Willkommen im 21. Jahrhundert: Die CSU will in ihrem kürzlich verabschiedeten Strategiepapier der Zukunft mit ewiggestrigen Positionen begegnen. Das gilt sowohl für den Fortschritt in der Medizin als auch für die Abtreibungsgesetzgebung.
Vergangene Woche fand in Kloster Seeon im Chiemgau eine dreitägige Klausurtagung der CSU-Bundestagsfraktion statt. Dabei wurde unter anderem ein gut zweiseitiges Strategiepapier mit dem Titel "Innovation gestalten, Orientierung geben, Ethik bewahren" einstimmig beschlossen, wie Die Tagespost gestern berichtete. In welche Richtung es abzielt, wird schon in der Einleitung klar, wenn davon die Rede ist, dass sowohl Rechtsstaat als auch Grundgesetz "untrennbar" mit dem christlichen Menschenbild verbunden seien. Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft seien "undenkbar" ohne die christliche Soziallehre. Und was auf keinen Fall fehlen darf: "Deutschland ist ein christliches Land" – der Klassiker.
Neben einem geplanten "Datengesetz", das das "Dogma der Datensparsamkeit" ablehnt und dem ehrgeizigen Ziel dienen soll, Persönlichkeitsrechte der Menschen und Wertschöpfungspotenziale der Digitalisierung zu vereinen, und einem "Ethik-Kodex für die künstliche Intelligenz" sieht das Papier auch eine Einschränkung medizinischer Innovationen vor, umschrieben mit dem harmlos daherkommenden und in der Politik beliebten Begriff "gestalten": "Sinn und Ziel der Medizin sind für uns dabei der Schutz und der Erhalt des Lebens. Innovationen, die diesem Zweck dienen, begrüßen und unterstützen wir. Wo aber aus Vorsorge Auslese und aus Eingriffen Manipulation wird, setzen wir ein klares Stoppzeichen", heißt es da. Was die selbsternannte "Wertepartei" genau mit "Auslese" und "Manipulation" meint, führt sie nicht näher aus. Dann wird man allerdings überdeutlich, mit folgendem Satz: "Für uns bleibt Gott der Schöpfer allen Lebens – und nicht der Mensch. Dieses Bekenntnis ist unsere Richtschnur in der Diskussion über und der Bewertung von medizinischen Innovationen." Großartig. Ein 2.000 Jahre altes Glaubenssystem soll also über die Wertigkeit von medizinischen Fortschritten entscheiden. Ob das die erste Prunksitzung des Jahres war?
Einen eigenen Abschnitt widmet die CSU außerdem dem "Schutz des ungeborenen Lebens": Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche sei in Deutschland nach wie vor zu hoch. Das will die bayerisch-christliche Partei ändern, "damit sich wieder mehr ungewollt Schwangere zur Weitergabe des Lebens entscheiden", so heißt es in dem Positionspapier. "Eine scharfe Absage" erhalten dagegen Forderungen nach einer Legalisierung von Abtreibungen oder eine Lockerung der Straffreiheitsfrist.
Die Formulierungen könnten so auch aus der Feder eines kirchlichen Gremiums stammen. Das muss das viel beschworene, geschärfte konservative Profil sein. Oder mit anderen Worten: Alles wie immer.
18 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Genau das spiegelt meine Meinung in meinem offenen Brief an die Bundesregierung wieder.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
"Die Formulierungen könnten so auch aus der Feder eines kirchlichen Gremiums stammen."
IMHO "könnten" kan man ruhig streichen.
A.S. am Permanenter Link
Eine Regierung durch Abergläubige ist noch keinem Land gut bekommen.
Früher wurden wir von Heuchlern regiert. Das war halb so schlimm. Heute von wirklich religiös Bekloppten.
Kay Krause am Permanenter Link
Mein Vorschlag zur Reanimierung unserer fast schon untergegangenen guten, alten Tante SPD:
Das ist doch so einfach, warum muß immer erst ich auf solche genialen Gedanken
kommen?
m.f.G., Kay Krause, alter sozialdemokratischer Idealist!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
" Deutschland ist ein Christliches Land"!
oder auch Behinderten. Genau so wie damals, bei der Christianisierung Südamerikas und der Inquisition und der Hexen und Ketzer-Verbrennung Millionen von Menschen Ihr Leben lassen mussten. Und dieses System ist das Vorbild unserer CSU nein Danke.
G.B.
Dieter Bauer am Permanenter Link
Gute Nacht, Säkularisation. Es lebe der CSU-Voodoo-Kult. Nicht rationales Denken, nein, religiöses Märchenverständnis lebe hoch. Na ja, in Bayern ticken die Uhren offenbar anders; wenigstens bei einem Teil.
Ricarda am Permanenter Link
Das schöne an Dogmen ist, dass man sich das Denken sparen kann! Patriarchale Religion und bayerische Volkspartei halten sich gegenseitig die Stange: das war gut so, das ist gut so und das bleibt auch so.
