Missbrauch

Finanzchef des Vatikans wegen Kindesmissbrauchs verurteilt

Gerade erst hat die Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan ihre Pforten geschlossen, da verkündet die australische Justiz, dass einer der ranghöchsten vatikanischen Kardinäle wegen Missbrauchs verurteilt wurde. Der Schuldspruch gegen Kardinal Pell erging bereits im Dezember. Doch wegen einer Nachrichtensperre durften die Medien bislang nicht darüber berichten.

Kardinal George Pell hat eine beachtliche Karriere in der katholischen Kirche vorzuweisen. Lange war der heute 77-Jährige der ranghöchste katholische Würdenträger Australiens. Von 1996 bis 2001 war er Erzbischof von Melbourne, von 2001 bis 2014 Erzbischof von Sydney. 2014 wurde er Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, also Finanzchef des Vatikans, und damit Nummer drei in der inoffiziellen vatikanischen Kirchenhierarchie. Außerdem machte Papst Franziskus Pell zum Mitglied des neunköpfigen Kardinalsrates, eines 2013 neu geschaffenen päpstlichen Beratergremiums.

Schon vor Jahren wurden gegen Pell Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche von Australien laut. Zunächst ging es hierbei um den Vorwurf, Pell habe von Missbrauchsfällen erfahren, diese jedoch vertuscht. Als er hierzu 2016 von der staatlichen australischen Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse befragt wurde, sagte er, er habe, als er damals erstmals von dem Vorwurf hörte, dass Priester Kinder sexuell missbrauchten, "stark dazu tendiert", die Version der Priester zu glauben. Laut der britischen Zeitung The Guardian sagte Pell wörtlich: "Zu dieser Zeit gab es eher den Instinkt, die Institution, die Gemeinschaft der Kirche, vor Schande zu bewahren."

Doch zu den Vorwürfen der Vertuschung gesellten sich bald Anschuldigungen, dass Pell selbst Minderjährige sexuell missbraucht habe. Am 11. Dezember 2018 wurde er in einem Missbrauchsverfahren schuldig gesprochen. Laut der Catholic News Agency (CNA) war das Gericht davon überzeugt, dass Pell in den 1990er Jahren während seiner Zeit als Erzbischof von Melbourne zwei Messdiener sexuell missbraucht hat. Das Strafmaß wurde noch nicht verkündet. Pell drohen bis zu 50 Jahre Haft. Da Pell während des Verfahrens stets seine Unschuld beteuert hat, ist es wahrscheinlich, dass er in Berufung gehen wird.

Dass sich die Nachricht über dieses Urteil gegen einen der ranghöchsten Kardinäle des Vatikans erst jetzt verbreitet und nicht bereits im Dezember bekannt wurde, liegt daran, dass ein australischer Richter den Medien einen Maulkorb verpasst hatte: In Australien zugängliche Medien durften über das gesamte Pell-Verfahren nicht berichten – was im Zeitalter des Internets einem weltweiten Berichtsverbot gleichkam. Bei Verstoß gegen die Anordnung drohten Journalisten Haftstrafen und Medienunternehmen empfindliche Geldstrafen von bis zu einer halben Million Dollar. Nur wenige Medien verstießen deshalb im Dezember gegen das Berichtsverbot und berichteten über den Schuldspruch gegen Kardinal Pell – unter anderem der Humanistische Pressedienst.

Hintergrund des Berichtverbotes war, dass im australischen Rechtssystem Geschworene Angeklagte schuldig oder nicht-schuldig sprechen. Damit die nach dem Zufallsprinzip aus der Bevölkerung ausgewählten Geschworenen unbeeinflusst in einen Prozess gehen können, können Gerichte Medien in Bezug auf Gerichtsverfahren eine Nachrichtensperre auferlegen. Da ein weiteres Missbrauchsverfahren gegen Pell angekündigt war, war der Maulkorberlass auch nach dem Urteil im Dezember weiterhin in Kraft. Bis zum heutigen Dienstag.

Für das Ansehen der katholischen Kirche ist das Urteil verheerend. Zwar hatte Franziskus Kardinal Pell für die Dauer seines Gerichtsverfahrens in Australien von seinen Amtspflichten als vatikanischer Finanzchef freigestellt, doch Mitglied des päpstlichen Beratergremiums war er zunächst geblieben. Erst im Dezember, einen Tag nach dem Urteil, hatte der Vatikan mitgeteilt, dass der Papst Pell aus dem Kardinalsrat entlassen habe. Aus Altersgründen. Angeblich sei die Entlassung bereits Ende Oktober erfolgt.

Wie auch immer Papst Franziskus nun mit Kardinal Pell weiter verfahren wird, sicher ist, dass das Bekanntwerden des Urteils gegen den hochrangigen Vatikan-Funktionär aus Sicht der Kirche zu kaum einem schlechteren Zeitpunkt hätte geschehen können. Mit viel Mühe hatte man sich dort bemüht, der Öffentlichkeit durch die Anti-Missbrauchskonferenz zu zeigen, dass man das Thema "Missbrauch" nun offensiv angehen werde. Während sich die Kleriker für die Konferenz gegenseitig auf die Schultern klopften, zeigten sich nicht nur Opfer-VertreterInnen enttäuscht von den unkonkreten Ergebnissen der Veranstaltung. Dem misslungenen PR-Event "Anti-Missbrauchskonferenz" folgt nun unmittelbar der PR-Gau aus Australien. Ein Fiasko für die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche.