Das 70-jährige Bestehen der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen ist ein Anlass, Bilanz zu ziehen: Sind die Menschenrechte, wie sie die Deklaration fordert, umgesetzt – weltweit oder zumindest in den Staaten, die die Deklaration 1948 unterschrieben haben? Das ist längst nicht der Fall, auch in Deutschland nicht, betont Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V.
Ein Beispiel ist der 2015 eingeführte Strafrechtsparagraph § 217. Er verletzt das in Artikel 3 der Menschenrechtserklärung postulierte Freiheitsrecht, indem er es dem Einzelnen verbietet, bei schwerer und unheilbarer Krankheit oder in anderweitigen als unerträglich empfundenen irreversiblen Leidenszuständen sein Leben freiverantwortlich und mit sachkundiger Hilfe zu beenden. Patienten, denen es wichtig ist, ihr Lebensende selbstbestimmt zu gestalten, können nicht mehr darauf hoffen, einen Arzt zu finden, der ihr Vorhaben unterstützt. Unter dem Damoklesschwert des § 217 StGB ist bereits eine ergebnisoffene Kommunikation über das Wie und Wann des Sterbens zwischen Arzt und Patient massiv erschwert.
Das Recht auf einen selbstbestimmten Tod ist ein Menschenrecht, so Birnbacher. Das hat insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht in Straßburg klar festgestellt. In der Begründung seines Urteils im Verfahren Haas gegen die Schweiz von 2011 heißt es u. a.: "Der Gerichtshof hält das Recht eines Individuums, zu entscheiden, auf welche Weise und in welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, sofern es in der Lage ist, seine diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dementsprechend zu handeln, für einen der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention."
7 Kommentare
Kommentare
Udo Zeitvogel am Permanenter Link
Man sollte auch das BtmG ändern, damit suizidale Menschen Pentobarbital erwerben können. Die Abschaffung des §217 ist notwendig, aber nicht ausreichend.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Apropos Pentobarbital - es müsste zusätzlich verunmöglicht werden, dass das BfArM zur Untätigkeit angewiesen wird.
Udo Zeitvogel am Permanenter Link
Ja, dem stimme ich zu, allerdings sind die vom Bundesverwaltungsgericht auferlegten Bedingungen für die Verfügbarkeit von Pentobarbital ebenfalls nicht akzeptabel, da auch sie das Selbstbestimmungsrecht als Gnadenrec
Olaf Sander am Permanenter Link
Und es gibt noch einen Aspekt, der im Zusammenhang mit dem § 217 StGB unbedingt genannt werden muss; nämlich den der Angehörigen von Sterbewilligen.
Es sind nämlich die Angehörigen und nahestehende Personen (keine genauere Definition) der Sterbewilligen, denen der Gesetzgeber als einzigen eine straffreie Sterbebegleitung erlaubt. Natürlich aber nur ein Mal, denn beim zweiten Mal wäre es bereits geschäftsmäßig.
Aber das ist nur ein ganz kleines Dilemma von vielen viel größeren Dilemmata, welche der § 217 StGB verusacht. Denn wie und mit was sollen Angehörige bei einem Freitod helfen? Können die das überhaupt? Wie viele Angehörige sind Arzt oder Apotheker, also kompetent genug, eine solche Aufgabe zu bewerkstelligen? Und, last but not least, wie viele Angehörige sind mental stark genug, dass auszuhalten und damit weiterzuleben?
Sterben ist eine existentielle Angelegenheit. Die Hilfe dabei den Anghörigen zu überlassen, bzw. sie ihnen aufzubürden, ist nicht nur nicht zu Ende gedacht, es ist vor allem grob fahrlässig. Für mich ist der § 217 StGB nichts anderes, als der rote Faden für zukünftige Dramen.
Und selbst wenn ein durch Angehörige begleiteter Freitod durch Beziehungen und dem richtigen Wissen geglückt ist, so bleiben die Angehörigen noch immer komplett ohne Hilfe. Es ist nämlich niemand da, der sie professionell auffängt. Hinzu kommt, dass sich die Angehörigen entscheiden müssen, ob sie versteckt oder offen beim Sterben begleiten.
Wer sich entscheidet offen zu helfen und deshalb hinterher die Polizei anruft, kann sich unter Umständen unmittelbar nach dem Tod seines Verwandten auch noch ordentliche juristische Probleme einhandeln. Für Trauerarbeit bleibt dann keine Zeit. Und wahrscheinlich auch kein Geld für ein anständiges Begräbnis. Denn Anwälte sind, sofern man einen findet, der einen bei so etwas vertritt, teuer.
Eigentlich bleibt nur zu hoffen, dass das BVerfG erkennt, wie sehr der § 217 StGB einerseits in die Selbstbestimmung der Sterbewilligen eingreift und wie sehr er andererseits den Angehörigen eine für sie unmöglich auszuführende Aufgabe anvertraut, bzw. aufbürdet.
Ich habe meiner Mutter am 10.12.2016 geholfen, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. All das, was ich hier in dem Kommentar schreibe, beruht auf meiner persönlichen Erfahrung. Wenn Sie mehr über die Geschichte des Freitods meiner Mutter mit meiner Hilfe erfahren wollen, lade ich Sie recht herzlich ein, sie auf meinem Blog in aller Ausführlichkeit zu lesen.
Vielen Dank dafür.
http://sterbegeschichten.de/meine-sterbegeschichte/
A.S. am Permanenter Link
Die religiösen Vorstellungen (Grundlage der Gesetzgebung gegen Sterbehilfe) beruht wie vieles andere der religiösen "Moral" auf dem Wunsch der Priester, dass möglichst viele Menschen nach ihrer Pfeiffe tanze
Wolfgang Kloste... am Permanenter Link
Meine Verfassungsbeschwerde gegen § 217 ist nicht zugelassen worden. Ich sei nicht unmittelbar und nicht gegenwärtig betroffen.
Herr Dr. Birnbacher hat in einer Pressemeldung mitgeteilt, er freue sich sehr über die Ablehnung meiner (und einer weiteren) Beschwerde. Diese in Hinblick auf meine eigene Beschwerde befremdliche Reaktion habe ich hier kommentiert: http://www.reimbibel.de/Prof-Dr-Dieter-Birnbacher-217-StGB.pdf
Leider haben meine Beschwerden und deren skandalöse Ablehnung in den Massenmedien bisher keine Beachtung gefunden. Das könnte teilweise auch daran liegen, dass weder die DGHS noch Presseagenturen das Aktenzeichen meiner BVerfG-Beschwerde oder einen Link zum Text der Beschwerde mitgeteilt haben. Die Hauptursache dürfte aber sein, dass die Medien meistens den Kirchen und christlichen Politiker/inne/n näher stehen als Kritikern des klerikal verstrahlten § 217 StGB.
Udo Zeitvogel am Permanenter Link
Jeder Mensch ist von diesen Verboten betroffen, egal ob er an einer Erkrankung leidet oder nicht, denn sie verletzen ganz allgemein das Prinzip der privaten Selbstbestimmung.