A.S. am Permanenter Link
@ Ricarda: Diese Haltung stibt unter zwei Möglichkeiten aus: 1) sie fährt krachend gegen die Wand der Realität (mit großem Kollateralschaden) oder 2) sie ertrinkt im Spott der anderen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Prunksitzung" passt prima.
Ricarda am Permanenter Link
Neeee, passt gar nicht, da fühle ich mich in meinen "karnevalistischen Gefühlen" zutiefst verletzt! Und drohe mit Tusch-Attentaten...
Hans Trutnau am Permanenter Link
Jetzt fühle ich mich aber erwischt, Ricarda!
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Christliches Menschenbild ist schon eine Zumutung. Sind Nichtchristen alles keine Menschen? Aber das Geld nimmt man gerne von ihnen. Scheinheilige Bagage.
Heinz König am Permanenter Link
Bayern und CSU, das letzte Aufbäumen vor dem Absturz ...
Andreas Kielmann am Permanenter Link
Was für verlogene Gedanken. Es wird kein Problem sein den Betrogenen in dieser Gesellschaft die erkennbaren Lügen und Sackgassen aufzudecken. Das wird Aufklärung im besten Sinne sein.
"Wir sorgen dafür, dass der Mensch im Mittelpunkt des Fortschritts steht und durch ihn nicht an den Rand gedrängt wird." Wie jetzt? Abgelehnte Hilfesuchende sitzen mitten im Flieger nach Afghanistan.
"Jeder muss selbst entscheiden können, was Unternehmen über das eigene Leben wissen sollen und was nicht. Dafür brauchen wir ein Datengesetz,..." So ein Gesetz wird in der CSU selbstverständlich von Unternehmerlobbys und dem Kirchenkonzern geschrieben. Was bleibt ist die Zerstörung von selbstbestimmter Entscheidung der Bürger, also ein Leben als Ergebnis eines gezinkten Lotteriespieles.
Die CSU hat das Gelände der Gewaltenteilung noch nie wirklich betreten. Gott und Herrscher sind für Söder Ziel. Der Mensch ist bloß Untertan und die Informationstechnologie soll Söders neuer Knüppel werden.
Algorithmen brauchen eine ethische Komponente. Dazu gehört, dass es im Zusammenhang mit menschlichem Leben und menschlicher Gesundheit zu keinerlei Kosten-Nutzen-Abwägungen kommen darf. Das lass ich jetzt mal unkommentiert.
"Für uns bleibt Gott der Schöpfer allen Lebens – und nicht der Mensch. Dieses Bekenntnis ist unsere Richtschnur in der Diskussion über und der Bewertung von..."
Die CSU lässt sich zwar wählen ist im Kern aber keine demokratische Partei.
Edgar Schwer am Permanenter Link
Was für eine Hybris der CSU! Da merkt man gleich wieder, dass man es mit Leuten zu tun hat, die glauben, sich im Besitz göttlicher Wahrheit zu befinden.
Petra Pausch am Permanenter Link
Ich versteh die ganze Aufregung nicht: Bayern ist doch wahnsinnig innovativ. Es soll ein eigenes Weltraumprogramm geben und Seehofer ist ein Internetpionier... seit 1980 im Netz (das 1990 erst erfunden wurde).
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Das macht es nun auch leichter, zu verstehen, weshalb die CSU unter ihrem Dach Vertreter medizinischer Glaubenslehren - wie der Homöopathie - herzlich willkommen heißt und solchem Besuch willfährig den Teppich ausroll
https://www.csu-landtag.de/index.php?ka=1&ska=1&idn=1034
Hier paart sich die Vermischung von Glauben und Wissen (Vermischung? Na gut, 95 zu 5 ...) mit einer himmelschreienden Weltsicht, die bereits dem 17. Jahrhundert nicht mehr angemessen war. Hauptsache, christliches Menschenbild.
Bayern - das Land, das nicht nur die früheste "aufgeklärte Monarchie" im deutschen Sprachraum hatte, sondern auch Leuchten der Wissenschaft wie Fraunhofer, Pettenkofer, Röntgen (der erste Nobelpreisträger für Physik), Heisenberg, Mößbauer und wie sie alle heißen hervorgebracht hat.
Bayern - das sich so viel auf seinen Ruf als Wissenschaftsstandort zugute hält, dass dazu das Wissenschaftsministerium eine eigene Promotion-Seite unterhält.
Bayern - das Land, wo die derzeit regierende Richtung angesichts schwindender Mehrheiten all das über Bord zu werfen bereit ist und jedem Mist hinterherläuft, der mit dem "Beliebtheitsargument" daherkommt und mithin Stimmen verspricht.
Hauptsache christliches Menschenbild.
PS Bedarf es noch einer Erwähnung, dass ich die göttlich-christliche Lesart des Grundgesetzes, wie sie die CSU pflegt, keineswegs teile?
Maren am Permanenter Link
Willkommen im Mittelalter.