der Sterbehilfe gegenüber Sterbenden nicht ebenso ein Missbrauch sein kann, “wie wenn man einen Schwerkranken zum Sterben drängt?” (Hans Küng, Glücklich Sterben? Pieper-Verlag 2014, S. 62, 63).

In keiner Weise akzeptabel ist in diesem Zusammenhang jeder Versuch, das selbstbestimmte Recht auf ein menschenwürdiges Sterben in einen Zusammenhang mit der nationalsozialistischen “Euthanasie” zu stellen. Die Wahrnehmung von Grundrechten in die Nähe staatlicher Massenmorde zu rücken, ist unredlich. Wer gezielte die historische Unwahrheit verbreitet, verleugnet letztlich die Grundlagen unserer auf der Menschenwürde begründeten Verfassungsordnung.

Am Ende ihres Lebens benötigen die Menschen keine mit staatlichem Zwang durchgesetzte Ideologie, sondern jede erdenkliche Form der Hilfe und der Stärkung. Dies ist der richtige Weg, sich gegen ungebetene Einmischungen und Bevormundungen zur Wehr setzen zu können. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen endlich Rechtsklarheit darüber erhalten, dass nur sie selbst das letzte Entscheidungsrecht darüber haben, wann sie das eigene Leben noch als lebenswert ansehen und wann nicht mehr.

Es gilt auch, dieses Selbstbestimmungsrecht durch geeignete Vorkehrungen aktiv zu stärken, beispielsweise durch ein Vier-Augen-Prinzip durch Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärztinnen oder Ärzte. Hier bedarf es einer vom Gedanken der Humanität getragenen gesetzlichen Regelung zum Schutz der Betroffenen. Dieses Gesetz sollte auch die Stellung der Angehörigen regeln, ebenso die Rolle von Vereinigungen, die sich der Begleitung Sterbender widmen. Die vom Bundesgesundheitsminister geplante Verschärfung des Strafrechts führt – vermutlich auch gewollt – dazu, dass sich die Unsicherheit aller Beteiligten noch weiter verstärkt.

Statt ihrerseits Beihilfe zur weiteren Kriminalisierung der Hilfe für Sterbende zu leisten, sollte sich die Katholische Kirche als einer der größten Krankenhausträger in Deutschland besser darum kümmern, die Zuwendung gerade für alte und kranke Menschen in der Pflege und in den Krankenhäusern zu verbessern. Eine Kirche, die nicht hilft sondern straft stellt Dogmen über den Menschen.

Angesichts der gesellschaftlichen Brisanz des Themas möchte ich diesen Brief öffentlich machen.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Roth