Kommentar

Reaktionäre, politische Christen im Übermaß

Die politischen Debatten der letzten Jahre haben gezeigt, dass gesellschaftliche Fortschritte vor allem durch christlich-konservative Politiker verhindert wurden. Es ist an der Zeit, die Verantwortlichen beim Namen zu nennen, meint Constantin Huber in einem Kommentar.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist gegen die Ehe für alle, weil sie als Folge Inzest und Polygamie befürchtet. Darüber hinaus ist sie nicht nur dagegen, dass Frauen via Schwangerschaftsabbruch über ihren eigenen Körper entscheiden können, nein, sie ist sogar dagegen, dass sich Frauen aufklärende Informationen darüber von Ärzten einholen können. Friedrich Merz ist ein Verfechter von Kürzungen im Bereich der Sozialpolitik und hat dagegen gestimmt, dass die Vergewaltigung von Frauen in der Ehe als solche angeklagt werden kann. Jens Spahn denkt, dass es keine Rentner gäbe, die von Armut bedroht sind, Hartz IV völlig ausreiche und Kürzungen unter das Existenzminimum gerechtfertigt seien. Auch er möchte weiterhin an dem Gesetz festhalten, welches Frauen erschwert, an Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu gelangen. Anja Karliczek (Bildungsministerin) denkt trotz der eindeutigen Studienlage, dass es Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern prinzipiell schlechter ginge, lehnt das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ab und ist der Ansicht, die Ehe für alle sei überstürzt eingeführt worden.

Und diese Menschen werden wohl auch weiterhin entscheidende Rollen in der Politik spielen – eine*r von den ersten drei Genannten wahrscheinlich sogar als Kanzler*in. Und diese abstrusen Denkweisen stehen stellvertretend für Tausende Parteimitglieder und -funktionäre der CDU und in noch schärferer Form: der CSU.

Trauen wir den bekennenden Christen wirklich zu, die Zukunft unseres Landes anständig und zeitgemäß gestalten zu können? In den letzten Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eher damit brilliert, ein Klotz am Bein des gesellschaftlichen Fortschritts zu sein.

Eindeutig positive Entwicklungen mussten stets entgegen dieser beiden konservativen Parteien mühsam errungen werden. Egal, ob es sich dabei nun um die Ehe für alle, den Mindestlohn oder etwa die Parität der Kassenbeiträge handelt. Auch in puncto Sterbehilfe, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, wird deutlich, wie weit einige der religiösen Abgeordneten von der Bevölkerung weg sind – von dieser sind satte 77 Prozent für ein selbstbestimmtes Sterben in Würde. Die politischen Christen sind jedoch der Ansicht, dass das Leben im Zweifelsfall zu Ende gelitten werden muss. Wie oft bei Diskussionen um dieses Thema nicht nur mit angeblich fatalen Folgen argumentiert wird (was als Argument ja valide wäre, würde es etwa in der Schweiz, den Niederlanden oder Kanada düster aussehen), sondern mit dem vermeintlich "gottgegeben Leben", möchte man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Jedem halbwegs vernunftbegabten Menschen rollen sich da die Zehennägel hoch!

Aber klar, wer sich einredet, dass früher alles besser war, hat eben kaum Anreize, sich für ein anderes Morgen einzusetzen und möchte sich auch nicht mit den neuen, womöglich besseren Argumenten ehrlich auseinandersetzen. Doch diese ohnehin unaufhaltsame Veränderung will gestaltet werden. Warum wählen wir Wahljahr für Wahljahr in so vielen Bundesländern – und vor allem im Bund – diese müden Tropfen mit ihrer veralteten Denkweise als stärkste Partei in die Parlamente?

Es wird Zeit, nicht länger in den Tenor von Pegida & AfD einzustimmen und nicht länger die Linken, Grünen und Sozialdemokraten für sämtliche Schieflagen verantwortlich zu machen, sondern diejenigen, die tatsächlich die Verantwortung dafür übernehmen müssen. Die konservativen Christen sind es, die sie seit Jahren mit Richtlinienkompetenz an der Macht sind und mit ihrer Denkweise dem Zeitgeist der Allgemeinheit um Jahrzehnte hinterherhinken. Es wird Zeit, politisch zu werden und sich dem Irrsinn auf demokratischem Weg entgegenzustellen! Läuten wir doch eine Ära ein, in der den oben genannten Denkweisen eine nachhaltige Absage erteilt wird.