Automatisierten Kennzeichenkontrolle im öffentlichen Straßenverkehr für verfassungswidrig erklärt

Ein Sieg für die Bürgerrechte

Gestern wurden die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 bekannt, mit dem die in den Polizeigesetzen Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens aufgenommenen Befugnisse zur polizeilichen automatisierten Kennzeichenkontrolle im öffentlichen Straßenverkehr für verfassungswidrig erklärt werden.

Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß, der die Beschwerdeführer aus Bayern und Baden-Württemberg mit Unterstützung der Humanistischen Union vertritt, erklärt hierzu: "Mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts werden der pauschalen und anlasslosen Kontrolle des öffentlichen Raumes durch die Polizei enge Bandagen angezogen."

Das Bundesverfassungsgericht hat unter ausdrücklicher Aufgabe früherer Auffassungen allein schon im Tatbestand der elektronischen Video-Kontrolle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gesehen. "Vor allem hat das Bundesverfassungsgericht der anlasslosen Kontrolle eine Absage erteilt und die Zulässigkeit solcher Massenkontrollen vom Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation abhängig gemacht. Auch dürfen nicht mehr pauschal polizeiliche Dateien für den Abgleich mit den eine Kontrollstelle passierenden Fahrzeugen eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat damit den Phantasien einer rundherum und ohne konkreten Anlass permanent überwachten Gesellschaft einen Riegel vorgeschoben. Ein großer Sieg für Bürgerrechte!"

Die gestern bekannt gegebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe betrifft Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze zum Kfz-Massenabgleich in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Beschwerdeführer sind Autofahrer aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg.

Fehlerhafte Erfassung

Bayern scannt an 15 Standorten Kfz-Kennzeichen, um sie mit Polizeidatenbanken abzugleichen. Pro Monat werden so 8,5 Millionen Kennzeichen erfasst. 98 Prozent der Treffermeldungen waren falsch, weil der Scanner zum Beispiel ein "I" nicht von einer "1" und ein "O" nicht von einer Null unterscheidet. In Baden-Württemberg wurden 2017 138.000 Kfz-Kennzeichen erfasst; dabei waren 92 Prozent der Treffermeldungen falsch. In Hessen wurden 2017 250.000 Kfz-Kennzeichen eingelesen; dort waren 93 Prozent der Treffermeldungen falsch.

2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht das hessische und ein schleswig-holsteinisches Gesetz zum Kfz-Massenabgleich für verfassungswidrig und daher nichtig. Der schleswig-holsteinische Innenminister Lothar Hay gab daraufhin bekannt, er verzichte auf eine Neuregelung, denn das Kfz-Scanning binde Personal, das an anderen Stellen sinnvoller für operative Polizeiarbeit zum Schutze der Bürger eingesetzt werden könne.

Seit Jahren in der Kritik

Das umstrittene Verfahren des Kfz-Kennzeichenabgleichs steht seit Jahren in der Kritik: In vielen Ländern sind über 90 Prozent der Treffermeldungen falsch. Der Massenabgleich, mit dessen Hilfe auch verdeckte Bewegungsprofile für Polizei und Geheimdienste erstellt werden, entfalte insgesamt eine schädliche und abschreckende Wirkung auf unsere Gesellschaft, besonders etwa im Vorfeld von Demonstrationen. Dem stehe ein unverhältnismäßig geringer Nutzen gegenüber.

Der aktuelle Vorstoß der Bundesregierung, Kennzeichenscanner auch für die Verhängung von Ordnungswidrigkeiten (Bußgelder gegen Dieselfahrer in Fahrverbotszonen) einzusetzen, hat nach diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keine Zukunft mehr, ebenso auch nicht die anlasslose automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.

Vorratsdatenspeicherung im europäischen Ausland

In Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden werden mithilfe von Kennzeichenscannern schon heute sämtliche Fahrzeugbewegungen bis zu zwei Jahre lang auf Vorrat gespeichert. Polizei und Geheimdienste haben europaweit über drei Millionen Kfz-Kennzeichen und in Deutschland fast eine Million Kfz-Kennzeichen ausgeschrieben, darunter Ausschreibungen zur Sicherstellung, zur Kontrolle, zur Befragung oder zur verdeckten (unbemerkten) Registrierung.


Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts: