Spanien

Erstes Urteil in Babyraub-Prozess

Über dreißig Jahre lang wurden in Spanien unter tatkräftiger Beteiligung der katholischen Kirche Eltern ihre Neugeborenen geraubt und an Adoptiveltern vermittelt. Ein Arzt, der maßgeblich in den Babyhandel verwickelt war, wurde nun von einem spanischen Gericht freigesprochen. Nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern weil die Verbrechen nach Auffassung des Gerichts verjährt sind.

Spanien hat die Jahrzehnte des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur noch lange nicht aufgearbeitet. Noch immer sind hunderttausende Menschen anonym in Massengräbern verscharrt, zehntausende Kinder wissen nicht, wer und wo ihre biologischen Eltern sind. Die katholische Kirche vergisst gern ihre Beteiligung an den Verbrechen.

Die Franco-Diktatur, auch Franquismus genannt, dauerte in Spanien vom Ende der 1930er-Jahre bis zum Tod von Diktator Franco im Jahre 1975. In dieser Zeit wurden hunderttausende Menschen verschleppt, gefoltert und getötet. Babys und Kinder wurden ihren Familien entrissen. Die katholische Kirche hat dabei nicht nur ein oder zwei Augen zugedrückt, sondern der Diktatur in Form des Nationalkatholizismus auch Legitimation verliehen und im Gegenzug bei Privilegien und Gewinnen aus dem Kinderhandel profitiert.

Aktuell bewegt eine Premiere Spaniens Gemüter. Zum ersten Mal ist ein Arzt vor Gericht gestellt worden, weil er Eltern ein Baby geraubt und dieses einem Paar geschenkt hatte. Geklagt hat die heute 49-jährige Inés Madrigal – das Baby von damals. Der ehemalige Arzt Eduardo Vela, mittlerweile 85 Jahre alt, war zwischen 1961 und 1981 Leiter der berüchtigten Klinik San Ramón in Madrid. Diese soll in tatkräftiger Zusammenarbeit mit örtlichen Nonnen hunderte Babies den Eltern ohne deren Wissen und Zustimmung geraubt und an adoptionswillige Paare abgegeben haben.

Obwohl etwa 2.000 Anzeigen bezüglich Babyraubes vorliegen, ist der Fall von Inés Madrigal einzigartig. Madrigal, geboren 1969, hatte erst mit 18 von ihrer Adoptivmutter Inés Pérez erfahren, dass sie adoptiert wurde. Im Jahre 2010, nach Lektüre eines Beitrages der Zeitung El País, hatte sie Verdacht geschöpft. Wurde sie doch laut Geburtsurkunde in der Klinik San Ramón in Madrid als Tochter ihrer Adoptivmutter geboren. Als betreuender Arzt angegeben war Eduardo Vela.

Ihre Mutter jedoch konnte keine Kinder bekommen. Das erst wenige Tage alte Mädchen erhielten die damals 46-jährige Inés Pérez und ihr Mann Pablo Madrigal 1969 als Geschenk von Vela. Dieser hatte sie zuvor aufgefordert, eine Schwangerschaft mittels Kissen vor dem Bauch vorzutäuschen.

Hintergrund der Schenkung war eine Intervention des katholischen Geistlichen Pater Félix, dem Vela sehr zugetan war. Dieser hatte um den Gefallen gebeten, da Pérez ehrenamtlich in einem Kloster aushalf, welches sich Eltern in Not annahm. Vela soll zuvor zahlreiche andere Gefallen vom Kloster erhalten haben.

Ohnehin arbeiteten Nonnen, Priester und die Klinik Hand in Hand, um werdenden Müttern – unter ihnen auch viele sehr junge und/oder unverheiratete Frauen – ihre Kinder zu rauben und gewinnbringend oder gegen Gefallen zu verkaufen. Der Babyhandel fand zwischen Ende der 50er Jahre und 1982 statt, dem Jahr der Klinikschließung. Den Müttern bzw. Eltern wurde nach der Geburt mitgeteilt, dass ihr Kind in den Brutkasten müsse. Tage später wurde erklärt, das Baby sei verstorben. Bestanden die Mütter/Eltern darauf, das Kind zu sehen, wurde ein toter Säugling aus einer Gefrierkammer vorgezeigt. Es handelte sich immer um denselben.

Während die Nonne María Gómez Valbuena die Verteilung der werdenden Mütter auf verschiedene Wohnungen und die Klinik San Ramón organisierte und koordinierte, übernahm Vela die Fälschung von Geburtsurkunden und weiteren Dokumenten, sowie die Vernichtung von Beweisen.

Behindert durch das Schweigen von Kirche und Gesellschaft über die Schrecken der Franco-Diktatur aber auch durch das Amnestiegesetz von 1977, sowie die Schwierigkeit, Beweise zu finden, haben die wenigsten der 2.000 Anzeigenden eine Chance auf einen Prozess. Madrigal hatte einen speziellen Weg gewählt, um Ex-Arzt Vela vor Gericht zu bringen. In Absprache mit ihrer Mutter Pérez hatte sie diese angezeigt. Die Untersuchung ergab die Unschuld der Mutter und die Schuld des Arztes.

Das Urteil fiel trotzdem enttäuschend aus. Die Staatsanwaltschaft hatte 11 Jahre Haft für Vela und 350.000 Euro Schadensersatz für Madrigal gefordert. Das Gericht jedoch sprach den früheren Arzt und Klinik-Leiter wegen Verjährung frei, obwohl es feststellte, dass Madrigal als Baby außerhalb eines legalen Adoptionsverfahrens abgegeben wurde.

Obwohl Madrigal und Pérez keinen Wert auf Haft für Vela legten, hatten sie erwartet, einen Grundstein für die Verfahren anderer geraubter Kinder legen zu können. Wunsch war es, die biologischen Eltern finden zu können.

Madrigal kritisiert, dass noch immer keine kostenlose Gendatenbank für diejenigen eingerichtet wurde, die ihre Familie suchen. Bei ihr fielen bereits drei Tests mit potentiellen Verwandten negativ negativ aus, so dass Madrigal noch immer nicht weiß, wer ihre biologische Familie ist.