Gespräch mit Michael Schmidt-Salomon über die "Philosophie der Gelassenheit"

Was im Leben wirklich zählt

Am vergangenen Wochenende stellte Michael Schmidt-Salomon sein aktuelles Buch "Entspannt euch! Eine Philosophie der Gelassenheit" am gbs-Stiftungssitz in Oberwesel erstmals der Öffentlichkeit vor. Der hpd nutzte die Gelegenheit, um mit dem Autor über sein neuestes Werk zu sprechen.

hpd: "Entspannt euch!" ist ein philosophischer Lebensratgeber, der Wege aufzeigt, wie man zu einer reiferen, gelasseneren, humorvolleren Weltsicht finden kann. Formal hast du mit diesem Buch Neuland betreten, nicht zuletzt, weil du deine Leserinnen und Leser das erste Mal direkt in der Du-Form ansprichst. Inhaltlich greifst du aber auf vieles zurück, was du in den letzten 25 Jahren geschrieben hast. Was war der Grund dafür, dass du mit diesem Buch zentrale Elemente deiner Philosophie noch einmal neu aufgearbeitet hast?

Schmidt-Salomon: Ich bin in den letzten 10 Jahren immer wieder von Leserinnen und Lesern aufgefordert worden, die "neue Leichtigkeit des Seins", die ich 2009 in dem Buch "Jenseits von Gut und Böse" beschrieben habe, in einer einfacheren, kompakteren, lesefreundlicheren Form darzustellen. Lange Zeit habe ich mich davor gescheut, diesen Wunsch zu erfüllen, da ich unter gar keinen Umständen ein Buch abliefern wollte, das als Beitrag zum ausufernden Markt der esoterischen Lebenshilfeliteratur hätte missverstanden werden können. 

Also hast du Buchprojekte wie "Keine Macht den Doofen" oder "Die Grenzen der Toleranz" vorgezogen, die einen solchen Eindruck gar nicht erst erwecken konnten?

Ja. Diese Bücher behandelten zwar wichtige Themen, wie ich meine, allerdings ging dabei etwas Wesentliches unter. Denn bei der Philosophie des evolutionären Humanismus geht es nicht bloß um wissenschaftliche, religionskritische oder politische Inhalte, sondern auch um existenzielle Fragen, die uns ganz unmittelbar als Personen betreffen, etwa um die Frage, was in unserem Leben wirklich zählt. Um dies zu verdeutlichen, habe ich mich entschlossen, dem Wunsch meiner Leserinnen und Leser endlich nachzukommen. 10 Jahre nach dem Erscheinen von "Jenseits von Gut und Böse" schien mir dafür auch der richtige Zeitpunkt zu sein. Außerdem setzt "Entspannt euch!" ein zentrales Argument aus dem Vorgängerbuch "Die Grenzen der Toleranz" fort.

Von "Empört euch!" zu "Entspannt euch!"

Du meinst deine Kritik am "Zeitalter des Empörialismus"? In "Die Grenzen der Toleranz" schreibst du, für "Empörialisten" zähle allein, moralisch auf "der richtigen Seite" zu stehen und "aufrichtig empört" zu sein. Die wichtige Fähigkeit, unterschiedliche Sichtweisen unvoreingenommen gegeneinander abzuwägen, gehe dabei notgedrungen unter. Sollte man "Entspannt euch!" also als Gegenbuch zu der Streitschrift "Empört euch!" von Stéphane Hessel begreifen?

Nicht unbedingt als "Gegenbuch", aber doch als eine, wie ich meine, notwendige Ergänzung. In dem Toleranz-Buch habe ich aufgezeigt, welche schweren politischen Verwerfungen aus dem engen moralistischen Schubladendenken des Empörialismus entstehen – die psychologischen Mechanismen, die dieser Geisteshaltung zugrundeliegen, habe ich dabei jedoch weitgehend außer Acht gelassen. Und genau hier setzt das neue Buch an. "Entspannt euch!" ist in diesem Sinne kein realpolitisches, sondern ein tiefenpolitisches Buch, das die psychologischen und philosophischen Voraussetzungen für die allgegenwärtige moralische Übererregung aufdeckt und versucht, hierzu ein wirksames Gegengift zu entwickeln.

Einstein versus Trump

Der "Held" deines neuen Buchs, wenn man das so sagen darf, ist Albert Einstein. In dem Buch finden sich viele Einstein-Zitate, mit deren Hilfe du deine "Philosophie der Gelassenheit" und die "Kunst der Vergebung" schilderst. In einem Kapitel kontrastierst du diese "Einsteinsche Sichtweise", die sich konsequent von der "Idee des grandiosen Ichs" löst, mit der völlig entgegengesetzten Lebenshaltung des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, in dessen Weltbild das eigene Ich eine besonders herausgehobene Rolle spielt. Das ist amüsant zu lesen und hat den "Playboy" auch zu einer schönen Einstein-Trump-Illustration in der aktuellen Ausgabe animiert. Allerdings sollte man an dieser Stelle nicht vergessen, dass Albert Einstein alles andere als ein "Heiliger" war. Man denke nur daran, wie er mit seinen Ehefrauen umgegangen ist …

Beispielbild
Die Einstein-Trump-Illustration im aktuellen Playboy

Selbstverständlich war Einstein kein "Heiliger" – aber das sollten wir von einem real existierenden Menschen auch gar nicht erwarten! Genau hier liegt ja der grundlegende Fehler, den Moralisten machen: Sie erwarten Engel, treffen auf Menschen und sehen in ihnen Teufel. Aus diesem Grund ist es so wichtig, moralisch abzurüsten und uns selbst und den anderen zu verzeihen. Das Faszinierende an Einstein ist, dass er für dieses "Vergebungstraining" einen wunderbaren Schlüssel gefunden hat, indem er aufzeigte, weshalb wir uns selbst und die anderen nicht "gar zu ernst nehmen" sollten. Ich sehe in Einsteins Erkenntnis, dass wir allesamt tolerantere, freiere, humorvollere, gelassenere Menschen sein könnten, wenn wir nur akzeptieren würden, dass wir stets nur die sein können, die wir unter den gegebenen Bedingungen sein müssen, so etwas wie die "E=mc2-Formel der Selbsterkenntnis". Dass er selbst nicht in der Lage war, diese wunderbare Einsicht in jeder Situation seines Lebens zu beherzigen, sollten wir ihm nachsehen, denn das ist menschlich-allzumenschlich. Niemand von uns ist unfehlbar, auch wenn einige diesen Anschein gerne erwecken würden.

Brennende Geduld

Endet das Buch deshalb auch mit einer Lektion über "brennende Geduld"?

Ja, denn wir brauchen "brennende Geduld" nicht nur, wenn wir politisch etwas bewegen wollen, wir brauchen sie auch, wenn wir die Einsteinsche Perspektive in unseren Alltag übersetzen möchten. Auch dabei werden wir immer wieder Rückschläge erleben und in alte Wahrnehmungsmuster zurückfallen. Immerhin wurden wir ja von Kindesbeinen an mit hochmoralischen Schuld- und Sühnekomplexen geimpft. Dagegen anzukämpfen ist schwierig. Und so fällt man immer wieder leicht in dieses alte moralische Geltungs- und Vergeltungsdenken zurück. Das geht auch mir so, obwohl ich mich schon seit meinem 16. Lebensjahr mit der Einsteinschen Perspektive beschäftige. Gerade in den letzten Jahren habe ich feststellen müssen, dass ich die Geduld viel zu oft verliere. Insofern habe ich "Entspannt euch!" nicht zuletzt auch für mich selbst geschrieben. Ich wollte wieder zu jener inneren Gelassenheit zurückfinden, die ich 2009 nach der Veröffentlichung von "Jenseits von Gut und Böse" empfunden hatte.

Und? Hat es funktioniert?

Ja, erfreulicherweise. Ich bin heute sehr viel gelassener als noch vor einem Jahr. Auch wenn es merkwürdig klingt: Ich schaue immer wieder in mein eigenes Buch hinein, sobald ich spüre, dass da ein moralischer Empörungsimpuls in mir aufsteigt. Dadurch löst sich die moralische Verkrampfung meist sehr schnell, so dass ich auch emotional spüre, was ich als rational denkender Mensch ohnehin weiß, nämlich dass moralische Empörung nicht zu mehr Gerechtigkeit in der Welt führt, sondern bloß zu mehr Selbstgerechtigkeit.

Das Einstein-Paradoxon

Ich hoffe mal, diese neue innere Gelassenheit hat nicht zur Folge, dass du dich in Zukunft nicht mehr politisch engagierst …

Nein, keine Sorge! Warum auch? Innere Gelassenheit und äußeres Engagement stehen keineswegs im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Wenn man seine Kraft nicht mehr darauf verschwendet, sich selbst und den anderen vorzugaukeln, wie "bedeutend" man ist, kann man diese Kraft dafür verwenden, die Dinge zu verändern, die wirklich von Bedeutung sind. Das berührt auch den Kern jenes "Einstein-Paradoxons", das ich im Buch beschrieben habe: Je weniger stolz du auf eigene Leistungen bist, desto eher wirst du Leistungen erbringen, auf die du stolz sein könntest – wenn du denn noch stolz sein könntest.

Vielen Dank für das Gespräch!


Die Fragen stellte hpd-Redakteur Florian Chefai. Informationen zum Buch gibt es auf der Website http://entspannt-euch.info. Zum Erscheinen des Buches wurde am vergangenen Sonntag auf Deutschlandfunk Kultur ein ausführliches Gespräch mit Michael Schmidt-Salomon ausgestrahlt. Der hpd veröffentlichte bereits eine Rezension des Buches.